Gysi 15.02.2008 Bundestagsrede "Finanzkrise: Bürger zahlen teuer für Spekulationen der Banken" zur Regierungserklärung von Finanzminister Steinbrück zur Lage an den Finanzmärkten - im Wortlaut Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Röttgen, in einem Punkt muss ich Ihnen recht geben: Aus Krisen kann man eine Menge lernen. Das entspricht auch meinen Erfahrungen; das will ich gar nicht leugnen. Ich habe mich auch gefreut, dass Sie, Herr Steinbrück, gesagt haben, die letzte Steuerkürzung sei erst sieben Wochen her. Sie hätten aber dazusagen sollen, dass es sich dabei um eine Kürzung der Körperschaftssteuer für die Kapitalgesellschaften, also die Deutsche Bank, handelte, während Sie vor über einem Jahr für die Gesamtheit die Mehrwertsteuer um 3 Prozent erhöht haben. Das ist das, was wir an Ihrer Steuerpolitik immer kritisieren. Ich finde, wir müssen kurz darstellen, worum es bei dieser Krise geht und was in den USA geschehen ist. Die Öffentlichkeit muss das ja verstehen. Die Banken in den USA haben Kredite an Hausbesitzer oder Leute, die Häuser kaufen wollten, auch wenn sie kaum Geld hatten, gegeben. Das klingt erst einmal edel, und man sagt: Mein Gott, die geben ja sogar Ärmeren Geld. - Ich sagte, es klingt edel. - Das Problem ist nur, dass die Banken davon ausgingen, dass die Häuser im Wert steigen und dass man im Wege der Zwangsversteigerung alles wunderbar realisieren kann. Da haben sie sich verspekuliert; denn der Wert der Grundstücke ist gesunken. Weil sie aber schlau sind, haben sie gesagt: "Das Risiko wollen wir nicht alleine tragen", Wertpapierfonds gebildet und diese den Europäern angeboten. US-hörig, wie die Europäer sind, allen voran die öffentlich-rechtlichen Banken, haben sie sich gesagt: Das müssen wir unbedingt kaufen; da machen wir ein todsicheres Geschäft. - Damit sind sie furchtbar auf die Schnauze gefallen. So einfach ist das Ganze. Herr Röttgen, Sie haben gefragt, was das Typische an der Finanzglobalisierung ist. Das kann ich Ihnen sagen; denn dafür gibt es eine unwiderlegbare Zahl: Täglich werden weltweit 1900 Milliarden Dollar umgesetzt. Für den gesamten Waren- und Dienstleistungsbereich sind das täglich 38 Milliarden Dollar, also 2 Prozent davon. Das heißt, dass 1862 Milliarden Dollar täglich zu reinen Spekulationszwecken umgesetzt werden. Das hat die Politik ermöglicht, und das bezahlen wir heute in dieser Krise teuer. Das ist die Wahrheit. Man kann nämlich entgegen der Annahme mancher Banker aus Geld nicht Geld machen. Das funktioniert nie oder nur kurzfristig, und irgendwann hat man den Schaden. Herr Steinbrück, Sie haben die Bankvorstände kritisiert. Ich muss hier Herrn Solms zustimmen ich weiß nicht, ob ihm das angenehm ist oder mir; das spielt auch keine Rolle; auf jeden Fall muss ich ihm zustimmen: Sie, Herr Steinbrück, haben nichts zur Verantwortung der staatlichen Kontrolle gesagt und damit auch nichts zu Ihrer eigenen Verantwortung. Das ist nicht hinnehmbar. Ich führe einmal die entsprechenden Beispiele an. Die Westdeutsche Landesbank aus NRW hat sich an den unsicheren Geschäften mit 23 Milliarden Euro beteiligt, und zwar in der Zeit, Herr Steinbrück, als Sie als Finanzminister bzw. Ministerpräsident die Aufsicht hatten. Aber Sie haben nichts dazu gesagt. Die Bayerische Landesbank hat unter Aufsicht des Finanzministers und heutigen CSU-Vorsitzenden Huber Risikogeschäfte im Umfang von 16 Milliarden Euro gemacht. Dazu ist nichts gesagt worden. Die Sachsen-Landesbank hat unter Verantwortung des früheren Finanzministers und heutigen Ministerpräsidenten Milbradt sowie des heutigen Finanzministers Tillich Risikogeschäfte im Umfang von 18 Milliarden Euro gemacht. Dazu ist nichts gesagt worden. Dann gibt es noch die Industriekreditbank, eine private Mittelstandsbank, die mindestens 15 Milliarden Euro in diese Risikogeschäfte gesteckt hat. Nur hat sich