Merkel 09.06.2011 Regierungserklärung zur Energiepolitik "Der Weg zur Energie der Zukunft" (1) - im Wortlaut Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor 90 Tagen wurde der Nordosten Japans vom schwersten Erdbeben in der Geschichte des Landes heimgesucht. Anschließend traf eine bis zu zehn Meter hohe Flutwelle seine Ostküste. Danach fiel in einem Reaktor des Kernkraftwerkes Fukushima I die Kühlung aus. Die japanische Regierung rief den atomaren Notstand aus. Heute, 90 Tage nach jenem furchtbaren 11. März, wissen wir: In drei Reaktorblöcken des Kernkraftwerkes sind die Kerne geschmolzen. Noch immer steigt radioaktiver Dampf in die Atmosphäre. Die weiträumige Evakuierungszone wird noch lange bestehen bleiben, und an ein Ende der Schreckensmeldungen ist noch nicht zu denken. Erst letzte Woche herrschte in Block eins die bisher höchste Strahlenbelastung. Die Internationale Atomenergie-Organisation bewertet die Situation in Fukushima als weiterhin sehr ernst. Wir werden heute weitreichende Vorhaben für eine neue Architektur der Energieversorgung in Deutschland beraten. Aber bevor wir das tun, wünsche ich mir, dass wir zuerst an die Menschen in Japan denken. Wir trauern um die Opfer, wir fühlen mit denen, die ihre Lieben, ihr Hab und Gut, ihr Zuhause unwiederbringlich verloren haben. Ich habe beim G8-Gipfel vor wenigen Tagen in Deauville meinem japanischen Amtskollegen gesagt: Deutschland steht weiter an der Seite Japans. Ohne Zweifel, die dramatischen Ereignisse in Japan sind ein Einschnitt für die Welt. Sie waren ein Einschnitt auch für mich ganz persönlich. Wer auch nur einmal die Schilderungen an sich heran lässt, wie in Fukushima verzweifelt versucht wurde, mit Meerwasser die Reaktoren zu kühlen, um inmitten des Schreckens noch Schrecklicheres zu verhindern, der erkennt: In Fukushima haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können. Wer das erkennt, muss die notwendigen Konsequenzen ziehen. Wer das erkennt, muss eine neue Bewertung vornehmen. Deshalb sage ich für mich: Ich habe eine neue Bewertung vorgenommen; denn das Restrisiko der Kernenergie kann nur der akzeptieren, der überzeugt ist, dass es nach menschlichem Ermessen nicht eintritt. Wenn es aber eintritt, dann sind die Folgen sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Dimension so verheerend und so weitreichend, dass sie die Risiken aller anderen Energieträger bei weitem übertreffen. Das Restrisiko der Kernenergie habe ich vor Fukushima akzeptiert, weil ich überzeugt war, dass es in einem Hochtechnologieland mit hohen Sicherheitsstandards nach menschlichem Ermessen nicht eintritt. Jetzt ist es eingetreten. Genau darum geht es also – nicht darum, ob es in Deutschland jemals ein genauso verheerendes Erdbeben, einen solch katastrophalen Tsunami wie in Japan geben wird. Jeder weiß, dass das genau so nicht passieren wird. Nein, nach Fukushima geht es um etwas anderes. Es geht um die Verlässlichkeit von Risikoannahmen und um die Verlässlichkeit von Wahrscheinlichkeitsanalysen. Denn diese Analysen bilden die Grundlage, auf der die Politik Entscheidungen treffen muss, Entscheidungen für eine zuverlässige, bezahlbare, umweltverträgliche, also sichere Energieversorgung in Deutschland. Deshalb füge ich heute ausdrücklich hinzu: Sosehr ich mich im Herbst letzten Jahres im Rahmen unseres umfassenden Energiekonzepts auch für die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke eingesetzt habe, so unmissverständlich stelle ich heute vor diesem Haus fest: Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung die Reaktor-Sicherheitskommission beauftragt, in den vergangenen drei Monaten alle deutschen Kernkraftwerke einer umfassenden Sicherheitsprüfung zu unterziehen. Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine Ethik-Kommission zur sicheren Energieversorgung ins Leben gerufen. Beide Kommissionen haben inzwischen die Ergebnisse ihrer Arbeit vorgelegt, und beiden Kommissionen gilt für ihre Arbeit mein ausdrücklicher Dank. Auf der Grundlage dieser Arbeiten hat die Bundesregierung am Montag acht Gesetzentwürfe und Verordnungen beschlossen. Sie hat damit die notwendigen Entscheidungen für den Betrieb der Kernkraftwerke in Deutschland und die zukünftige Architektur unserer Energieversorgung auf den Weg gebracht. Erstens. Das Atomgesetz wird novelliert. Damit wird bis 2022 die Nutzung der Kernenergie in Deutschland beendet. Die während des dreimonatigen Moratoriums abgeschalteten sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke und das seit längerem stillstehende Kraftwerk Krümmel werden nicht wieder ans Netz gehen. Für die Stilllegung der weiteren Kernkraftwerke haben wir einen Stufenplan beschlossen. Danach wird 2015, 2017 und 2019 jeweils ein Kraftwerk vom Netz gehen. Dann folgen bis 2021 drei weitere Kraftwerke. Die drei neuesten Anlagen können noch ein Jahr länger laufen: bis Ende 2022. Reststrommengen bleiben innerhalb der festgelegten Zeiträume auf andere Kernkraftwerke übertragbar. Dies gilt auch für die Strommengen von Krümmel, Mülheim-Kärlich und die der sieben ältesten Kernkraftwerke. Zweitens. Bis Ende dieses Jahres werden wir einen gesetzlichen Vorschlag für die Regelung der Endlagerung vorlegen. Das schließt die ergebnisoffene Weitererkundung Gorlebens ebenso ein wie ein Verfahren zur Ermittlung allgemeiner geologischer Eignungskriterien und möglicher alternativer Entsorgungsoptionen. Drittens. Damit die Versorgungssicherheit, insbesondere die Stabilität der Stromnetze, in der jetzt anstehenden Zeit unmittelbar nach der Stilllegung von acht Kernkraftwerken zu jeder Minute und zu jeder Sekunde gewährleistet ist, müssen wir ausreichend fossile Reservekapazitäten unseres Kraftwerkparks vorhalten. Zusätzlich schaffen wir die Möglichkeit, dass die Bundesnetzagentur, falls sie es für notwendig erachtet, eines der stillgelegten Kernkraftwerke in den beiden Winterhalbjahren bis zum Frühjahr 2013 als Reserve bestimmen kann. Auch hier ziehen wir eine Lehre aus Wahrscheinlichkeitsanalysen nach Fukushima, und zwar ein für alle Mal. Wir werden uns – und ich auch ganz persönlich – nicht dafür hergeben, dass wir uns auf etwas stützen, das das Restrisiko beinhaltet, dass es einen sogenannten Blackout in Deutschland geben kann. Auch wenn das nach menschlichem Ermessen äußerst unwahrscheinlich ist, dürfen wir dies nicht zulassen, weil wir gerade im Zusammenhang mit Fukushima erlebt haben, dass auch äußerst unwahrscheinliche Ereignisse eintreten können. Deshalb müssen wir hier Vorsorge treffen, wenn die Bundesnetzagentur das für geboten hält. Es ist nach derzeitiger Einschätzung der Bundesnetzagentur notwendig, eine Reserve bis zum Frühjahr 2013 vorzuhalten. Viertens. Zentrale Säule der zukünftigen Energieversorgung sollen die erneuerbaren Energien werden. Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen. Mit dem Energiekonzept vom Herbst 2010 hat die Bundesregierung dazu die Richtung festgelegt und ehrgeizige Ziele formuliert. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch soll bis 2050 auf 60 Prozent, ihr Anteil am Stromverbrauch auf 80 Prozent anwachsen. 