Waigel 12.03.1991 Bundestagsrede Einbringung des Bundeshaushalts- und Finanzplans zur Wiedervereinigung - im Wortlaut Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Ihnen heute zur ersten Beratung vorliegende Entwurf des Bundeshaushalts 1991 ist der Haushalt der Wiedervereinigung. Fast ein Viertel aller Ausgaben von über 400 Milliarden DM bezieht sich auf die am 3. Oktober 1990 neu hinzugekommenen Bundesländer. Umfang und Struktur dieses Haushaltsentwurfs sind Zeugnis der gewaltigen Herausforderungen, vor die wir seit dem Fall von Mauer und Stacheldraht im November 1989 gestellt sind. Es geht jetzt darum, die Folgen von 45 Jahren katastrophaler sozialistischer Mißwirtschaft zu beseitigen. Zugleich müssen wir uns den gestiegenen internationalen Anforderungen an ein wiedervereinigtes Deutschland stellen. Dieses Zusammentreffen gewaltiger Aufgaben erfordert den Zusammenhalt aller Kräfte. Und ohne die finanz- und haushaltspolitische Absicherung ist der Einigungsprozeß nicht gestaltbar. Die SPD unterstellt uns, wir hätten die Probleme im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung verharmlost und den Bürgern mögliche Belastungen verschwiegen. Das Gegenteil, meine Damen und Herren, läßt sich beweisen. Ich habe in einer Ansprache vor dem Zentralausschuß der Deutschen Landwirtschaft am 14. Februar 1990 folgendes gesagt: "Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der DDR und dann die Wiedervereinigung haben ihren Preis. Wir dürfen den Menschen keinen Sand in die Augen streuen. Ebenso wie die Solidargemeinschaft der Bürger in der Bundesrepublik den Beitrag jedes einzelnen fordert, ist die Solidarität auch im wiedervereinigten Deutschland unverzichtbar". Der Bundeskanzler und andere Mitglieder der Regierung haben darauf ebenfalls hingewiesen: Die Wiedervereinigung ist nicht zum Nulltarif zu haben. - Auch Gelächter kann über die Richtigkeit dieses Satzes nicht hinwegtäuschen. Außer falschen Prognosen und Gelächter haben Sie zur Wiedervereinigung im ökonomischen Bereich relativ wenig beigetragen. Und wenn es nach Ihrem Kanzlerkandidaten gegangen wäre, dann hätten wir heute kein wiedervereinigtes Deutschland. Richtig ist: Niemand konnte im letzten Jahr und niemand kann heute die Gesamtinvestitionen für den vollen Anschluß der neuen Bundesländer an die Wirtschaftskraft des westlichen Teils Deutschlands beziffern. Ich habe das hier und an vielen anderen Stellen immer wieder gesagt: Niemand kann die Kosten dieser Wiedervereinigung voraussagen. Niemand konnte das voraussagen! Aber wir haben die ökonomischen Voraussetzungen und die Wachstumsvoraussetzungen dafür geschaffen, daß sich dieser Prozeß heute finanzierbar darstellt, ohne die Solidität unserer Finanzen zu gefährden. Das ist unsere Antwort. Wir alle, die Gewerkschaften, die Unternehmen und alle gesellschaftlichen Gruppen, entscheiden gemeinsam darüber, in welcher Form und in welcher Geschwindigkeit wir die wirtschaftliche und soziale Integration vollziehen. Der Umfang der privaten Investitionen, die Verteilung der Ressourcen auf Konsum und Investitionen, die Tariflohnentwicklung, die Entwicklung in früheren sozialistischen Staaten sind Faktoren außerhalb des unmittelbaren Einflußbereichs der Politik. Diese Faktoren sind für das Tempo des wirtschaftlichen Aufholprozesses mindestens ebenso wichtig wie staatliche Zahlungen und Förderinstrumente. Meine Damen und Herren, ich darf Sie vielleicht einmal an folgendes erinnern: Noch im September 1989 warnte der Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine "vor unbedachten Wiedervereinigungsparolen". Ist das eigentlich schon so lange vorbei, daß Sie sich daran erinnern lassen müssen, mit welchen falschen Parolen und welchen falschen Prophezeiungen Sie in das Jahr 1990 gegangen sind? Oskar Lafontaine irrte auch, als er im letzten Jahr von der früheren DDR als einem "führenden Industrieland" und "attraktiven Produktionsstandort" sprach. Das Ausmaß der vom Sozialismus hinterlassenen Zerstörung mußte aber selbst kühle Realisten und Skeptiker gegenüber der kommunistischen Propaganda überraschen. Die Produktivität belief sich in der früheren DDR vor Einführung der Marktwirtschaft lediglich auf ein Drittel des westdeutschen Niveaus. Produktions- und Beschäftigungsstruktur entsprachen in keiner Weise der nationalen und internationalen Nachfrage. Die Anlagen waren größtenteils veraltet, ganze Fabrikausstattungen stammten noch aus der Zeit vor 1945. Die einseitig auf Braunkohle ausgerichtete Energiewirtschaft konnte ihre Produktionsleistung nur um den Preis gewaltiger Umweltschäden erbringen. Wenn das für Sie alles bekannt war, wie konnte dann ein so kluger Mann wie Ihr Kanzlerkandidat von einem guten Investitionsstandort sprechen? Diesen Zwiespalt und Widerspruch in Ihrer Argumentation verstehe ich nicht. Die Infrastruktur muß praktisch von Grund auf wiederholt werden. So ist das völlig überlastete Eisenbahnnetz in seiner Ausbauqualität sogar noch weit hinter den Stand von 1939 zurückgefallen. Nicht viel besser sieht es im