de Maiziere 17.05.1990 Rede auf dem World Economic Forum: Die Bedeutung des deutschen Vereiningungsprozesses für Europa Berlin - im Wortlaut Die Thematik unseres heutigen Zusammentreffens bewegt sehr viele Menschen auf unserem Kontinent, die beiden deutschen Staaten eingeschlossen. Das kann angesichts der europäischen Geschichte in diesem Jahrhundert und der verhängnisvollen Rolle, die dabei das frühere Deutsche Reich gespielt hat, auch gar nicht anders sein. Die aufgeworfene Frage - "Bedeuten die Entwicklungen in Deutschland eine Bedrohung für das neue Europa?" - trägt, hier ist das bedeutungsschwere Wort angebracht, schicksalhaften Charakter. Ich nehme daher gern die Gelegenheit wahr, vor Ihnen heute einige grundsätzliche Überlegungen vorzutragen, von denen sich die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in ihrem Herangehen insbesondere an die äußeren bzw. sicherheitspolitischen Aspekte des Vereinigungsprozesses zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland leiten läßt und die auch unsere Position in den jetzt erfolgreich gestarteten Zwei-plus-Vier-Gesprächen bestimmen werden. Ich habe in meiner Regierungserklärung vor der Volkskammer am 19. April 1990 folgendes zum Ausdruck gebracht: "Unsere Zukunft liegt in der Einheit Deutschlands in einem ungeteilten Europa." Die Zielstellung der von mir geführten Regierung besteht darin, das Zusammenwachsen der Deutschen als Chance für Europa zu nutzen und diesen Prozeß als einen entscheidenden Schritt zur endgültigen Überwindung der alten Konfrontationslinien hin zu dauerhaft kooperativen Staatenbeziehungen zu gestalten. Damit wäre im übrigen auch der Sicherheit der Deutschen selbst am besten gedient. Das ist ein realistischer Ansatz, für den gute Voraussetzungen gegeben sind. Die fundamentalen politischen Veränderungen in den Staaten des Warschauer Vertrages führen zur Herausbildung pluralistischer demokratischer Gesellschaften und lassen jene Werte, die in der Vergangenheit gemeinhin als die westlichen bezeichnet wurden, zu gesamteuropäischen Werten werden. Dadurch erhalten wir die geschichtlich präzedenzlose Chance, auf unserem Kontinent von der "bloßen" Friedenserhaltung zur gemeinsamen Friedensgestaltung überzugehen. Damit gewinnt eine qualitativ neue Stufe des KSZE-Prozesses erkennbare Konturen. Deren Perspektive besteht in einer stufenweisen Integration aller Europäer in den Kernbereichen ihrer wechselseitigen Beziehungen, wie sie in der Schlußakte von Helsinki umrissen sind. Das gemeinsame Haus Europa, in dem auch die nordamerikanischen Demokratien gern gesehene Mitbewohner bleiben sollen, muß Gestalt annehmen und sich sicherheitspolitisch auf die Idee der gemeinsamen kollektiven Sicherheit gründen, das heißt jeglicher Frontstellung von Staaten oder Staatengruppen gegeneinander endgültig den Boden entziehen. Das scheint mir eine Voraussetzung dafür zu sein, daß wir uns zusammen und nachhaltig jener existentiellen Herausforderungen annehmen können, die unser aller Zukunft betreffen - vor den Fragen des Erhaltes und der Regeneration unserer natürlichen Umwelt über die Bewältigung des Nord-Süd-Gefälles mit seinen inhumanen Erscheinungsformen bis hin zur Entwicklung und Beherrschung neuer Technologien. Vor diesem Hintergrund lassen sich für die europäische Dimension des deutschen Vereinigungsprozesses meines Erachtens einige Orientierungspunkte bzw. Kriterien ableiten: Die deutsche Vereinigung soll nicht zu Lasten Dritter gehen, sondern vielmehr die Gemeinschaft der Europäer stärken und die Vertiefung des KSZE-Prozesses auf allen seinen relevanten Gebieten fördern. Jeder in Europa muß wissen und überzeugt sein können, daß die deutsche Einheit nicht weniger, sondern mehr gesamteuropäische Zusammenarbeit bringen und die Sicherheit aller erhöhen wird. Die deutsche Vereinigung darf die Spaltung Europas nicht in die Zukunft fortschreiben, indem sie ihr womöglich nur eine veränderte Gestalt gibt. In seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" hat der große Philosoph Immanuel Kant bereits vor nahezu 200 Jahren einen Grundsatz formuliert, der an Aktualität nichts eingebüßt hat: "Es soll kein