Fischer 23.04.1998 Bundestagsrede zur Euro-Einführung - im Wortlaut Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt der Einführung der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zu. Mit diesem Schritt, den der Deutsche Bundestag heute mit großer Mehrheit beschließen wird, wird der europäische Integrationsprozeß eine neue Qualität erreichen. Zur europäischen Integration gibt es angesichts der grauenhaft gewalttätigen europäischen Geschichte, gerade auch in der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, angesichts ihrer zahlreichen Katastrophen, angesichts der Interessenlage unseres Landes, Deutschlands, und als Antwort auf das Heraufziehen des Zeitalters des Globalismus aus meiner Sicht keine Alternative. Man mag, als frei gewähltes Parlament muß man den europäischen Einigungsprozeß kritisieren. Vieles ist unzulänglich. Dies gilt auch für die Kritik am Maastricht-Vertrag. Wir hätten uns eine Parallelität von politischer Integration und ökonomischer, währungspolitischer Integration gewünscht. Aber: dieser Prozeß war nicht zu haben. Die Ökonomie, die Währungspolitik mußte vorangehen. Die Entscheidungen sind gefallen. Heute ist eine abschließende Entscheidung zu treffen. Vor diesem Hintergrund, glaube ich, muß klar und eindeutig gesagt werden: Wenn der europäische Integrationsprozeß auf Grund der Geschichte, aber auch auf Grund der Herausforderungen der Zukunft alternativlos ist, dann muß heute entschieden und zugestimmt werden. Deshalb haben wir uns für das Ja entschieden. Der Euro ist ein politisches Projekt. Wir haben ihn heute aber wieder vor allen Dingen als ökonomisches Projekt diskutiert. Ich will nachher auf die Stabilitätsdebatte eingehen, weil ich glaube, daß dadurch mehr verhüllt als aufgeklärt wird. Im Rückblick wird der Euro, wenn er erfolgreich ist - dieses Wenn, Herr Bundeskanzler, möchte ich hier setzen, und über die Bedingungen des Erfolgs möchte ich hier noch sprechen -, eine konstitutionelle Revolution; denn er wird die Herausbildung eines handlungsfähigen europäischen Subjekts mit sich bringen, für das wir alle gemeinsam einstehen. Mit dem heutigen Tag geht ein Abschnitt von 50 Jahren zu Ende. Das bedeutet den Abschied von der D-Mark. Der Abschied von der D-Mark bedeutet ein Stück weit - insofern werden wir alle miteinander gut beraten sein, die Ängste, aber vor allen Dingen auch die Emotionen, die hinter diesen Ängsten stehen, ernst zu nehmen - auch einen Abschied von einer erfolgreichen - eigentlich der einzigen erfolgreichen - demokratischen Phase in unserer nationalen Geschichte. Die Bindung an die D-Mark war viel mehr als Ökonomie. Sie war auch die Abkehr der Deutschen von den Verirrungen und Verführungen des Machtstaates und von einer prinzipienlosen, die Menschenrechte ignorierenden Machtpolitik. Das dürfen wir nicht vergessen. Wenn wir die Zukunft des Euros diskutieren, müssen wir auch die Wertefrage diskutieren. Wenn wir über die Chancen und Risiken des Euros diskutieren, dürfen wir nicht vergessen, daß wir nicht nur über Geld reden, sondern daß wir, wenn der Euro ein Erfolg werden soll, immer auch über die normative Grundlage dieses entstehenden Europas sprechen müssen; ansonsten werden wir die Menschen als politische Klasse zurücklassen. Die europäische Teilung ist nicht nur das Ergebnis zweier Weltkriege gewesen - Europa war der Schauplatz von drei Weltkriegen; den kalten Krieg kann und muß man dazurechnen -, nicht nur das Ergebnis der Machtpolitik Stalins, sondern auch das Ergebnis der