2020 sollen mindestens 35 Prozent unseres Stroms aus Wind, Sonne, Wasser und anderen regenerativen Energiequellen erzeugt werden. Bis 2020 sollen die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent und bis 2050 um mindestens 80 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Bis 2050 soll unser Primärenergieverbrauch um 50 Prozent gegenüber 2008 sinken. Das heißt, wir müssen ihn halbieren. Die energetische Gebäudesanierung soll im Vergleich zur bisherigen Rate verdoppelt, der Stromverbrauch bis 2020 um zehn Prozent gesenkt werden. Das sind genau die Ziele unseres Energiekonzepts, das wir im Herbst 2010 beschlossen haben. Dieses Konzept bleibt gültig, genauso wie die Umsetzung dieses Konzepts. Aber erreichen können wir diese Ziele nur durch einen tiefgreifenden Umbau unserer Energieversorgung, durch neue Strukturen und den Einsatz modernster Technologie; denn die Leistungsfähigkeit unserer Industrie in Deutschland ist ein hohes Gut. Sie muss bewahrt, sie muss ausgebaut werden; denn ihr verdanken wir unseren Wohlstand. Deshalb steigen wir nicht einfach aus der Kernkraft aus, sondern wir schaffen die Voraussetzungen für die Energieversorgung von morgen. Genau das hat es bislang so in Deutschland nicht gegeben. Weil wir wissen: "Wer A sagt, muss auch B sagen", wissen wir auch, dass das eine, nämlich der Ausstieg, ohne das andere, nämlich den Umstieg, nicht zu haben ist. Das ist es, worum es geht. Es führt daher kein Weg daran vorbei, die Stromnetze in ganz Deutschland zu modernisieren und auszubauen. Der erforderliche Leitungsausbau bei den Stromübertragungsnetzen in Deutschland liegt bei weit mehr als 800 Kilometern. Fertiggestellt sind bislang aber nur weniger als 100 Kilometer, weil geplante Stromleitungen noch immer auf Widerstände vor Ort stoßen. Planungsverfahren dauern – das ist eigentlich die Regel – häufig länger als zehn Jahre. Das ist nicht akzeptabel. Hier müssen wir eine erhebliche Beschleunigung und gleichzeitig mehr Akzeptanz erreichen. Es kann nicht angehen, auf der einen Seite den Ausstieg aus der Kernenergie gar nicht schnell genug bekommen zu wollen, auf der anderen Seite aber eine Protestaktion nach der anderen gegen den Netzausbau zu starten, ohne den der Umstieg in die erneuerbaren Energien aber schlichtweg nicht funktionieren wird. Genau dieser Kreislauf – hier dagegen und dort dagegen – muss durchbrochen werden. Dazu hat die Bundesregierung den Entwurf eines Netzausbaubeschleunigungsgesetzes beschlossen, das unter anderem eine bundeseinheitliche Planung für Höchstspannungsleitungen von überregionaler und europäischer Bedeutung vorsieht. Darüber hinaus enthält das NABEG auch Regelungen zur Sammelanbindung von Offshorewindparks sowie zur Erstellung eines Offshorenetzplans. Dabei wollen wir auch weiterhin eine möglichst frühzeitige und umfassende Bürgerbeteiligung sicherstellen. Auch die von uns beschlossene umfassende Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes enthält Regelungen zum beschleunigten Netzausbau. Weiterhin wird im novellierten Energiewirtschaftsgesetz der Einbau von intelligenten Zählern als Ausgangspunkt kommender intelligenter Netze geregelt. Hinzu kommen zahlreiche Maßnahmen zur Intensivierung des Wettbewerbs auf den Energiemärkten sowie die Förderung von Speichern. Im Rahmen des neuen Energieforschungsprogramms werden wir die Entwicklung und Anwendung neuer Speichertechnologien unterstützen, die wir brauchen, um die fluktuierende Energieversorgung