Straßenwesen aus. Auch das früher vorbildliche S- und U-Bahn-System Berlins ist im östlichen Teil der Stadt seit 1939 nicht modernisiert worden. Bis zur Wiedervereinigung gab es in der früheren DDR nur 16 Telefone auf 1000 Einwohner. Die größten Schäden - so hat es der Leipziger Gewandhauschef Kurt Masur sinngemäß ausgedrückt - sind jedoch nicht bei den Straßen und in den Fabriken, sondern in den Köpfen der Menschen entstanden. Für viele unserer. neuen Mitbürger ist es nach Jahren sozialistischer Indoktrination und Bevormundung schwer, sich auf die neuen Lebensumstände einzustellen. Wir diskutieren heute - gut fünf Monate nach dem 3. Oktober 1990 - über die finanzpolitische Bewältigung der Wiedervereinigungsaufgaben. Wer zu diesem Zeitpunkt eine umfassende Erfolgsbilanz erwartet, hat den Faktor "Zeit" völlig ausgeklammert. Dabei müßte gerade die Opposition aus eigener Erfahrung wissen, wie lange es dauern kann, vergleichsweise geringe Struktureinbrüche und Strukturumbrüche ökonomisch zu überwinden. Nach den Ölpreiskrisen von 1973 und 1979 dauerte es jeweils zwei bis drei Jahre, bis der wirtschaftliche Erholungsprozeß langsam einsetzte. Wenn dies bei nur extremen Einflüssen so lange dauerte, dann, meine Damen und Herren, müssen Sie zugeben, daß wir in einem Jahr sehr viel bewegt haben und keine Mühen und keine Kosten gescheut haben, um diesen ökonomischen Anpassungsprozeß voranzubringen. Zusätzliche Anforderungen an das wiedervereinigte Deutschland sind nicht auf den nationalen Rahmen beschränkt. Mit der Aufhebung der Teilung ist Deutschland unmittelbar zum gleichberechtigten souveränen Mitglied der Völkergemeinschaft geworden. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat uns im letzten Jahr "Partnerschaft in der Führung" angeboten. Aber das war keine schmeichelhafte Aussage zur Stärkung unseres nationalen Selbstbewußtseins. Die Welt erwartet von uns - als einer der größten Industrienationen - einen noch größeren Beitrag zur Lösung internationaler Aufgaben und Konflikte. Wir waren auf diese zunehmenden Verpflichtungen eingestellt. Wir haben - unmittelbar im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und der Ost-West-Entspannung - der Sowjetunion 15 Milliarden DM für den Truppenabzug bis 1994 zugesagt. Wir haben durch Bürgschaften, Kredite und direkte finanzielle Unterstützung unseren Nachbarn im Osten auf dem Weg zu Marktwirtschaft und Demokratie Beistand geleistet. Meine Damen und Herren, jeder, der das kritisiert, muß sich fragen lassen, ob die Kosten dann, wenn wir diese Unterstützung nicht gewährten, nicht sehr viel höher wären, um auf dem Weg zu Demokratie und freier Marktwirtschaft auch künftig entscheidend voranzukommen. Allein in den Haushaltsjahren 1990/91 belaufen sich die Mittel für die Sowjetunion und die mittel- und südosteuropäischen Staaten auf 8,6 Milliarden DM. Hinzu kamen die - zumindest in ihrer Höhe - nicht vorhersehbaren Beiträge zur Finanzierung des UNO-Einsatzes am Golf. Die Forderung, einen solchen Betrag vor allem durch Einsparungen auszugleichen, ist eine finanz- und haushaltspolitische Illusion. Wir haben an Einsparungen und Entlastungen getan, was möglich war. Sie haben in Ihrer Regierungszeit nie ein Konsolidierungsvolumen von 50 Milliarden DM in zwei Jahren erreicht. Seit Beginn des Wiedervereinigungsprozesses wurden Haushaltsentlastungen mit einem Gesamtvolumen von fast 50 Milliarden DM beschlossen. 37 Milliarden DM hiervon entfallen auf den Entwurf des Bundeshaushalts 1991. Mehr als die Hälfte dieser 50 Milliarden DM sind Ausgabenkürzungen. Wer noch mehr verlangt, muß sagen, wen er meint und wo er ansetzen will. Der größere Anteil der vorgesehenen Einnahmeverbesserungen entfällt auf die Anhebung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung. Wer im Zusammenhang mit dieser - und durch die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge noch gemilderten - Beitragsanhebung polemisch vom "Abkassieren" spricht, der kann das Wort "Solidarität" nicht genügend begreifen. Die Arbeitslosenversicherung war immer eine Solidargemeinschaft der Beschäftigten und der Arbeitssuchenden. Auch die frühere, sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat bei steigender Arbeitslosigkeit mit Beitragsanhebungen und Ausgabenkürzungen der Bundesanstalt für Arbeit reagiert. Neben den an erster Stelle stehenden Ausgabenbeschränkungen ist ein vorübergehender Anstieg der Kreditfinanzierung richtig und ökonomisch sinnvoll. Es geht um Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes und um die Sicherung von Frieden, Freiheit und Demokratie. Nie zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte sind Kredite sinnvoller eingesetzt worden als zur finanzpolitischen Flankierung der deutschen Einheit. Im letzten Jahr ist uns die Frage nach zusätzlich erforderlichen Steuererhöhungen gestellt worden. Nach ökonomischen Kriterien und finanzpolitischen Vorgaben muß die Reihenfolge der Finanzierungsalternativen lauten: erstens Ausgabenbeschränkungen, zweitens Kreditaufnahme und erst dann, wenn