Auslieferung der Deutschen und Deutschlands an einen Verbrecher namens Hitler. Die Rote Armee wäre nicht nach Berlin gekommen, die deutsche Teilung hätte es nicht gegeben, wenn es in Deutschland nicht das verfluchte Jahr 1933 gegeben hätte. Das dürfen wir nicht vergessen. Ich rate uns allen, gerade den Jüngeren, das nicht zu vergessen. Unsere Nachbarn vergessen das nicht. Es gehört sich eigentlich nicht, den Bundeskanzler im Wahljahr in Schutz zu nehmen. Aber sowohl von Francois Mitterrand als auch von Helmut Kohl muß ich sagen: Ich finde ihre Haltung nicht altmodisch. Sie ist das Vermächtnis einer abtretenden Generation, das gerade die Deutschen pflegen müssen. Es geht nicht darum, daß wir die D-Mark für unsere Geschichte hergeben müssen; vielmehr geht es für uns darum, zu begreifen, daß die Einbindung Deutschlands, dieses großen Landes, gelegen in der Mitte Europas, in die europäischen Interessen bedeutet, daß unsere nationalen Interessen immer nur durch europäische Interessen definiert werden und daß dies auch in Zukunft die Voraussetzung des Erfolgs jeder demokratischen Politik in Deutschland sein wird. Daran werden wir uns erinnern und festhalten müssen. Herr Kollege Genscher, jenseits der parteipolitischen Einsprengsel, die in Ihrer Rede selbstverständlich enthalten sein mußten, möchte ich mich für Ihre Rede bedanken. Sie haben eine große Rede gehalten, in der Sie noch einmal die Grundlagen der deutschen Politik in und für Europa und damit für uns selbst klargemacht haben. Ich gratuliere Ihnen zu dieser Rede und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft. Gerade weil ich zum Euro ein klares Ja sage, müssen wir uns die Frage stellen, warum, obwohl wir uns unter den demokratisch gewählten Abgeordneten dieses Hauses in großer Mehrheit einig sind, sich diese Einigkeit im Volk nicht widerspiegelt. Ich denke, das hat sehr viel damit zu tun, Herr Bundeskanzler, daß wir den Mut nicht hatten, eine Volksabstimmung durchzuführen. Ich betone: Wir - mit "wir" meine ich, daß wir auf derselben Seite gefochten hätten - hätten gewonnen, weil es nicht parteipolitisch zugegangen wäre, sondern um ein Ja oder Nein im Rahmen einer Volksabstimmung. Wir hätten zwar ähnlich knapp wie in Frankreich, aber mit der Wirkung gewonnen, daß das Volk nachvollzogen hätte, was seine Repräsentanten in richtiger und vorausschauender Politik für notwendig gehalten haben. Herr Bundeskanzler, es macht ein Stück weit Ihre Tragödie aus, daß immer wieder dann, wenn es darauf ankam, bei der politischen Integration einen entscheidenden Schritt vorwärts zu tun und auch hier zu öffnen, der Parteipolitiker Helmut Kohl letztendlich in Bedrängnis geraten ist. Dessen Bedrängnis kann ich sehr gut nachvollziehen, wenn ich mir den Aufstand der CSU in dieser Frage anschaue. Ich bin der letzte, der hier die Nase hebt. Auch ich habe im eigenen Laden Ärger genug. Gott sei Dank sind wir alle hier - auch der Kollege Schäuble - mittlerweile mit Ärger reichlich gesegnet; insofern können wir offen miteinander reden. Es hätte dem europäischen Integrationsprozeß durch die Bereitschaft des deutschen Volkes, in seiner Mehrheit mitzugehen, sehr gutgetan, wenn wir den Schritt zu einer Volksabstimmung gewagt hätten. Diesen Schritt hätten die Bundesregierung und die Koalition machen müssen. Meines Erachtens resultieren die Ängste vor allen Dingen aus zwei strukturellen Punkten. Der erste Punkt ist das Demokratiedefizit. Ich halte es für einen Ausdruck von Reife, wenn die Mehrheit unseres Volkes gegenüber