Friedensschluß für einen solchen gelten, der mit dem geheimen Vorbehalt des Stoffs zu einem künftigen Kriege gemacht worden." Im Zuge der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen ist es unabdingbar, den sicherheitspolitischen Interessen unserer osteuropäischen Nachbarn, insbesondere der UdSSR, Polens und der Tschechoslowakei in der gleichen Qualität zu entsprechen, wie dies gegenüber den anderen europäischen Partnern des künftigen Deutschlands der Fall sein soll. Und diesem Aspekt ist nicht mit Worten, sondern nur durch tatsächliche Fakten und völkerrechtliche Garantien zu begegnen. Ihn nicht aus den Augen zu verlieren, legen uns sowohl die Hypothek der von den Deutschen zu verantwortenden Geschichte als auch die Anforderungen europäischer Zukunftsentwicklungen nahe. Die deutsche Vereinigung soll dem Prozeß der Überwindung der Blockkonfrontation weitere Substanz hinzufügen. So erscheint es möglich, die bisherigen feindlichen Pole in Gestalt der Blöcke miteinander zu verzahnen und den Prozeß der deutschen Vereinigung als Scharnier einer derartigen Entwicklung zu gestalten. Natürlich muß auch das vereinigte Deutschland in Ausübung seiner Souveränität das Recht haben, einem Bündnis anzugehören. Aber unserer Auffassung nach müßte dies ein Bündnis sein, bei dem andere Staaten keinerlei Veranlassung haben, es etwa als gegen sich gerichtet zu empfinden. Wir Europäer leben in hochverletzlichen Industriegesellschaften, die militärisch nicht einmal mehr sinnvoll zu verteidigen wären. Jeder Waffeneinsatz könnte schon ökologisch nicht beherrschbare Katastrophen auslösen. Unter diesen Bedingungen dürfte die intelligenteste Art der Friedenssicherung der Zukunft nicht in gegenseitiger Abschreckung, sondern darin bestehen, bisher mögliche Kriegsgegner im Frieden und für den Frieden als Partner miteinander zu verbünden. Die deutsche Vereinigung muß dem Abrüstungsprozeß in Deutschland und in Europa einen kräftigen beschleunigenden Impuls verleihen. Die Regierung der DDR strebt ihrerseits, wie in der Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, eine drastische Reduzierung aller deutschen Streitkräfte an. Sie wird daher nach Abschluß der gegenwärtig laufenden einseitigen Abrüstungsmaßnahmen im Bereich der Nationalen Volksarmee unseres Landes in Abstimmung mit unseren Partnern im Warschauer Vertrag sowie in Konsultation mit der Bundesregierung auch die Möglichkeit weiterer einseitiger Maßnahmen prüfen. Unseres Erachtens muß insbesondere der auf Dauer unerträgliche Zustand überwunden werden, daß das Territorium der beiden deutschen Staaten die am höchsten gerüstete Region der Welt darstellt. Das ist schon heute anachronistisch und nicht zu legitimieren. Wir legen deshalb allergrößten Wert auf einen positiven Abschluß der Wiener Abrüstungsverhandlungen noch in diesem Jahr. Auch passen neue qualitative Rüstungsschritte, ob nun auf nuklearem oder auf konventionellem Gebiet, nicht in die Landschaft des sich wandelnden Europa. Notwendig ist vielmehr, eine schrittweise weitgehende Entmilitarisierung der Sicherheit im Inneren Europas durch kollektive Abrüstung kriegsverwendungsfähiger militärischer Potentiale und Strukturen zu schaffen. Eine alle betroffenen Seiten befriedigende Lösung der mit dem deutschen Vereinigungsprozeß verbundenen sicherheitspolitischen Fragen muß, daran besteht kein Zweifel, einen deutlichen gesamteuropäischen Bezug aufweisen. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, daß die Perspektive der europäischen Sicherheit letzten Endes in Richtung auf die Schaffung einer eigenständigen institutionalisierten sicherheitspolitischen Dimension der KSZE gesucht werden muß, das heißt auf die Errichtung einer Gesamteuropäischen Sicherheitsunion. Dabei kann es nicht darum gehen, bisherige bewährte Sicherheitsstrukturen abzuschaffen, sondern diese müssen in einer gesamteuropäischen Richtung weiterentwickelt werden. Auf einer ersten Stufe wären kooperative sicherheitspolitische Mechanismen im Rahmen der KSZE zu bilden, die über weitere Stufen zu integrierenden Organisationsformen ausgebaut werden könnten. Überlegungen dazu werden ja seit längerem in und