alle anderen Instrumente ausgeschöpft sind, Steuererhöhungen. Ich habe das am 17. September 1990 bei einer öffentlichen Veranstaltung in München wie folgt umschrieben: Steuererhöhungen müssen das Letzte sein; sie dürfen nicht am Anfang stehen und nur dann erfolgen, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind. Bemerkenswert ist nicht die Tatsache von Steuererhöhungen im Frühjahr 1991, sondern der Zeitraum, in dem wir ohne sie ausgekommen sind. Meine Damen und Herren, die Gleichung ist ganz einfach: Die SPD hätte bereits im Herbst 1989, spätestens bei der Währungsunion die erste Steuererhöhung, bei der Vereinigung die zweite und jetzt die dritte und vierte durchgeführt. Wir haben drei Nachtragshaushalte mit Einsparungen, mit Umschichtungen finanziert und sind bis heute - das ist für die deutsche Volkswirtschaft gut - ohne Steuererhöhungen ausgekommen. Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer Steuerpolitik. Meine sehr verehrten Damen und Herren, weder nach dem ursprünglichen Regierungsentwurf des Bundeshaushalts 1991 vom Juli letzten Jahres noch nach den Eckwertebeschlüssen vom November 1990 waren Steuererhöhungen erforderlich. Wir haben Milliardenbeträge auch für Osteuropa ohne Steuererhöhungen bereitgestellt. Noch Anfang Januar 1991, bei der Vorbereitung des Kabinettsentwurfs, standen Steuererhöhungen nicht auf der Tagesordnung. Bis zum Ausbruch des Golfkrieges habe ich niemandem den Auftrag gegeben, Steuererhöhungsoptionen zu erarbeiten. Wenn die Ausgaben für den Golfkrieg nicht auf uns zugekommen wären, hätten wir im Jahre 1991 die Steuern nicht erhöht. Das ist die Wahrheit! Alles, was im Jahre 1991 an zusätzlichen Finanzierungsaufgaben auf uns zukam, konnte beim besten Willen nur noch über eine Verbesserung der Einnahmen gedeckt werden. Auch andere Länder, die - wie Japan - nicht vor vergleichbaren nationalen Aufgaben standen, gehen den gleichen Weg. Wir hatten im letzten Jahr den Vereinigten Staaten und anderen beteiligten Ländern bereits über fünf Milliarden DM zur Unterstützung im Golfkonflikt zugesagt. Nach Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzung haben wir in diesem Jahr noch einmal 11,3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Die Summe aus Golfhilfe und den Zahlungen an die osteuropäischen Staaten beläuft sich in diesem Jahr auf 17,7 Milliarden DM. Das entspricht genau den zusätzlichen Steuereinnahmen, die wir auf der Grundlage der jüngsten Beschlüsse 1991 erzielen werden. Hinzu kommen die kaum bezifferbaren Folgekosten aus dem Verfall des RGW-Handels. Diese Rechnung wird nicht durch die Einbeziehung der Golfkosten in den Regierungsentwurf in Frage gestellt. Dieser Golfbeitrag, der von der zeitlichen Reihenfolge her zuerst haushaltswirksam wurde und etatisiert werden mußte, hat den eigentlich für Wiedervereinigungsaufgaben vorgesehenen Spielraum belegt. Die haushaltstechnische Behandlung ändert nichts an der Notwendigkeit, für die zusätzlichen Aufgaben einen Ausgleich zu schaffen. Der Solidaritätszuschlag entfällt ab 1. Juli 1992. Die Anhebung der Verbrauchsteuern und eine später eventuell notwendig werdende Anpassung. bei der Mehrwertsteuer sind auf Dauer angelegt. Damit wollen wir Vorsorge für die gestiegene internationale Verantwortung des wiedervereinigten Deutschlands schaffen. Es ist unser unmittelbares ökonomisches und politisches Interesse, Friktionen im Prozeß des marktwirtschaftlichen Wandels bei unseren östlichen Nachbarn zu begrenzen und so Absatzmärkte zu erhalten. In Europa kann es nur dann dauerhafte Stabilität und Prosperität geben, wenn die Gefahr gewaltiger Flüchtlingsströme und politischer Unruhen gebannt wird. Der mittelfristige steuerliche Beitrag kommt deshalb unseren Bürgern als Friedensinvestition zugute. Hier wird sehr klar, was der Kollege Schäuble und die Bundesregierung immer wieder gesagt haben: Wir müssen, um neue Völkerwanderungen in Europa zu verhindern, den Menschen helfen, damit sie in ihrer Heimat bleiben können. Auch das ist unser Beitrag für Frieden und für Freiheit. Eine dauerhafte Zusatzaufgabe ist auch die Verbesserung der lange Zeit unterbrochenen oder vernachlässigten Ost-West-Verkehrsverbindungen in Deutschland. Da die Autobahngebühr keine Zustimmung gefunden hat, ist ein höheres Mineralölsteueraufkommen dafür ein geeignetes Finanzierungsinstrument. Eine stärkere Gewichtung der indirekten Steuern entspricht im übrigen der steuerpolitischen Leitvorstellung fast aller Industriestaaten. Wir werden deshalb die gewonnenen Spielräume auch für die notwendige Entlastung der Familien und der Betriebe nutzen. Die Kritik der SPD an unseren steuerpolitischen Beschlüssen ist reine Pflichtübung. Was wir vereinbart haben, bleibt in vielen Bereichen weit hinter früheren Parteitagsbeschlüssen der SPD zurück. Die SPD wollte den Benzinpreis nicht um 25 Pfennig, sondern um 50 bis 60 Pfennig verteuern, und sie will eine Ergänzungsabgabe von 15 Prozent. Die SPD hat in ihren Oppositionsjahren über 40 Steuererhöhungsvorschläge auf den Tisch gelegt. In ihrer Regierungszeit wurden die indirekten Steuern um insgesamt 25 Milliarden DM erhöht. Im Verhältnis zum heutigen Bruttosozialprodukt entspräche das einer Steuererhöhung von nahezu 60 Milliarden DM jährlich. Der Unterschied zu heute besteht in folgendem: Damals ging es um die Finanzierung sozialistischer Experimente; heute dagegen setzen wir diese Mittel ein, um Frieden und Freiheit national und international zu unterstützen. Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer Finanzpolitik. Unsere steuerpolitischen Vereinbarungen sind sozial ausgewogen. Sie stellen Wachstum, Stabilität und Beschäftigung nicht in Frage. Durch die beiden wichtigsten Elemente - Verbrauchsteuererhöhungen und Solidaritätszuschlag zur Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer - werden alle Bevölkerungsgruppen angemessen beteiligt. Der Solidaritätszuschlag belastet höhere Einkommen am stärksten. Der Durchschnittslohn in den neuen Bundesländern wird dagegen durch diese Abgabe überhaupt nicht berührt. Berücksichtigt man die durchschnittliche Einkommensentwicklung, bleibt den meisten Steuerzahlern trotz der Steuererhöhungen ein spürbarer Einkommenszuwachs. Das ist der Unterschied. Durch unsere Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, durch ein Wachstum von acht Jahren sind wir in der Lage, trotz der Belastungen im Steuerbereich den Bürgern zu gewährleisten, daß sie auf Grund der Einkommenszuwächse im letzten und in diesem Jahr auch im Jahr 1991 über einen realen Einkommenszuwachs verfügen. Das hätten sie unter Ihrer Regierung nicht. Unbestritten - auch ich will das überhaupt nicht bestreiten - bergen Steuererhöhungen auch immer konjunkturelle Risiken. Das war für uns der entscheidende Grund dafür, so lange wie möglich auf eine solche Maßnahme zu verzichten. Die getroffenen Entscheidungen sind aber vor dem Hintergrund der erheblichen expansiven Impulse zu sehen, die sich aus der bisherigen Finanzierung der Wiedervereinigungsaufgaben ergeben. Im Saldo bleibt die Finanzpolitik auch in den Jahren 1991 und 1992 expansiv und stützt die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern. Die Einhaltung der in den Eckwertebeschlüssen festgelegten Obergrenze für die Kreditaufnahme von 70 Milliarden DM hat schon jetzt erkennbar zur Beruhigung an den Finanzmärkten beigetragen. Die Kapitalmarktzinsen sind in den letzten Wochen deutlich, um 0,5 Prozentpunkte, zurückgegangen. Damit verbessern sich insbesondere die Finanzierungsbedingungen für Investoren und Bauherren. Wer unsere steuerpolitischen Beschlüsse kritisiert, ist gut beraten, auch einmal über den nationalen Tellerrand zu sehen. Unsere internationalen Partner analysieren genau, welche Konsequenzen die deutsche Wiedervereinigung für das eigene Wachstum und die eigene Beschäftigungssituation hat. Das zeigt sich deutlich beim IWF, bei den G7 oder beim Ecofin-Ministerrat. Es kommt nicht von ungefähr, daß uns gerade in der letzten Woche der französische Finanzminister für die "policy-mix" dieser Bundesregierung ausdrücklich seine Anerkennung ausgesprochen hat. Der Wachstumsprozeß in Deutschland hat die Exportbedingungen bei unseren Handelspartnern wesentlich verbessert. Der Export der EG-Länder in die Bundesrepublik hat um jeweils zweistellige Prozentsätze, im Fall Spaniens sogar um über 30 Prozent, zugenommen. Das wiedervereinigte Deutschland, insbesondere die neuen Bundesländer, bieten gute Investitionschancen in einem neu entstehenden Markt. Vom wiedervereinigten Deutschland geht kein Inflationsschub aus. Die Preissteigerungsrate hat sich seit Beginn des Vereinigungsprozesses kaum verändert. Das ist doch eine großartige Leistung, wenn man feststellen kann, daß der Beitritt eines so großen Teils Deutschlands ohne jede Friktion in der Stabilität bewältigt werden konnte. Auch ein wiedervereinigtes Deutschland bleibt Stabilitätsanker in Europa. Deutschland bleibt auch in den kommenden Monaten ein wichtiger Faktor der Stabilität angesichts einer sich insgesamt abschwächenden Weltkonjunktur. Wir haben zur Zeit - nach Japan - das zweitstärkste Wachstum unter den sieben größten Industrienationen. Wir halten den zweiten Platz auch bei der Industrieproduktion. Die Arbeitslosigkeit ist nur in Japan geringer. Allein im letzten Jahr konnten wir einen Beschäftigungszuwachs von 800000 verzeichnen. Eine vergleichbare Dynamik am Arbeitsmarkt - leider gespalten in West und Ost - hat es nur in den ersten Jahren des Wiederaufbaus gegeben. Auf der Grundlage einer starken und weiterhin kräftig expandierenden Volkswirtschaft können wir den neuen Bundesländern und unseren dort lebenden Mitbürgern geben, was notwendig und sinnvoll ist. Ich bin sehr froh, daß wir uns in den letzten Tagen und Wochen zwischen Bund und Ländern, zwischen Regierung und Sozialpartnern wirklich auf einen großen Pakt, auf eine große Kraftanstrengung im Hinblick auf Investitionen und Finanzausstattung in den neuen Bundesländern geeinigt haben. In den nächsten vier Jahren können Bürger, Unternehmen und öffentliche Haushalte im Beitrittsgebiet