Steinmeier 12.02.2017 Ansprache in der 16. Bundesversammlung zu seiner Wahl zum zwölften Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland im Reichstagsgebäude in Berlin - im Wortlaut Herr Präsident! Verehrte Mitglieder der Bundesversammlung! Sehr geehrte Mitbewerber! Meine sehr verehrten Damen und Herren! "Ihr macht mir Mut!" – Dieser Zuruf einer jungen Frau, damals vor zwei Jahren, hat lange in mir nachgehallt. Ich möchte ihn heute an Sie weitergeben. Von Herzen danke ich Ihnen, den Mitgliedern dieser Bundesversammlung, für die Ermutigung, mit der Sie mich heute auf den Weg in das höchste Amt unseres Staates senden. Ihre Wahl erfüllt mich mit großer Freude, und mein großer Respekt vor diesem Amt bleibt. Mein Respekt ist umso größer, weil Joachim Gauck hier im Saal ist; ein Bundespräsident, der diesem Amt und unserem Land gutgetan hat; ein Präsident, der für die Freiheit spricht und der das Glück der Freiheit mit jeder Faser verkörpert. Ihnen, verehrter Herr Präsident, gilt mein und – da bin ich ganz sicher – unser aller tiefster Dank. Ich danke allen, die mich gewählt haben, für das Vertrauen. Denen, die mich nicht unterstützt haben, gebe ich ein Versprechen: Im gleichen Respekt vor allen demokratischen Parteien, vor Regierung und Opposition, vor dem Vielklang der Stimmen in unserer Demokratie werde ich dafür arbeiten, auch ihr Vertrauen zu gewinnen. Ich weiß: Wir leben in stürmischen Zeiten. Viele in unserem Land sind verunsichert. Die Welt – das hat der eine oder andere schon einmal von mir gehört – scheint aus den Fugen geraten. Aber viele fragen auch: Was ist eigentlich der Kitt, der unsere Gesellschaft im Kern zusammenhält? Und vor allen Dingen fragen sie: Hält dieser Kitt auch noch für die Zukunft? Andere fragen: Wenn die Welt unsicherer wird und wenn unser Land mit dieser Welt so eng verflochten ist, was bedeutet das für unsere Sicherheit, für unsere Zukunft? Auch diese Sorgen spüre ich in unserem Land, und ich nehme sie ernst. Aber in meinen letzten Jahren als Außenminister habe ich auch etwas anderes erfahren: "Ihr macht mir Mut!" Es war eine junge Frau in Tunesien, die diesen Satz zu mir gesagt hat, eine Aktivistin, die sich in ihrer Heimat für Demokratie und Menschenrechte engagiert. Als sie diesen Satz sagte, da meinte sie gar nicht mich und auch nicht meine Delegation, sondern unser Land, Deutschland, war gemeint. "Ihr Deutschen macht mir Mut", hat sie gesagt. Ist es nicht erstaunlich, ist es nicht eigentlich wunderbar, dass dieses Deutschland, unser "schwieriges Vaterland", wie Gustav Heinemann es nannte, für viele in der Welt ein Anker der Hoffnung geworden ist? Wir machen anderen Mut, nicht weil alles gut ist in unserem Land, sondern weil wir gezeigt haben, dass es besser werden kann, dass nach Kriegen Frieden werden kann, dass nach Teilung Versöhnung kommen kann, dass nach der Raserei der Ideologien so etwas wie politische Vernunft einkehren kann und dass uns in unserem Land vieles geglückt ist. An all das erinnert uns dieser Tag, der Tag der Bundesversammlung. Als Theodor Heuss vor der ersten Bundesversammlung stand, da räumten die Menschen in Deutschland den Schutt von Krieg und Diktatur beiseite, da bauten sie Stein um Stein die Bundesrepublik auf, eine Demokratie, die damals nur auf dem Fundament des Westens festen Halt finden konnte. Wenn dieses Fundament heute anderswo wackelt, dann müssen wir umso fester zu diesem Fundament stehen. Als später Roman Herzog hier vor der Bundesversammlung stand, da war die deutsche Wiedervereinigung noch jung, da wehte der Wind des Aufbruchs durch das Land; aber es gab auch Ängste vor dieser neuen Zukunft. Doch die Lockrufe derer, die schon damals mit Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments zündelten, hat unsere Gesellschaft damals überwunden, und ich bin sicher, das werden wir auch heute tun. Als Johannes Rau hier stand, sah sich das geeinte Deutschland durch den Einsatz auf dem Balkan mit schwierigen außenpolitischen Entscheidungen konfrontiert, mit einer neuen Verantwortung in der Welt, die bis heute noch weiter gewachsen ist und die wir angenommen haben. Wir haben vieles miteinander gemeistert, und nicht immer waren die Zeiten einfach. Der Blick auf die Welt, insbesondere der auf Europa, lehrt uns: Auch heute ist eine schwere Zeit, aber sie ist unsere. Wir tragen die Verantwortung. Und wenn wir anderen Mut machen wollen, dann brauchen wir selber welchen. Wir brauchen den Mut, zu sagen, was ist, und auch den Mut, zu sagen, was nicht ist. Wir müssen den Anspruch, Fakt und Lüge zu unterscheiden, an uns selbst stellen. Das Vertrauen in die eigene Urteilskraft, das ist das stolze Privileg eines jeden Bürgers, und sie ist Voraussetzung für jede Demokratie. Wir brauchen den Mut, einander zuzuhören, die Bereitschaft, das eigene Interesse nicht absolut zu setzen, das Ringen um Lösungen in einer Demokratie nicht als Schwäche zu empfinden, die Realität nicht zu leugnen, sondern sie verbessern zu wollen. Und wir brauchen den Mut, zu bewahren, was wir haben. Freiheit und Demokratie in einem vereinten Europa, dieses Fundament wollen, müssen wir miteinander verteidigen. Es ist nicht unverwundbar, aber ich bin fest davon überzeugt: Es ist stark. Nein, wir leben nicht auf einer Insel der Seligen. Wir sind Teil einer Welt mit ihren Risiken, und Risiken gibt es auch bei uns. Aber kaum irgendwo auf der Welt gibt es mehr Chancen als bei uns. Und wer wenn nicht wir kann da eigentlich guten Mutes sein! Deshalb, liebe Landsleute, lasst uns mutig sein! Dann jedenfalls ist mir um die Zukunft nicht bange.