aus erneuerbaren Energien zu verstetigen. Ich sagte es: Wer A sagt, muss auch B sagen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Das gilt für den Ausbau der Netze, und das gilt gleichermaßen für die erforderlichen neuen Stromerzeugungskapazitäten, insbesondere bei Wind, Sonne und Biomasse. Leitlinie dabei sind Kosteneffizienz und zunehmende Marktorientierung. Diesem Ziel dient die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Die Grundpfeiler der bisher so erfolgreichen Förderung der erneuerbaren Energien bleiben bestehen. Die gesetzliche Vergütung, der Einspeisevorrang und die Verpflichtung zum Netzanschluss haben unverändert Bestand. Damit sichern wir die notwendigen Investitionen für den weiteren Ausbau. Schwerpunkt des zukünftigen Ausbaus soll die Windenergie an Land und auf See sein. So werden die Finanzierungsbedingungen für Offshoreanlagen verbessert, und mit der Novellierung des Bauplanungsrechts, etwa mit der erleichterten Flächenausweisung für erneuerbare Energien, leisten wir einen Beitrag zum Ausbau und zu einer schnelleren Modernisierung von Windkraftanlagen an Land. Aber – das ist neu –: Wenn die erneuerbaren Energien zukünftig noch schneller einen Großteil der Energieversorgung übernehmen sollen – 35 Prozent sind immerhin mehr als ein Drittel des zukünftigen Stromverbrauchs –, dann müssen wir konsequent auf Kosteneffizienz und Marktintegration achten. Ein Schritt auf diesem Weg ist die Einführung der sogenannten optionalen Marktprämie, die die erneuerbaren Energien an das Marktgeschehen heranführt. Das ist ein qualitativ neuer Zugang, den wir aber brauchen, wenn erneuerbare Energien einen größeren Anteil an der Stromversorgung übernehmen sollen. Im Bereich der Photovoltaik und der Biomasse wollen wir bestehende Potenziale für Kostensenkungen ausschöpfen. Darüber hinaus ist die Vereinfachung der Regelungen ein Leitgedanke des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Wo immer möglich, sind Sonderregelungen oder spezielle Boni abgeschafft oder vereinfacht worden. Damit wird die Förderpraxis vereinfacht und mehr Transparenz geschaffen. Unsere Wirtschaft und vor allem die energieintensive Industrie sind in besonderer Weise darauf angewiesen, Strom zuverlässig und zu wettbewerbsfähigen Preisen beziehen zu können. Die rund eine Million Beschäftigten in der energieintensiven Industrie leisten einen zentralen Beitrag für die Wertschöpfung in unserem Land. Unsere Devise heißt: Die Unternehmen genauso wie die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland müssen auch in Zukunft mit bezahlbarem Strom versorgt werden. Deshalb wollen wir die erneuerbaren Energien schneller zur Marktreife führen und effizienter gestalten. Die EEG-Umlage soll nicht über ihre heutige Größenordnung hinaus steigen; heute liegt sie bei etwa 3,5 Cent pro Kilowattstunde. Langfristig wollen wir die Kosten für die Vergütung des Stroms aus erneuerbaren Energien deutlich senken. Mit Blick auf die stromintensiven Unternehmen wollen wir Zuschüsse zum Ausgleich für emissionshandelsbedingte Strompreiserhöhungen vorsehen. Die Bundesregierung wird sich – das sage ich hier zu – mit aller Kraft in Brüssel dafür einsetzen, dass unsere Unternehmen faire Wettbewerbsbedingungen in Europa erhalten. Darüber hinaus wird ab 2012 die Härtefallregelung des Erneuerbare Energien-Gesetzes ausgeweitet. Wenn wir schneller aus der Kernenergie aussteigen und in die erneuerbaren Energien einsteigen, dann brauchen wir für die Zeit des Übergangs fossile Kraftwerke. Auch daran