mit staatlichen Leistungen in einem Umfang von mehreren 100 Milliarden DM rechnen. Im Interesse eines raschen wirtschaftlichen Aufschwungs wurden bereits zahlreiche Investitions-, Existenzgründungs- und Industrieansiedlungsprogramme mit einem Gesamtvolumen von 65 Milliarden DM aufgelegt. Der Fonds Deutsche Einheit sichert die Grundfinanzierung der Landeshaushalte in den nächsten Jahren. Die Deutsche Bundespost wird in den kommenden Jahren insgesamt 55 Milliarden DM investieren. Durch das heute ebenfalls zur Beratung stehende Steueränderungsgesetz 1991 führen wir neben der bereits bestehenden Investitionszulage eine Sonderabschreibung für Investitionen im Beitrittsgebiet in Höhe von 50 Prozent ein. Auf die Erhebung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer soll in den neuen Bundesländern ab 1. Januar 1991 verzichtet werden. Ich glaube, niemand wird bestreiten, daß es nicht sinnvoll wäre, jetzt Tausende von Finanzbeamten für die Erarbeitung der Einheitswerte in den neuen Bundesländern heranzuziehen. Über die Unternehmenssteuern in ganz Deutschland wird im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt nachgedacht und entschieden werden müssen. Wir werden im Sommer dieses Jahres das Gutachten der unabhängigen Sachverständigenkommission zu diesem Punkt erhalten, es genau studieren und dann politisch entscheiden. Politische Entscheidungen zu der Frage "Unternehmenssteuerreform" werden wir in Ruhe im Jahr 1992 vorbereiten und treffen. Dabei haben wir zugesagt, daß wir die Belange der Länder und der Gemeinden berücksichtigen werden. Das fand einvernehmliche Zustimmung im Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten. Außerdem sollte bedacht werden, daß bereits in den Thesen dieser Kommission auch die Gegenfinanzierung enthalten ist. Das heißt, daß die Finanzierung nicht zu Lasten der übrigen Steuerzahler gehen soll. Wir werden bei der politischen Entscheidung darauf achten, daß der Schwerpunkt der Erleichterung bei der Vermögensteuer jedenfalls im betrieblichen Bereich liegen wird. Auf dieser Grundlage können wir mit den geschaffenen Bedingungen nun darangehen, Investitionen anzureizen und die Lebensumstände in den neuen Bundesländern zu verbessern. Uns geht es um die Menschen. - Meine Damen und Herren, ich jedenfalls habe in den letzten Monaten einen Großteil meiner Arbeit darauf verwendet, mich um die Menschen im östlichen Teil Deutschlands zu kümmern, und ich habe darauf verzichtet, mich an irgendwelchen Sonnenstränden aufzuhalten. Das gönne ich jedem von Herzen. Nur, ich habe darauf verzichtet, mich bräunen zu lassen, weil ich meine: Unsere Aufgabe besteht darin, uns jetzt diesen Dingen zu widmen und das Bestmögliche für die Menschen in den neuen Bundesländern zu tun. Das lassen wir uns von niemandem, auch nicht von Ihnen, absprechen. Wo es um persönlichen Einsatz und um Argumente ging, haben wir uns mit ganzer Kraft engagiert. Wir haben mit den Kirchen, mit den Verbänden, mit Ländern und Gemeinden zusammengearbeitet, um das Los der 45 Jahre lang unterdrückten Menschen so schnell wie möglich zu verbessern. Auf unser Drängen hin haben die Länder in der vorletzten Woche einer vollen Beteiligung des Beitrittsgebiets am Umsatzsteueraufkommen zugestimmt. Damit können die neuen Bundesländer - trotz deutlich geringerer Wirtschaftskraft - je Einwohner ebensoviel ausgeben wie die alten Bundesländer. Die Gemeinden dort erhalten künftig doppelt so hohe Finanzzuweisungen wie die Gemeinden im Westen. Das ist notwendig. In der letzten Woche hat das Bundeskabinett zusätzlich das Gemeinschaftswerk "Aufschwung-Ost" beschlossen. Wir wollen den wirtschaftlichen Aufholprozeß noch stärker beschleunigen. Zugleich soll die Zeit bis zur Entstehung neuer Arbeitsplätze durch eine Beschäftigungsbrücke überwunden werden. Insgesamt hat das Gemeinschaftswerk in den Jahren 1991/92 ein Programmvolumen von 24 Milliarden DM. Die wichtigsten Elemente sind: Förderung der kommunalen Investitionen durch eine einmalige Investitionspauschale des Bundes in Höhe von 5 Milliarden DM. Die Investitionen sollen der Instandsetzung, insbesondere von Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen, dienen. Unser Appell geht an die Kommunalpolitiker in den neuen Bundesländern, die Aufträge möglichst schnell und unkompliziert zu erteilen, damit sich dort endlich mehr bewegt als bisher. - Ich habe niemandem Schuld vorgeworfen. Ich habe appelliert, das Geld, das bereits seit Wochen drüben ist, möglichst schnell vor allen Dingen an das private Baugewerbe zu geben, damit bei der Beschäftigung und der öffentlichen Nachfrage etwas Entscheidendes passiert. Für zusätzliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden 1991 2,5 Milliarden DM und 1992 3 Milliarden DM bereitgestellt. Damit sollen zu den bislang vorgesehenen 130000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Jahr 1991 zusätzlich 150000 Förderungen erreicht werden. Die Verkehrsverhältnisse sollen als Voraussetzung für private Investitionen entscheidend verbessert werden. Für die Ost-West-Straßenverbindungen, Investitionen der Deutschen Reichsbahn und die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden stehen in den Jahren 1991/92 zusätzlich 5,6 Milliarden DM zur Verfügung. 