einer ökonomischen Souveränitätsübertragung auf die europäische Ebene, ohne daß zuvor eine Demokratisierung stattgefunden hat, sehr reserviert ist. Diese Kritik teile ich; sie ist für mich Ausdruck demokratischer Reife. Der zweite Punkt ist das Gerechtigkeitsdefizit. Wir können einfach nicht ignorieren, daß die Wirtschafts- und Währungsunion von vielen Menschen in der Europäischen Union als eine Entwicklung, die mehr Arbeitslosigkeit mit sich gebracht hat, die mehr Lasten bei den Menschen unten abgeladen und mehr Entlastung bei den Menschen oben hervorgerufen hat, erfahren wird. Es ist eine völlig andere Frage, daß dies ursächlich nicht mit der Wirtschafts- und Währungsunion zu tun hat, sondern mit einer falschen Politik. Wir unterscheiden uns nicht hinsichtlich der Frage einer strukturellen Erneuerung. Sie selbst erleben ja gegenwärtig, wie weit die Erneuerer in Ihrer eigenen Partei sind. Mit der bescheidenen Vorstellung, eine Ökosteuer auf europäischer Ebene einzuführen - dies wäre gewissermaßen nur das dringend notwendige Minimum -, haben Sie bereits sämtliche "Stillstandsapostel" aus der CSU mobilisiert, die Ihren Programmentwurf schlichtweg einstampfen wollen. Wenn ich mir vorstelle, daß wir weitergehen und zum Beispiel wirklich eine Senkung der Lohnnebenkosten bei der Rentenversicherung um etwa drei Prozentpunkte - vier Prozentpunkte wären besser; das würde je Prozentpunkt 15 Milliarden DM ausmachen - gegenfinanzieren, dann möchte ich den Aufschrei hören, der durchs Land geht. Ich sage Ihnen, daß das Gerechtigkeitsdefizit neben dem Demokratiedefizit angesichts von 18 Millionen Arbeitslosen die zweite Ursache für die Euro-Skepsis ist, die es in diesem Lande gibt. Deswegen gestatten Sie mir, daß ich einmal versuche, diese beiden Punkte durchzuanalysieren. Es ist merkwürdig: Immer wenn es im europäischen Einigungsprozeß um Wirtschaftsfragen geht, sind Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ein antreibender Faktor. Bei den Verhandlungen über den Vertrag von Amsterdam aber hat sich Helmut Kohl zum erstenmal eher als Bremser betätigt. Ich frage mich, inwieweit Sie - damit meine ich auch die Koalition, die Konservativen - tatsächlich zu einem weitergehenden politischen Integrationsprozeß in der Lage sind. Wenn Sie sich einmal das Abstimmungsverhalten der Gaullisten in Frankreich anschauen und das nicht nur in kleinlicher parteipolitischer Hinsicht bewerten, dann werden Sie feststellen, welche Probleme auf das konservative Lager auch in Deutschland bei einer voranschreitenden europäischen Integration tatsächlich zukommen. Die Konservativen in Großbritannien haben ähnlich schwere Probleme. Ich möchte Ihnen das an sehr praktischen Beispielen verdeutlichen. Ich habe vorhin gesagt - da haben Sie alle genickt -, daß die normative Grundlage dieses zusammenwachsenden Europas klar sein muß. Das bedeutet auch eine Abkehr vom Nationalstaat. Die Nationalstaaten werden bestehenbleiben, aber wir wachsen zusammen; wir übertragen Souveränitätsrechte. Ich frage Sie: Wie paßt denn Ihre Haltung zum Staatsbürgerrecht zu einem zusammenwachsenden Europa? Das würde mich einmal interessieren. Nein, nein, schätzen Sie das nicht gering ein, halten Sie das nicht für kleinliche Innenpolitik. Es stellt sich die Frage, wie weit wir bereit sind, hier ein europäisches Staatsbürgerrecht durchzusetzen und uns ein Stück weit von einem nationalen Staatsbürgerrecht zu verabschieden. Zu Europa gehört der europäische Citoyen. Das setzt voraus, daß wir unser Staatsbürgerrecht entsprechend dem europäischen Standard harmonisieren. Sie reden viel von Harmonisierung. Aber wie ist es denn zu verstehen, daß junge Menschen mit türkischen Vorfahren, junge Menschen, die hier, in diesem Lande, geboren werden - die zweite, die dritte Generation -, nicht selbstverständlich in den Genuß eines solchen europäischen Staatsbürgerrechts an der Schwelle zum 21. Jahrhundert in Deutschland kommen sollen? Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler, ob es Sie nicht wirklich alarmieren muß, daß von einem Rechtsradikalen wie Le Pen das nach wie vor gesetzlich geltende deutsche Staatsbürgerrecht als Vorbild bezeichnet wird. Ich frage Sie, ob Sie als Europäer das nicht in höchstem Maße alarmieren muß. - Reden Sie doch nicht über die Unionsbürgerschaft. Die Frage ist doch, wie Sie heute mit den Bosniern umgehen, die Sie möglichst schnell wieder loswerden wollen. Sie sind doch auch wie ich der Meinung, daß wir eine doppelte Staatsangehörigkeit brauchen, daß wir selbstverständlich den hier Geborenen ein entsprechendes Angebot machen müssen. - Also gut, ein junger Wilder, der nicht dafür ist. Dann nehme ich das zurück. Entschuldigung, da habe ich mich in Ihrem Lebensalter getäuscht. Es tut mir leid. Ich nehme das zurück. Ich möchte Sie nicht für etwas vereinnahmen, wofür Sie nicht sind. Ich sage nur: In der Union gibt es genügend jüngere Abgeordnete, die das genauso sehen wie wir, auch ältere Abgeordnete. Wir hätten im Deutschen Bundestag für die notwendigen Änderungen schon längst eine Mehrheit, wenn Sie endlich Ihre Blockade in diesem Punkt aufgeben würden. Aber bitte! Für mich ist das symptomatisch, was den politischen Integrationsprozeß betrifft. Ich habe mir das angehört, was der Kollege Stoiber gesagt hat. Ich habe mir angehört und habe gelesen, wie die Haltung der Bayerischen Staatsregierung zur Agenda 2000 aussieht. - Herr Ministerpräsident Stoiber, immer noch; bitte. Ich habe noch die Attacke auf Bundesaußenminister Kinkel im Ohr. Es geht nicht darum, ob Sie, Herr Kinkel, das ertragen oder nicht, sondern es geht darum, was tatsächlich dahintersteckte. Sie waren ja nicht gemeint. Herr Stoiber weiß ja sehr gut - bei aller Bedeutung, die Sie für den europäischen Einigungsprozeß haben und die ich überhaupt nicht schmälern möchte -, daß der Bundeskanzler und das Bundeskanzleramt, die ja eine sehr zentrale Rolle beim europäischen Einigungsprozeß und auch bei der Agenda 2000 spielen, gemeint waren. Wenn ich diese Äußerungen einmal in die Zukunft hineinprojiziere und wenn ich die vielen Stabilitätsreden, die hier gehalten werden, und auch solche Reden, wonach das alles nichts kosten wird, berücksichtige, dann muß ich doch deutlich sagen: Ja aber, liebe Leute, wir müssen unserem Volk sagen, daß die Osterweiterung der Europäischen Union natürlich nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Und dann wird man sagen können: Bitte schön, keine weiteren Kosten und ähnliches. Machen Sie einmal die umgekehrte Rechnung auf, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn eine Zone der Instabilität, der Nicht-Integration, des Hinhaltens und ähnlichem östlich von unseren Grenzen entstehen würde - von der moralischen Verantwortung, die der Bundeskanzler heute angesprochen hat, und der historischen Verpflichtung ganz zu schweigen. Es würde wesentlich teurer werden. Es liegt in unserem elementarsten Interesse, daß es zur Ost- und Süderweiterung der EU kommt. Nur, wir müssen unserer Bevölkerung dann auch klipp und klar sagen, daß dies