da hat Herr Solms völlig recht eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, nämlich die Kreditanstalt für Wiederaufbau, an dieser Privatbank zu 38 Prozent beteiligt und haftet jetzt für alles mit. Das ist das Problem, vor dem wir unter anderem stehen. Herr Steinbrück, Sie haben nichts dazu gesagt, dass ein Angehöriger Ihres Ministeriums im Aufsichtsrat der Industriekreditbank sitzt. Was hat er da eigentlich getrieben? Sie und auch Herr Glos haben Kontrollfunktionen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wie haben Sie diese eigentlich wahrgenommen? Sie hätten sagen müssen: Alle diese Kontrollfunktionen haben nichts, aber auch gar nichts diesbezüglich verhindert. - Das wäre die erste ehrliche Feststellung gewesen. Dann gibt es noch auch da hat Herr Solms recht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Man fragt sich, wozu wir die eigentlich haben, wenn sie nichts davon mitkriegt, was an Spekulationsgeschäften weltweit läuft. Damit komme ich zur zweiten Seite, zur Deregulierung. Herr Steinbrück, Sie haben im Übrigen völlig zu Recht vor einem Jahr in einem Interview gesagt, dass es da "komische Produkte" und eine "irrationale Entwicklung" auf dem Finanzmarkt gibt. Das stimmt. Aber Sie vergaßen zu erwähnen, dass diese komischen Produkte und diese irrationale Entwicklung überhaupt erst durch die SPD/Grünen-Regierung erlaubt worden ist. Wenigstens das müssen Sie doch einmal feststellen. Es war Ihr Vorgänger, Hans Eichel, der die Hedgefonds zugelassen hat, über die dann später Müntefering gemeckert hat. Es war die Änderung des Finanzmarktförderungsgesetzes und des Kreditwesengesetzes, mit denen die komischen Produkte und die Spekulation in Deutschland zugelassen wurden. Sie selber, Herr Steinbrück, haben gesagt, dass die Kreditverbriefungen das Ziel der Finanzmarktförderung sind. Wissen Sie, was die USA gemacht haben? Sie haben das alles als Kreditverbriefungen angeboten. Ihr Ziel ist also erreicht worden, und damit sind wir jetzt auf die Schnauze gefallen. Das ist die Wahrheit; das muss man doch einmal sagen können. Ich will den Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph Stiglitz, erwähnen, damit Sie nicht denken, die Einwände kämen nur von der Linken oder gelegentlich von der FDP; sie kommen auch von anderer Seite. - Dazu würde ich an Ihrer Stelle jetzt gar nichts sagen. Joseph Stiglitz hat der taz gesagt: Die wichtigste Ursache der gegenwärtigen Turbulenzen ist ein Übermaß an Deregulierung. Das ist das Problem. Wir wollen eine Re-Regulierung. Wenn die Politik die direkte Verantwortung für die Finanzmärkte weltweit aufgibt, dann schwächen wir die Demokratie. Denn die Wahlmöglichkeit zwischen der Union und der Linken würde diesbezüglich nichts mehr bringen, wenn beide in diesen Fragen nichts zu entscheiden haben. Genau das wollen wir aber nicht. Wir wollen ein Primat der Politik, auch über die Finanzmärkte, und nicht umgekehrt. Das heißt: Wir fordern ein Verbot von Nebengeschäften und Zweckgesellschaften. Wir meinen, dass angesichts dieser Unsummen, mit denen dort jongliert wird, entsprechende Sicherheiten hinterlegt werden müssen und es eine wirksame Kontrolle geben muss. Es ist schon absurd. Sie müssen den Bürgerinnen und Bürgern einmal Folgendes erklären: Wenn ein Bäckermeister eine zweite Filiale eröffnet und er die Umsätze nicht angibt, dann hat er mehrere Staatsanwälte und das Finanzamt auf dem Hals; da ist dann was los. Wenn ein ALG-II-Bezieher falsche Angaben macht und dadurch 50 Euro monatlich mehr bekommt, als ihm zustehen, dann werden wir aber aktiv. Aber wenn Milliarden weltweit verschleudert und verspielt werden, dann gibt es kein Finanzamt und keinen Staat, die sich darum kümmern. Das ist nicht vermittelbar. Jetzt kommt der eigentliche Nachteil. Wer haftet denn für eintretende Verluste? Das sind doch nicht Ihre Privatkassen. Dann