2,2 Milliarden DM haben wir für die Verbesserung des Wohnungsbestands, für die Privatisierung von Wohnungseigentum und für die Städtebauförderung vorgesehen. Weitere Programmpunkte betreffen die regionale Wirtschaftsförderung, die Werfthilfen Ost, Verbesserungen im Umweltschutz und die Sicherung des Bestands von Hochschulen. Schließlich haben wir eine weitere Verbesserung bei der bereits früher vereinbarten Investitionszulage beschlossen. Die Zulage wird ein halbes Jahr verlängert und kann künftig kumulativ zur Sonderabschreibung in Anspruch genommen werden. Was jetzt und bereits früher an Förderung beschlossen wurde, ist insgesamt ein Optimalprogramm. Das haben mir auch die Finanzminister der ostdeutschen Bundesländer in einem sehr konstruktiven Gespräch am Mittwoch letzter Woche bestätigt. Ich bin dankbar dafür, daß sie auch, was die Mitleistungspflicht der Länder und der Kommunen anbelangt, mit mir zu einer Einigung gekommen sind, so daß dieses Programm wirklich laufen kann, und daß die Sozialpartner ihm voll zugestimmt haben und jetzt, wie ich meine, die bestmögliche Voraussetzung für die Entwicklung der Länder und der Kommunen drüben geschaffen wurde. Eine noch weiter gehende Aufstockung der gezielten Wirtschaftsförderung und der staatlichen Infrastrukturinvestitionen ist weder sinnvoll noch möglich. Eine endlose Fortsetzung der Förderdiskussion wäre für den Bereich der privaten Investitionen sogar schädlich, weil die Investoren in der Hoffnung auf weitere Verbesserungen ihre Vorhaben sonst zurückstellen würden. Der Liquiditätseffekt der Investitionsförderung beläuft sich, wenn man alle Instrumente zusammenfaßt, im ersten Jahr auf rund 50 Prozent der Anschaffungskosten. Ein noch höherer Prozentsatz würde das für den marktwirtschaftlichen Regulierungsprozeß unverzichtbare Eigenrisiko der Investoren zu stark gefährden und beeinträchtigen. Alle notwendigen und richtigen Maßnahmen zur gezielten Investitions- und Wirtschaftsförderung können nur greifen, wenn die Treuhandanstalt ihre Privatisierungsaufgabe wirksam und mit breiter Unterstützung der Öffentlichkeit bewältigen kann. Ich bedanke mich sehr auch bei den Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer für ihre positive Stellungnahme gestern zu der Arbeit der Treuhand, gerade in den letzten Wochen. Die Umwandlung der ehemaligen Staatswirtschaft in eine dezentrale Wettbewerbswirtschaft steht und fällt mit der Privatisierungsaufgabe. Rund 90 Prozent der Betriebe gehören zum Treuhandbereich. 80 Prozent der Arbeitsplätze befinden sich in diesen Betrieben. Ich habe in der Aussprache in der vorletzten Woche schon darauf hingewiesen: Die Arbeit der Treuhandanstalt kann sich mit 700 Veräußerungen durchaus sehen lassen. Wir wissen, welche großen Probleme noch auf sie zukommen und wie ungeheuer schwierig es ist, mit dieser riesigen Aufgabe in relativ kurzer Zeit fertig zu werden. Entgegen mancher Kritik ist die Arbeit der Treuhandanstalt nicht gegen die Interessen der Beschäftigten gerichtet. Ich persönlich habe die Arbeit der Treuhandanstalt zu keinem Zeitpunkt als kaltes Finanzmanagement verstanden. Privatisierungspolitik muß wie jeder andere Politikbereich, wie die Wirtschaftspolitik insgesamt, die Sozialpolitik, die Forschungspolitik, die Landwirtschaftspolitik und die Umweltpolitik im Interesse der Menschen für soziale Sicherheit und steigenden Wohlstand bürgen. Um Beschäftigungseinbrüche zu begrenzen und einer weitgehenden Entindustrialisierung der neuen Bundesländer zu begegnen, soll künftig die Sanierungs- und Umstrukturierungsaufgabe der Treuhandanstalt noch stärker betont werden. Betriebe, die zur Zeit nicht privatisierungsfähig sind, aber ein tragfähiges Unternehmenskonzept entwickelt haben, sollen zu Wettbewerbsfähigkeit begleitet werden. Auch sollen die Entscheidungen der Treuhandanstalt eng mit der Regional-, Arbeitsmarkt- und Infrastrukturpolitik verzahnt werden. Nur über eines müssen wir uns im klaren sein: Strukturkonservierung um jeden Preis ist kein wirksames Mittel zur Arbeitsplatzsicherung, sondern bewirkt, wie uns die Wissenschaft und die Erfahrung immer wieder sagen, genau das Gegenteil. Die Arbeit der Treuhandanstalt muß auch bei Berücksichtigung von Beschäftigungsaspekten um Kern betriebswirtschaftlich rational bleiben. Meine Damen und Herren, der Ihnen vorliegende Bundeshaushalt 1991 steht im Zeichen der deutschen Einheit. Die Daten und Fakten des Haushaltsentwurfs 1991 sind richtig nur dann zu bewerten, wenn man die außergewöhnliche Situation des wiedervereinigten Deutschlands um Blickfeld behält. Im letzten Jahr vor der Wiedervereinigung, 1989, betrug das Haushaltsvolumen des Bundes noch knapp 300 Milliarden DM. Durch drei Nachtragshaushalte stiegen die Gesamtausgaben im letzten Jahr auf 380 Milliarden DM. In diesem Jahr sind es einschließlich der