entsprechende Anpassungsprozesse voraussetzen wird, die nicht einfach sein werden. Vor allen Dingen: Dies wird kein kostenneutraler Prozeß sein. So ehrliche Worte hätte ich mir gewünscht. Nur, was ich bei Herrn Stoiber und bei Teilen der CSU, die er vertritt - ich weiß nicht, welche Teile Herr Glos hier vertritt -, herausgehört habe, ist, daß ihnen dieser ganze Prozeß nicht paßt. Der Bundeskanzler hat heute ja zu Recht darauf hingewiesen, als er sagte: Unter den Leuten, die den Euro kritisieren, sind einige, die ihn gar nicht wollen. Da kann ich Ihnen sagen: Da hätten Sie Stoiber dazurechnen müssen. Denn ganz offensichtlich wollen nach dem, was ich gehört habe, diese Teile der CSU - ich weiß nicht, ob das nicht auch für Teile der CDU gilt - den Osterweiterungsprozeß so nicht, sondern zu Bedingungen, die Deutschland gewissermaßen diktiert. Dahinter steckt, daß sie natürlich auch den Vertiefungsprozeß nicht wollen. Damit komme ich auf das Interview des Kollegen Stoiber in der "Süddeutschen Zeitung" unmittelbar nach der deutschen Einheit zu sprechen, in dem er klar gesagt hat: Jetzt sind wir vereint, jetzt ist es zu Ende mit der europäischen Phase in unserer Geschichte; jetzt können wir wieder unsere eigenen Wege gehen. Das ist ein falscher Weg; das ist ein Irrweg. Nur, wir müssen klar darauf hinweisen, daß in der Regierungskoalition, namentlich in der CDU/CSU, dieser Widerspruch nicht nur existiert, sondern daß er dort allmählich stärker wird und machtpolitisch bedeutsame Züge annimmt. Wenn sie hier schon auf andere hinweisen, dann hätte ich mir gewünscht, daß sie diese Sachverhalte klipp und klar darstellen. Viele Angriffe, Herr Kollege Schäuble, die Sie betrafen, zeigen: Man will verhindern, daß Sie Kanzlerkandidat nach dem kommenden Sonntag werden; das ist mir schon klar. Aber dahinter steckt natürlich auch etwas anderes. - Mit Herrn Schröder muß ich mich nicht auseinandersetzen. Sie sind die Regierung; Sie tragen die Verantwortung für die Verhältnisse hier im Lande. Da sie sich jetzt wie Hasen in die Furche legen und beklagen, daß die Bürokratie in diesem Lande wuchern würde, kann ich ihnen nur sagen: Unter seiner Ägide wuchert es seit 16 Jahren und nicht unter unserer. Meine Damen und Herren, ich möchte mich ausdrücklich bei Herrn Genscher und beim Bundeskanzler dafür bedanken - und wenn der Kollege Schäuble diese Maximalposition teilt, dann bedanke ich mich auch bei ihm -, was hier über Italien gesagt wurde. Ich kann das nur nachdrücklich unterstützen. Ich möchte hier darauf hinweisen, daß ich auch die großen Anstrengungen, die Griechenland unternimmt, respektiere, auch wenn es bis jetzt noch nicht soweit ist. Dennoch bin ich der Meinung: Wir sollten uns generell eine gewisse Arroganz - auch und gerade nach der Aktion "Goldraub" und der Not des Theo Waigel, die wir hier alle gemeinsam erlebt und genossen haben - im Umgang mit den südeuropäischen Ländern definitiv abgewöhnen. Das tut uns nur gut. Der zweite Punkt ist, wie gesagt, das Gerechtigkeitsdefizit. Das wird meines Erachtens nach in weiten Teilen zu Unrecht Europa angelastet. Denn es ist ja so: Ökonomisch dominiert sehr stark die Bundesrepublik Deutschland. In ökonomischer, währungspolitischer und arbeitsmarktpolitischer Hinsicht dominiert sehr stark die Politik der Bundesregierung. Ich möchte mich in der verbleibenden Zeit noch etwas mit der Stabilitätsdebatte auseinandersetzen. Stabilität wird hier als Fetisch gehandhabt. Stabilität wird hier deswegen als Fetisch gehandhabt, weil