zwischen europäischen Staaten angestellt. Meiner Überzeugung nach ist jedoch die Zeit herangereift - ohne vertiefende weitere politische Diskussionen zu vernachlässigen -, tatsächlich praktische Schritte in eine solche Richtung zu unternehmen und dabei von international bewährten Formen und Verfahrensweisen auszugehen. Konkret: Sowohl zwischen den Staaten des Warschauer Vertrages als auch in der NATO bestehen Gremien der Außen- und der Verteidigungsminister, die turnusmäßig Tagungen abhalten. Was also spräche dagegen, diese Gremien ein- bis zweimal im Jahr gemeinsam (unter Beteiligung ihrer Fachkollegen aus den neutralen und nichtpaktgebundenen Staaten) tagen zu lassen und damit zunächst einmal gesamteuropäische sicherheitspolitische Konsultationen zu institutionalisieren? Daraus könnten dann KSZE-Räte auf Außen- und Verteidigungsministerebene entstehen. Zu bedenken ist zugleich, daß zwischenstaatliche politische, wirtschaftliche, ökologische, ethnische und andere Gegensätze und Konflikte auch im künftigen Europa vorhanden sein werden. Anderes anzunehmen wäre Illusion. Dafür müssen Streitschlichtungsverfahren und Institutionen entwickelt und schrittweise mit obligatorischen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet werden. Ein anderer Weg ist nicht denkbar, wenn militärische Mittel zur Konfliktaustragung ein für allemal ausgeschlossen werden sollen und wenn gesamteuropäisches Zusammenwachsen ernst genommen wird. Überlegungen dazu könnten zum Beispiel beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ansetzen. Entscheidend ist jetzt, die ersten Schritte in eine solche Richtung gemeinsam zu unternehmen. Dazu wäre das noch in diesem Jahr anstehende KSZE-Gipfeltreffen besonders geeignet. Im Hinblick auf das entstehende Deutschland und seine zweifelsfreie Einbindung in den gesamteuropäischen Prozeß, die für alle Europäer und nicht zuletzt die Deutschen selbst eine wirksame und dauerhafte Versicherung gegen jegliche Wiederholung unseliger historischer Entwicklungen darstellen würde, sind natürlich vielfältige weitere Überlegungen und Entwicklungen möglich. So finde ich den Gedanken reizvoll, Berlin als künftige gesamtdeutsche Hauptstadt zu einer Drehscheibe bei der Institutionalisierung des KSZE-Prozesses zu entwickeln. Hier könnte der Standort neu aufzubauender Körperschaften der KSZE sein - zum Beispiel eines gesamteuropäischen Zentrums für sicherheitspolitische Kooperation und Krisenmanagement. Dem könnte eine Verifikationsbehörde für den europäischen Abrüstungsprozeß angegliedert werden. Dort könnten sich schließlich Fachleute auch mit den immensen Problemen der Konversion beschäftigen, die auf alle europäischen Staaten zukommen. Bisher gibt es nirgendwo ausreichend Vorlauf oder gar Erfahrungen, wie man Abrüstungsprozesse in Dimensionen, wie sie Europa ins Haus stehen, sozial, wirtschaftlich und ökologisch verträglich realisieren kann. Das sind nur einige mögliche Vorschläge, Berlin könnte (und zwar nicht nur im sicherheitspolitischen Bereich, sondern auch auf den Feldern Wirtschaft, Umweltschutz usw.), zu einer Art KSZE-Hauptstadt werden. Ich denke, es ist kein unlösbares Problem, die äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung auf eine Art und Weise zu regeln und auszugestalten, daß niemals wieder ein Europäer Veranlassung hat - wie seinerzeit Heinrich Heine - zu sagen: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht." Wir sind entschlossen, ein für allemal die deutsche und europäische Geschichte miteinander zu versöhnen. Allerdings sind die Aspekte, über die ich bisher gesprochen habe, nur ein Teil der Probleme, die zur Beantwortung der eingangs gestellten Frage gehören, ob die Entwicklungen in Deutschland eine Bedrohung für das neue Europa bedeuten. Ein moderner Begriff von Sicherheit muß gleichrangig zu den militärischen Fragen die Wirtschaft, die Technik, den Umweltschutz und die soziale Gerechtigkeit umfassen. Europäische Sicherheit hängt in Zukunft bei sich mindernden militärischen Potentialen immer mehr von einer ökonomischen und ökologischen Stabilität ab. Es muß deshalb auch im Zuge der Umstellung der Ökonomie der DDR auf