Maßnahmen für die neuen Bundesländer um Rahmen des Gemeinschaftswerks 411 Milliarden DM. Dem stehen Steuereinnahmen von 293,9 Milliarden DM gegenüber. Hinzu kommen die zuletzt beschlossenen Steuererhöhungen von rund 17 Milliarden DM. Der verbleibende Finanzierungsbedarf wird durch die sonstigen Einnahmen und eine Nettokreditaufnahme von knapp 70 Milliarden DM gedeckt. In unserer mittelfristigen Finanzplanung verpflichten wir uns, diese Nettokreditaufnahme bis 1994 systematisch und intensiv zurückzuführen. Damit haben wir die in den Eckwertebeschlüssen festgelegte Obergrenze für Kreditaufnahme eingehalten. Auch wenn wir die Ihnen vorliegende Finanzplanung bis 1994 an die nochmals gestiegenen Anforderungen anpassen, bleibt der durchschnittliche Ausgabenanstieg in den kommenden Jahren deutlich unter dem erwarteten Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Die Aufgabe der Konsolidierung und der erneuten Begrenzung des Staatsanteils steht auch im wiedervereinigten Deutschland auf der Tagesordnung. Schwerpunkte der Haushaltsentlastung im Haushaltsentwurf 1991 und im Finanzplan sind: - Kürzungen bei den Verteidigungsausgaben um 7,6 Milliarden DM, - Begrenzung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit durch eine vorübergehende Anhebung der Beiträge und Minderausgaben: 20,8 Milliarden DM und - Umlenkung von Investitionen in einer Größenordnung von 2 Milliarden DM. Darüber hinaus sind Kürzungen in zahlreichen Einzelpositionen vorgesehen. Verstärkt ab 1992 wollen wir eine weitere Haushaltsentlastung durch spürbaren Subventionsabbau verwirklichen. In den jüngsten Beschlüssen zur Steuerpolitik haben wir das Subventionsabbauziel noch einmal von 6 auf jetzt 10 Milliarden DM angehoben. Berücksichtigt man darüber hinaus den Abbau der Berlin- und Zonenrandförderung und die vorgesehene Gegenfinanzierung zur ersten Stufe der Unternehmenssteuerreform in einem Volumen von etwa 8 Milliarden DM sowie die bereits verwirklichte Bereinigung im Steuerreformgesetz 1990, so ergibt sich im Gesamtzeitraum 1990 bis 1994 ein Subventionsabbauvolumen von über 40 Milliarden DM. Das ist weit mehr, als in irgendeiner Periode der Nachkriegszeit verwirklicht werden konnte. Beim Abbau der Berlin- und der Zonenrandförderung haben wir nach meiner Einschätzung einen fairen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen gefunden. Wir halten am Ziel eines zügigen Abbaus der teilungsbedingten Kosten fest. Aber es wird keinen bruchartigen Entzug der Förderinstrumente geben. Dort, wo Gebiete auch nach Aufhebung der Teilung durch Grenzen benachteiligt sind - das gilt zum Beispiel für den Grenzraum zur Tschechoslowakei -, bleibt die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" erhalten. Berlin wird insgesamt in die neuen steuerlichen Förderinstrumente Investitionszulage und Sonderabschreibungen einbezogen. Ich glaube im übrigen, die staatliche Förderung wird gerade in der neu erwachten Metropole und Hauptstadt Berlin bald keine große Rolle mehr spielen. Jedenfalls fand sich am 15. Februar 1991 der Berliner Senator für Stadtentwicklung in der "Welt" mit folgender Einschätzung wieder: "Wir erleben einen beispiellosen Run der Investoren auf West-Berlin." Ausgabensteigerungen im Bundeshaushalt 1991 betreffen natürlich in erster Linie die Wiedervereinigungsaufgaben. Angesichts der krassen Unterschiede in der Ausstattung mit öffentlichen Dienstleistungen und dem Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West mußten wir klare Prioritäten setzen. Dennoch will ich auch einige Verbesserungen für den Bereich der westlichen Bundesländer nicht unerwähnt lassen. Zu nennen wäre die Ausgabensteigerung bei der Agrarsozialpolitik um rund 300 Millionen DM. Der Mehrbedarf beim Kindergeld und Erziehungsgeld ist zum Teil auf die Ausdehnung auf das Beitrittsgebiet, zum anderen auf die im letzten Jahr wirksam gewordene Erhöhung des Kindergelds für das zweite Kind sowie auf die Verlängerung der Bezugsdauer des Erziehungsgeldes in den letzten beiden Jahren zurückzuführen. In den Koalitionsvereinbarungen haben wir eine weitere Verlängerung der Bezugsdauer des Erziehungsgeldes auf zwei Jahre ab 1993 vorgesehen. Dies ist ein großartiger Beitrag für eine fortschrittliche, in die Zukunft reichende Familienpolitik. Darüber hinaus wollen wir ab 1. Januar 1992 unser Ziel der völligen Freistellung der Kinderunterhaltskosten von der Besteuerung verwirklichen. Das Kindergeld für das erste Kind wird um 20 DM erhöht. - Der Kinderfreibetrag wird auf rund 4000 DM erhöht. - Was haben denn Sie in Ihrer Zeit getan? Sie haben die Kinderfreibeträge abgeschafft, Frau Kollegin Matthäus-Maier. In Ihrer Regierungszeit ist doch die Familienpolitik zur Unkenntlichkeit deformiert worden und fand überhaupt nicht mehr statt. Der Ansatz für die Hochschulsonderprogramme, vor allem zur Sicherung der Leistungsfähigkeit in besonders belasteten Fachrichtungen und zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, beansprucht zusätzlich 238 Millionen DM. Weitere 100 Millionen DM entfallen