hinter der Stabilitätsdebatte natürlich etwas anderes steht. Hinter der Stabilitätsdebatte steht, daß alle anderen europäischen Nationen sich gefälligst auf die Vorgaben der deutschen Politik einzulassen haben. Ich empfehle, Herr Bundeskanzler, die Lektüre des heutigen "Handelsblatts", Seite 2, wo sehr sorgfältig die Entscheidung der Französischen Nationalversammlung analysiert und sehr sorgfältig auf die deutsch-französische Achse eingegangen wird. Ich halte die deutsch- französische Achse für unverzichtbar, für nicht ersetzbar durch eine Triade, durch nichts dergleichen. Bis sich Großbritannien definitiv für Europa entscheidet und eine ähnliche Motorrolle wahrnehmen kann, wie dies Deutschland und Frankreich tun, wird es noch lange dauern. Ich weiß nicht, Gerhard Schröder, ob wir beide das erleben werden. Auf jeden Fall halte ich diese deutschfranzösische Achse für unverzichtbar. Aber man muß auch wissen, daß Frankreich eine andere Kultur hat und daß Frankreich vor zehn Jahren, seit Mitterrand, die Politikwende durchgeführt hat und auf Stabilitätskurs gegangen ist und einen enorm hohen Preis zahlt in Form von Arbeitslosigkeit und sozialer und zunehmend auch politischer Destabilisierung. Das große Problem, das ich sehe, ist, daß, wenn wir weiterhin die Stabilität so einseitig, wie Sie es getan haben, definieren, der Euro sehr schnell politisch unter Druck geraten wird - das wird das große Problem sein -, weil die anderen Länder diese Stabilitätspolitik nicht nachvollziehen wollen und nicht nachvollziehen können, ohne in eine politische und soziale Destabilisierung hineinzulaufen. Das heißt: Wenn wir mit unserem Volk ehrlich reden wollen, dann verstehe ich zwar, daß man sich hier als Konservativer hinstellt und sagt: "Der Euro wird genauso stabil wie die D-Mark", aber ehrlicherweise, Herr Kollege Schäuble - das wissen Sie ganz genau -, müßten Sie hinzufügen, daß natürlich die Stabilitätsleistung, die die Europäische Zentralbank zu erbringen hat, nicht nur auf deutsche Interessen Rücksicht nehmen darf. Wenn dem aber so ist, dann heißt der Integrationsprozeß natürlich auch, daß wir den Schritt - und da will ich hin - zu einer politischen Integration brauchen. Das ist für mich der entscheidende Punkt. Herr Bundeskanzler, ich glaube nicht an den Erfolg des Euro, wenn wir nicht wirklich anfangen, jetzt und in den kommenden Jahren den Knoten durchzuhauen, was dann den politischen Integrationsprozeß und die Vergemeinschaftung von Wirtschafts-, Währungs- und Sozialpolitik tatsächlich mit sich bringt, weil ich nicht sehe, wie dann die sozialen Widersprüche der jeweiligen nationalen Wirtschaftsräume, die nach wie vor existieren werden, trotz des gemeinsamen Währungsraums, politisch unter einen Hut gebracht werden können. Das zeigt die Auseinandersetzung, die gestern in der Französischen Nationalversammlung stattgefunden hat. Das muß uns alle sehr nachdenklich machen. Deswegen, meine Damen und Herren: Der Euro kann zum Erfolg werden, wenn die Bedingungen erweitert werden, wenn wir Stabilität nicht nur als Geldwertstabilität definieren, sondern auch als soziale Stabilität. Das wird eine der zentralen Voraussetzungen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben große Verdienste um den europäischen Einigungsprozeß. Sie haben mit dem heutigen Tag Ihr zweites großes Ziel erreicht. Was ich aber nicht glaube, ist, daß Sie die Kraft haben werden, in dieser Konstellation auch den politischen Einigungsprozeß, der jetzt vor uns steht, noch in Angriff zu nehmen.