führt kein Weg vorbei. Dazu werden wir den Rahmen für hocheffiziente Kohle- und Gaskraftwerke fortentwickeln. Mit dem Entwurf einer Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes leisten wir einen Beitrag zur Versorgungssicherheit und Effizienz der Stromerzeugung. In einem ersten Schritt wollen wir die Frist für förderberechtigte KWK-Anlagen bis ins Jahr 2020 verlängern und die Voraussetzungen für die Förderung flexibler gestalten. Noch im Laufe dieses Jahres werden wir über weitergehende Schritte entscheiden. Die schnelle Fertigstellung der in Bau befindlichen fossilen Kraftwerke mit einer Leistung von rund zehn Gigawatt bis 2013 ist aus Gründen der Versorgungssicherheit und der Netzstabilität unabdingbar. Mindestens zehn, eher 20 weitere Gigawatt müssen in den nächsten zehn Jahren hinzugebaut werden. Durch ein Planungsbeschleunigungsgesetz wollen wir zudem den weiteren zügigen Ausbau von Kraftwerkskapazitäten sicherstellen. Insbesondere mit Blick auf kleine und mittelständische Energieversorger werden wir zudem ein neues Kraftwerksförderprogramm auflegen. Auch dies ist ein Beitrag zu mehr Versorgungssicherheit. Aber machen wir uns nichts vor: Alle noch so ehrgeizigen Maßnahmen für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der dafür erforderlichen Netze werden nicht ausreichen, wenn es nicht gelingt, die Energieeffizienz in unserem Land zu steigern. Im Zentrum steht dabei der Gebäudebereich. Auf ihn allein entfallen rund 40 Prozent des deutschen Energieverbrauchs, etwa ein Drittel aller CO2-Emissionen. Genau hier müssen wir ansetzen. Ziel bleibt es – so haben wir es schon im Herbst beschlossen –, bis 2050 einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Auch im Bereich der energieeffizienten Geräte und Prozesse wollen wir mehr tun, um den Stromverbrauch schon bis 2020 um zehn Prozent zu senken. Wir werden deshalb die Mittel für das KfW-CO2-Gebäudesanierungsprogramm auf 1,5 Milliarden Euro jährlich aufstocken. Hinzu kommen neue steuerliche Anreize für die Gebäudesanierung, die auf weitere rund 1,5 Milliarden Euro an gezielter Förderung anwachsen werden. In einer Novelle der Energieeinsparverordnung wollen wir festlegen, dass Gebäude nach 2020 und öffentliche Gebäude schon nach 2018 nur noch als Niedrigstenergiehäuser errichtet werden sollen. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wird die Energieeffizienz als wichtigstes Kriterium rechtlich verankert. Hierzu haben wir die Vergabeverordnung entsprechend geändert. Zudem wollen wir einen Fahrplan für die energetische Sanierung von öffentlichen Gebäuden des Bundes erarbeiten mit dem Ziel, den Wärmebedarf der Bundesgebäude bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 2010 zu senken. Auf europäischer Ebene werden wir uns für anspruchsvolle Produktstandards im Rahmen eines sogenannten Top-Runner-Ansatzes einsetzen. Energieeffizienz soll nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa ein neues Markenzeichen werden. Die Finanzierung der Maßnahmen des Energiekonzepts beruht dabei auf einem soliden Fundament. Ab 2012 sollen die Erlöse aus der Versteigerung der Emissionszertifikate unmittelbar in den von uns im vergangenen Herbst eingerichteten Energie- und Klimafonds fließen. Schon ab 2012 werden die Mittel des Fonds verstärkt. Diese vier Punkte – erstens die Novelle des Atomgesetzes, zweitens die Arbeit für ein Entsorgungskonzept, drittens die Versorgungssicherheit bis 2013, viertens das Energiekonzept der Zukunft – zeigen schon die Größe der Aufgabe, die vor uns