haften die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist nicht vermittelbar. Herr Röttgen hat recht, wenn er das sagt. Das ist wirklich nicht vermittelbar. Das Problem ist, dass Sie, Herr Steinbrück, erst gesagt haben, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler würden diesmal nicht haften; dafür würden Sie sorgen. Jetzt sagen Sie: Na ja, 1,5 Milliarden Euro! Als ob das nichts wäre! 1,5 Milliarden Euro ist der Betrag, den die Union brauchte, um die Umsetzung ihrer Kindergeldforderung zu finanzieren. Dann kommt nachher wieder das Argument: Jetzt haben wir leider kein Geld mehr. Verstehen Sie, das sind die Zusammenhänge, die die Leute immer besser durchschauen. Die Steuermindereinnahmen sind doch ein gesellschaftliches Problem. Ich kenne die Zahlen nicht genau; ich tue auch nicht so, als ob ich sie genau kenne. Sie nennen als Größenordnung eine Summe von 5 bis 6 Milliarden Euro. Ich kann das nicht einschätzen. Es geht hier aber um Verluste in Milliardenhöhe. Wer muss die denn ausgleichen? Wollen Sie das wieder mit einer Mehrwertsteuererhöhung machen, oder wie müssen die Bürgerinnen und Bürger das bezahlen? Entweder Sie kürzen Leistungen oder Sie erhöhen Steuern; das ist nicht hinnehmbar. Es geht aber nicht nur darum. Die Länder übernehmen Bürgschaften. Viele Bürgschaften in Milliardenhöhe werden übernommen. Keiner von uns kann einschätzen, wie viel Geld davon fällig wird und wie viel Geld nicht fällig wird. Dann haben wir noch die Westdeutsche Landesbank. Die entscheidet sich, 1500 Menschen zu entlassen. Da trifft es direkt die Beschäftigten, die jetzt für die Verluste herhalten müssen. Das ist das, was mich so stört; Bankenkrise für Bankenkrise passiert dasselbe: Die Gewinne streichen die privaten Banken ein. Da schreien sie alle: Wir wollen keinen Staat. Kommt bloß nicht zu uns! Das sind unsere Gewinne. Es ist furchtbar, wenn wir dafür ein paar Steuern zahlen müssen etc. Die Gewinne streichen sie ein. Aber sobald Verluste vorhanden sind, rufen sie nach den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die das ausgleichen sollen. Die Zeche bezahlen letztlich immer dieselben. Es sind die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen, die Kranken, die abhängig Beschäftigten und nicht zu vergessen die kleinen und mittleren Unternehmen; denn diese werden steuerlich ganz anders kontrolliert als die Großkonzerne. Das ist ein Problem, das wir haben. Jetzt will ich gar nicht auf Herrn Zumwinkel zu sprechen kommen. Aber all das ist Symbolik. Wir haben das habe ich schon mehrfach gesagt einen Reichtum, der maßlos wird. Wir haben zunehmende Armut. Jede Gesellschaft verträgt hier nur eine bestimmte Spanne. Wenn diese Spanne immer größer wird, ist dies gesellschaftlich zerstörerisch. Deshalb sage ich Ihnen: Machen Sie etwas dagegen! Das sollte sich nicht so weiterentwickeln. Herr Röttgen hat zu Recht gesagt, dass wir über die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Banken neu diskutieren müssen. Das stimmt. Ich möchte daran erinnern: Landesbanken sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Sie sollen auch kleine Kredite an Bürgerinnen und Bürger sowie an kleine und mittlere Unternehmen gewähren. Es muss ihnen untersagt werden, weltweit zu spekulieren und dann noch frei von Kenntnis, also ohne jede Sachkenntnis, ohne wirksame Kontrolle und das Ganze zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen die Aufgaben der Landesbanken deutlich formulieren. Wir wissen das aus Berlin. Wir wissen das aus Sachsen und jetzt auch aus Bayern. Nun lassen Sie uns doch einmal etwas unternehmen, indem wir festlegen, was deren Aufgabe eigentlich ist. Sie sollen fördern und helfen und nicht weltweit spekulieren, wovon sie nichts verstehen, und dann müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das alles bezahlen. Genau das ist nicht hinnehmbar.