Zypries 03.06.2005 Bundestagsrede zum Gesetz über Offenlegung der Vorstandsvergütungen - im Wortlaut Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Anfang März haben wir uns mit der SPD-Fraktion darauf verständigt, dass die individuelle Offenlegung der Vorstandsbezüge bei börsennotierten Aktiengesellschaften gesetzlich geregelt werden soll. Das Kabinett hat daraufhin auf meinen Vorschlag am 18. Mai das so genannte Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz verabschiedet. Heute führt der Bundestag die erste Beratung des gleich lautenden Entwurfs der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen durch. Warum legen wir diesen Gesetzentwurf vor? Seine Geschichte beginnt im Jahr 2001, als die Bundesregierung die Regierungskommission Corporate Governance Kodex eingesetzt hat. Unter Leitung des renommierten Thyssen-Krupp-Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Gerhard Cromme erarbeitete sie 70 Empfehlungen für eine gute Unternehmensführung der börsennotierten Unternehmen. Der so genannte Corporate Governance Kodex, der Unternehmen Leitlinien für gute Unternehmensführung bieten soll, orientiert sich vor allem an einem Grundsatz, nämlich dem der Transparenz. Denn für die Aktionäre als Eigentümer der börsennotierten Unternehmen ist es wichtig zu wissen, welche Entscheidungen in der Unternehmensführung in Vorbereitung sind und ob diese nachvollziehbar sind. Nur dann ist auch Kontrolle möglich und nur dann, wenn Kontrollmöglichkeiten bestehen, können Fehlentwicklungen verhindert werden. Der Kodex enthält das, was Herr Cromme als "Verhaltensweisen eines ehrbaren Kaufmanns" umschreibt. Er ist auch im Ganzen gesehen eine echte Erfolgsgeschichte. Im Jahr 2005 werden allein im DAX-Segment durchschnittlich 70 der 72 Empfehlungen befolgt. Insgesamt beträgt die Umsetzungsquote mehr als 97 Prozent. Insofern wird deutlich, dass die Idee der Selbstregulierung funktioniert, in diesem Fall allerdings mit einer einzigen Ausnahme. Diese betrifft die Offenlegung der Vorstandsgehälter. Der Kodex empfiehlt, dass die Vorstandsgehälter individualisiert offen gelegt werden sollen. Wir haben immer sehr dafür geworben. Wir haben die Frist noch einmal verlängert und den Unternehmen gesagt: Bitte tut es selbst, sonst muss der Gesetzgeber handeln. - Die Offenlegung setzt sicherlich einen Kulturwandel in den Unternehmen voraus, zumindest in Deutschland, nicht aber in Großbritannien, Frankreich, Italien, den USA oder Kanada; denn überall dort ist eine individualisierte Offenlegung längst vorgeschrieben. Trotz der verlängerten Frist waren es gleichwohl nur etwa 70 Prozent der DAX-30-Unternehmen, die sich zu einer Offenlegung bereit erklärt haben. Bei den M- und S-DAX-Unternehmen ist die Quote noch deutlich niedriger. Ziel unseres Gesetzes ist die Stärkung der Kontrollrechte der Aktionäre. Es geht nicht darum, einen allgemeinen Informationswunsch der Öffentlichkeit zu erfüllen oder sogar Neid und Neugier zu befriedigen. Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen vielmehr, dass die Aktionäre, die Eigentümer der Unternehmen, darüber informiert werden, ob der Aufsichtsrat die Vergütung für den Vorstand angemessen festgesetzt hat. Das Aktiengesetz verlangt schon heute, dass die Bezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft stehen. Das sollen Aktionäre künftig nachvollziehen können. Der Gesetzentwurf sieht deshalb vor, dass künftig die gesamten Bezüge jedes einzelnen Vorstandsmitglieds unter Namensnennung anzugeben sind. Wir verlangen die Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene Komponenten sowie Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung wie Aktienoptionen. Wir wollen auch, dass die Ruhestandsgehälter sowie die Versorgungs- und Abfindungszusagen erfasst werden; denn gerade das ist einer der Punkte, bei denen es in der Vergangenheit immer wieder zu erheblichen Problemen gekommen ist. Ganz wichtig: Es geht um eine Stärkung der Aktionärsrechte. Deshalb sollen es letztlich die Aktionäre sein, die darüber entscheiden. Wir ermöglichen es jedem einzelnen Unternehmen, zu sagen: Wir wollen das nicht wissen. Das können die Aktionäre in der Hauptversammlung mit Dreiviertelmehrheit entscheiden. Ein solcher Beschluss gilt jeweils für fünf Jahre. Um es klar zu sagen: Wir wollen mit dieser Regelung den Kodex, also die freiwillige Selbstverpflichtung zu guter Unternehmensführung, nicht infrage stellen. Das ist nicht das Ziel; denn der Kodex funktioniert, wie gesagt, im Großen und Ganzen sehr gut. Er wird ständig weiterentwickelt. Wenn Sie heute die Zeitung gelesen haben, wissen Sie, dass man sich derzeit mit der Frage beschäftigt, wie die Aufsichtsräte zusammengesetzt sein sollen. Auch das ist ein ganz wichtiges Thema, auf das der Gesetzgeber ein Auge haben wird. An die Kollegen der FDP sage ich - ich muss monieren, dass die Opposition in der Debatte über dieses Thema nicht sehr stark vertreten ist -: Unser Vorschlag ist besser, weil er klarstellt, dass zunächst einmal offen gelegt werden muss. Erst dann kann davon abgewichen werden. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, argumentieren Sie: Die Hauptversammlung kann ja entscheiden, ob offen gelegt werden soll. Ich meine, dass das ein Schritt zu wenig ist; denn diese Möglichkeit besteht schon jetzt und wird nicht wahrgenommen. Damit wird die Logik umgedreht. Es hilft uns deshalb nicht weiter. Ich appelliere an Sie: Ermöglichen Sie es uns, unseren Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung durchzubringen! Es ist nicht unser Anliegen, sondern auch das der Bevölkerung, die bei der Altersvorsorge verstärkt zu Aktien greift und deshalb wissen will, was in den Unternehmen geschieht. Lassen Sie uns den Gesetzentwurf noch in dieser Legislaturperiode durchbringen! Sehen Sie von einer anderen Form der Offenlegung ab! Sonst würde das Verfahren verzögert.