steht. Ich sage ganz deutlich: Es handelt sich um eine Herkulesaufgabe – ohne Wenn und Aber. Alle, die zweifeln, wie wir als großes Industrieland in zehn Jahren ohne Kernenergie auskommen wollen, ohne gleichzeitig die Klimaschutzziele zu riskieren, ohne Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie zu gefährden, ohne das Steigen der Strompreise in das sozial nicht mehr Erträgliche in Kauf zu nehmen, ohne gefährliche Stromausfälle zu provozieren, ohne dass andere Länder um uns herum denselben Weg einschlagen, alle, die solche Fragen stellen, sind keine Ideologen, keine Ewiggestrigen, keine Spinner, denn sie stellen wichtige Fragen. Sie sind anzuhören, sie sind ernst zu nehmen, und wir haben Antworten darauf zu finden. Es ist ja wahr: Es scheint einer Quadratur des Kreises nahezukommen, all das schaffen zu wollen, was wir uns vorgenommen haben. Deshalb ist ein fünfter Punkt zwingend und unerlässlich: die Einrichtung eines lückenlosen Monitoringprozesses. Nur so können wir prüfen, ob wir unsere Ziele auf dem Weg zur Energie der Zukunft tatsächlich erreichen oder was wir zusätzlich tun müssen, wenn wir sie zu verfehlen drohen. Dabei geht es nicht um den schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie – der steht fest –; nein, es geht um die regelmäßige Überprüfung der Umsetzung des Maßnahmenprogramms, auf die ein Land wie Deutschland in seinem eigenen Interesse nicht verzichten darf. Dieses Monitoring muss im Sinne eines richtigen Projektmanagements durchgeführt werden. Deshalb wird die Bundesregierung diese Überprüfung jährlich vornehmen und dem Deutschen Bundestag das Ergebnis zur Debatte vorlegen. Sie wird auf der Grundlage von Berichten von Institutionen wie dem Statistischen Bundesamt, der Bundesnetzagentur oder des Umweltbundesamtes erfolgen. Über die Ergebnisse wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unterrichten, und gegebenenfalls wird sie Empfehlungen zum weiteren Vorgehen aussprechen. Wenn wir den Weg zur Energie der Zukunft so einschlagen, dann werden die Chancen viel größer sein als die Risiken. Welches Land, wenn nicht unser Land, sollte dazu die Kraft haben? Deutschland hat schon so manches Mal gezeigt, was es kann, was in ihm steckt, und hat schon ganz andere Herausforderungen bewältigt: die Einführung der sozialen Marktwirtschaft, weltweit in dieser Form einmalig; die Vollendung der deutschen Einheit, historisch ohne Vorbild; aus der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise stärker herausgekommen, als wir in sie hineingegangen sind, und – ja, auch das – besser als die meisten anderen. Deshalb sind wir überzeugt: Deutschland hat das Potenzial und die Kraft für eine neue Architektur unserer Energieversorgung. Die Energie der Zukunft soll sicherer sein und zugleich verlässlich, wirtschaftlich und bezahlbar. Wir können als erstes Industrieland der Welt die Wende zum Zukunftsstrom schaffen. Wir sind das Land, das für neue Technik, Pioniergeist und höchste Ingenieurkunst steht. Wir sind das Land der Ideen, das Zukunftsvisionen mit Ernsthaftigkeit, Genauigkeit und Verantwortung für zukünftige Generationen Wirklichkeit werden lässt. Wir alle, Regierung und Opposition, Bund, Länder und Kommunen, die Gesellschaft als Ganzes, jeder Einzelne, wir alle gemeinsam können, wenn wir es richtig anpacken, bei diesem Zukunftsprojekt ethische Verantwortung mit wirtschaftlichem Erfolg verbinden. Dies ist unsere gemeinsame Verantwortung. Für dieses gemeinsame Projekt werbe ich mit aller Kraft und mit aller Überzeugung.