eine soziale Marktwirtschaft bzw. bei der Integration in das wirtschaftliche Gefüge der Bundesrepublik sowie der Europäischen Gemeinschaft gelingen, einen starken technologischen, ökologischen und sozialen Entwicklungsschub herbeizuführen. Dieser Schub muß für die Menschen in unserem Lande erlebbar sein und die Überzeugung hervorbringen, daß das entsprechende Gefälle zur Bundesrepublik durch eigene Anstrengungen jedes einzelnen in der DDR in absehbarer Zeit geschlossen werden kann. Nur so ist die notwendige innergesellschaftliche Stabilität wieder herzustellen, die ein Staatswesen benötigt, um seinen Nachbarn ein zuverlässiger, berechenbarer Partner sein zu können. In der DDR ist eine umfassende wirtschaftliche Modernisierung, zum Beispiel bei veralteten Industrieanlagen in nahezu allen Branchen der Volkswirtschaft und der überholungsbedürftigen Infrastruktur (Eisenbahn, Straßenwesen, Telekommunikation, Wasser- und Abwassersysteme, Wohnungs- und Gesellschaftsbau, Deponien), erforderlich. Ein Schwerpunktbereich von besonderer Bedeutung ist die notwendige erhebliche Drosselung der Energieerzeugung auf der Basis von Braunkohle durch Einsatz anderer Energieträger. Gleichzeitig sind in großem Umfang Maßnahmen zur Sicherung des Umweltschutzes zu ergreifen. Der Bedarf an Kapital und Investitionen, aber auch an technologischem und marktwirtschaftlichem Know-how ist immens. Das Ergebnis der bisherigen Politik unter Führung der SED ist eine tiefe Wirtschaftskrise. Sie war vorhanden, wurde aber verschleiert. Jetzt wird sie offenbar. Wir wollen diese Krise meistern. Aber die Umstellung einer Volkswirtschaft in Wochen ist historisch einmalig. Sie muß vollzogen werden von Menschen, die so sind, wie sie sind. Ich bitte deshalb auch vor Ihnen um Verständnis, wenn nicht alles so schnell und reibungslos verläuft, wie man sich das wünschen würde. Was die Menschen in der DDR auf allen Ebenen brauchen, ist nicht ständig fordernde demotivierende Kritik, sondern Ermutigung, Ansporn und faire Bedingungen. Der Wirtschaftsstandort DDR bietet gute Voraussetzungen, um ein rasches und stabiles Wirtschaftswachstum zu erreichen. Wichtige Faktoren sind dabei - die zentrale Lage in Mitteleuropa, gut erschlossene Industriestandorte, ausgebildetes Fachpersonal und umfangreiche Wirtschaftsbeziehungen mit den anderen Ländern Osteuropas. Wir rechnen mit einem intensiven und vielfältigen Engagement von Unternehmen aus der EG, wir laden unsererseits dazu ein und sind dabei, zügig alle dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Privaten Investitionen messen wir dabei eine Schlüsselrolle zu. Damit es zu einer erfolgreichen gegenseitig vorteilhaften wirtschaftlichen Zusammenarbeit, insbesondere mit mittelständischen Unternehmen kommt, wird mit Hochdruck an einer soliden marktwirtschaftlichen Basis in der DDR gearbeitet. In Wahrnehmung ihrer gemeinsamen Verantwortung auf dem Weg zur deutschen Einheit verhandeln die beiden deutschen Regierungen derzeit über einen Staatsvertrag zur Errichtung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Dieser Vertrag soll am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten. Dabei werden zentrale Elemente der Wirtschafts- und Sozialordnung von der Bundesrepublik für das Gebiet der DDR übernommen, wie - das Gesetz über die Deutsche Bundesbank, - das Gesetz über Kreditwesen, - das Aktiengesetz, - das Handelsgesetz sowie - das Gesetz über die friedliche Nutzung der Kernenergie. Einen Schwerpunkt der gegenwärtigen Arbeit in der DDR bilden solche gesetzlichen Regelungen, die besonders unternehmensgründend und -fördernd sowie mittelstandsbildend wirken und Anreize für Investoren schaffen sollen. Hervorheben möchte ich zum Beispiel Maßnahmen - zu Niederlassungen von Unternehmen in der DDR, - gegen Wettbewerbsbeschränkung, - zur Schaffung von Gewerberaum, - zur Durchführung des Außenhandels. Darüber hinaus wird eine Anzahl aus der Vergangenheit herrührender Rechtsvorschriften, die in der vorliegenden Form einen konsequenten Übergang zur sozialen Marktwirtschaft nicht im notwendigen Maße fördern, aufgehoben bzw. grundlegend verändert. Das betrifft zum Beispiel die Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung und die Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften. Im Zusammenhang damit wird auch die Steuergesetzgebung so verändert, daß mit günstigen Startsteuersätzen für kleine und mittlere Unternehmen, aber auch für Investoren aus dem In- und Ausland Rahmenbedingungen für schnelle Unternehmensgründungen geschaffen werden. Wesentliches Steuerungsinstrument der in der DDR zu schaffenden marktwirtschaftlichen Ordnung ist der Wettbewerb. Deshalb wurde in Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundeskartellamt ein Amt für Wettbewerbsschutz in der DDR gegründet. Grundlage seiner wettbewerbspolitischen und -rechtlichen Arbeit wird das Bundeskartellgesetz. Wegen der spezifischen Bedingungen der DDR-Wirtschaft in der Übergangsphase zur Marktwirtschaft ist zugleich ein Anpassungsgesetz erarbeitet worden. Auf dieser Grundlage wird es insgesamt möglich, einen flexibleren Wettbewerb mit größeren Chancen für Unternehmen aller Industriestaaten auf dem DDR-Markt führen zu können. Das Anliegen besteht darin, in allen Industriezweigen und Branchen einen fairen Wettbewerb in Gang zu bringen, gleichberechtigte Bedingungen für alle zu schaffen, aber zugleich eine Marktbeherrschung durch einzelne Großunternehmen zu unterbinden. Es darf nicht sein, daß wegen der notwendig unübersichtlichen Übergangsphase vor dem Beginn der Marktwirtschaft der Wettbewerb durch vollendete Tatsachen in bestimmten Branchen vorab ausgeschaltet wird. Im Außenhandel soll jede in der DDR ansässige juristische Person sowie jede natürliche Person mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt in der DDR Außenhandelsgeschäfte realisieren können. Damit wird den Grundsätzen eines freien Welthandels, wie sie insbesondere im GATT zum Ausdruck kommen, Rechnung getragen. Entsprechend dem Prozeß der Integration der DDR in die EG wird schrittweise mit dem Aufbau eines EG-konformen Importzollsystems begonnen. Erste normative Akte sind dazu mit dem Beginn der Währungsunion zu erwarten. Eine Voraussetzung für wettbewerbsorientierte wirtschaftliche Entscheidungen besteht nicht zuletzt darin, daß unterschiedliche Angebote auf dem Tisch liegen müssen. Derzeit ist ein Zustand zu verzeichnen, daß derartige Angebote nahezu ausschließlich von bundesdeutschen Verbänden bzw. Unternehmen vorliegen. Aber auch in dieser Hinsicht würde sich mehr Pluralismus nur günstig auswirken. Die DDR möchte daher Angebote von Verbänden und Unternehmen aus einer Vielzahl von Ländern initiieren. Die ganze Palette der möglichen Formen der Zusammenarbeit kann dabei hier gar nicht aufgezählt werden, aber von besonderem Interesse wären aus Sicht der DDR dabei die Übernahme von Produktionslizenzen, die Bereitstellung von Ausrüstungen bis zu ganzen technologischen Prozessen auf der Grundlage ausländischer Kapitalbeteiligungen an Unternehmen in der DDR, die Schaffung von gemeinsamen Absatzorganisationen und nicht zuletzt die Förderung von Führungskräften, vor allem Managern für DDR-Unternehmen. In der schwierigen Eigentumsfrage an Grund und Boden werden zur Zeit vernünftige Kompromisse erarbeitet, die schutzwürdige Interessen aller Beteiligten wahren. Die wirtschaftliche, technologische und investive Kooperation mit möglichst vielen Industriestaaten, die die Regierung der DDR im Hinblick auf die Sanierung und Entwicklung der Ökonomie unseres Landes anstrebt, ist ein Gebot der politischen Vernunft und des Augenmaßes. Sie wird dazu beitragen, vielen in Europa und in der Welt die Angst auch vor der vereinten deutschen Wirtschaft zu nehmen und der DDR eine umfassende Integration in die EG zu erleichtern. In diesem Sinne ist jeder herzlich willkommen, der mit uns zusammenzuarbeiten bereit ist. Ich bin der Überzeugung - das möchte ich abschließend unterstreichen -, daß ungeachtet der gravierenden Probleme, die der deutsche Vereinigungsprozeß aufwirft, bei den Beteiligten der feste Wille besteht und daß auch die Voraussetzungen gegeben sind oder geschaffen werden, ihn so zu gestalten, daß daraus nicht nur keine Bedrohung für das neue Europa, sondern vielmehr ein spürbarer Gewinn erwächst.