auf die Studentenwohnraumförderung. Daß dieser Bundeshaushalt ein außergewöhnlicher Haushalt ist, zeigt sich auch am Datum der heute beginnenden Beratungen. Auf Grund des Wiedervereinigungstermins am 3. Oktober 1990 konnte der Bundeshaushalt zum ersten Mal seit 1983 nicht vor Beginn des Haushaltsjahrs verabschiedet werden. Sie haben uns damals kritisiert. Stellt es sich heute nicht als richtig heraus, die Zeit abzuwarten und am Beginn des Jahres einen Entwurf vorzulegen, der dann den Bedürfnissen und Notwendigkeiten des Jahres 1991 möglichst gerecht wird? Auch hier sind Ihre Befürchtungen und Unterstellungen eindeutig widerlegt worden. Wir haben durch den späteren Beratungstermin jetzt die Chance, alle voraussehbaren zusätzlichen Aufgaben im nationalen und internationalen Bereich in die Haushaltsplanung einzubeziehen. Wir werden für die zuletzt vereinbarten Maßnahmen keine Ergänzungsvorlage und keinen Nachtrag vorsehen. Die neuen Maßnahmen sollen vielmehr über die Berichterstatter im Haushalt umgesetzt werden. Dies ist der schnellste Weg, damit die zusätzlichen Instrumente zu Gunsten der neuen Bundesländer unmittelbar wirksam werden können. Wenn wir heute noch einmal in der Situation des Jahreswechsels 1989/90 stünden, würden wir wieder keinen anderen Weg gehen als den, den diese Bundesregierung - bei aller Differenzierung in Einzelfragen - gemeinsam und erfolgreich gegangen ist. Es wäre verhängnisvoll gewesen, wenn wir uns vor einem Jahr in einer weltpolitischen Situation, in der die einmalige Chance zur Überwindung der Teilung bestand, geirrt hätten und wenn wir damals auf Ihre verhängnisvolle Losung "Langsamkeit" in diesem Bereich gesetzt und uns ihr angeschlossen hätten. Wir haben im Herbst 1989 klar gesagt: Die deutsche Frage steht auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Schon in wenigen Jahren wird niemand mehr über die uns heute so dringlich beschäftigenden Finanzierungs- und Steuerfragen sprechen. Aber unsere Entscheidung in der historischen Sekunde, in der die deutsche Einheit möglich war, zu handeln und zuzugreifen, wird Bestand haben. Der politische Wille, erkennbare Haushaltsrisiken und Belastungen in Kauf zu nehmen und für die Menschen das Beste zu erreichen, war und bleibt richtig und wird am Ende überzeugen. Nach 40 Jahren der Frontstellung im Kalten Krieg kann Deutschland einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Freiheit in der Welt leisten. In einem Interview mit der "Welt" vom 21. Mai 1990 sagte der sowjetische Deutschlandexperte Nikolai Portugalow zur Rolle des wiedervereinigten Deutschlands unter anderem: Es kann zur goldenen Brücke zwischen Ost und West werden, und dann sind wir in der Bringschuld: Ich verstehe allzugut, solange wir marktwirtschaftliche Strukturen nicht aus der Taufe gehoben haben, geht das so einfach nicht. Ich glaube aber, daß das uns, wenn auch mit vielen Schwierigkeiten, gelingen wird. Dann allerdings wird Deutschland zu eben einer solchen Brücke zwischen Ost und West werden und auf. diese Weise zu seiner historischen jahrhunderte-, jahrtausendealten Mission zurückkehren. Wir haben jahrelang im ökonomischen Wettkampf der Systeme gestanden. Jetzt, da sich die Überlegenheit der freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Ordnung erwiesen hat, wären Triumphgefühle und Überheblichkeit fehl am Platz. Der erneuerte wirtschaftliche Wettbewerb im nationalen wie im internationalen Bereich kommt allen Menschen zugute. Nur wir selbst, meine Damen und Herren, könnten uns in diesem Wettbewerb besiegen. Deshalb sollten wir uns nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft konzentrieren. Wir dürfen nicht einer vergangenen Idylle, einer scheinbaren Geborgenheit unter dem Schirm der früheren ideologischen Auseinandersetzung nachtrauern. Wer sich eingräbt, hat schon verloren. Statt dessen sollten wir auf die Worte des früheren Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard hören. Ludwig Erhard sagte am 9. Februar 1950: Nur dann, wenn wir aus der deutschen Wirtschaft und aus den deutschen arbeitenden Menschen durch alle Schichten hindurch die höchste Leistung, die überhaupt denkbar ist, herausholen, haben wir Aussicht, die deutsche Not zu bannen und unser Schicksal glücklich zu gestalten. Auch für die Deutschen in den alten Bundesländern, die im Vergleich zu den Menschen in anderen Regionen dieser Welt in relativem Wohlstand leben, gilt dieser Satz des früheren Bundeswirtschaftsministers. Was wir jetzt an geringfügigen Einschränkungen zu tragen haben, können wir durch mehr Initiative, durch Leistung und Einsatzwillen ausgleichen. Es besteht kein Anlaß zum Wehklagen. Wir sollten vielmehr dankbar sein für das, was uns die Geschichte, was uns aber zugleich unsere eigene Beharrlichkeit und unser Glaube an die Zukunft geschenkt haben. Die Bundesregierung legt mit diesem Bundeshaushalt ihr Programm zur Überwindung der Teilung vor. Alle Deutschen in Ost und West, in Nord und Süd sind aufgerufen, sich ebenfalls für die nationale Aufgabe der Einheit einzusetzen.