Reagan 09.06.1982 Rede vor dem Deutschen Bundestag - Friedenserhaltung, Rolle der USA im Atlantischen Bündnis, Vorschlag MBFR - im Wortlaut Herr Bundestagspräsident, Bundeskanzler Schmidt, Mitglieder des Hohen Hauses, verehrte Gäste! Vielleicht liegt es daran, daß ich eben aus London gekommen bin, daß mir ein Zitat des berühmten Dr. Johnson auf der Zunge liegt, der gesagt hat: "Das Gefühl der Freundschaft gleicht dem angenehmen Vollgefühl, das man nach dem Verspeisen eines guten Bratens empfindet." Wie dem auch sei, ich bin heute nachmittag voller freundschaftlicher Gefühle hierhergekommen und darf Ihnen zunächst die sehr herzlichen Grüße und guten Wünsche des amerikanischen Volkes überbringen. Es ist mir eine große Ehre, heute zu Ihnen und damit zu allen Deutschen sprechen zu dürfen. Im kommenden Jahr werden wir gemeinsam den 300. Jahrestag der ersten deutschen Ansiedlung in den amerikanischen Kolonien feiern. Jene 13 Familien, die in die Neue Welt aufbrachen, waren die Vorläufer von über sieben Millionen deutschen Einwanderern, und heute berufen sich mehr Amerikaner auf eine deutsche Abstammung als auf jede andere. Diese Deutschen rodeten und bepflanzten unser Land, erbauten unsere Industrien und bereicherten unsere Kunst und Wissenschaften. Um diesen deutschen Beiträgen über einen Zeitraum von 300 Jahren Ehre zu erweisen, sind Bundespräsident Carstens und ich heute übereingekommen, daß er zur Feier dieses Jubiläums im Oktober 1983 zu einem Staatsbesuch in die USA kommen wird. Wir verdanken deutschen Menschen sehr viel. Vielleicht hat mein Land einen Teil dieser Schuld wieder abgetragen. Die amerikanische Revolution war die erste in der modernen Geschichte, die den Kampf um das Recht auf Selbstregierung und um die Garantie der Bürgerrechte zum Gegenstand hatte. Dieser Gedanke war ansteckend. Die vom Frankfurter Parlament 1849 verkündeten grundlegenden Menschenrechte garantierten Rede- und Religionsfreiheit und die Gleichheit vor dem Gesetz. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland leben diese Prinzipien weiter. Viele Völker im Osten warten auch heute noch auf diese Rechte. Die Vereinigten Staaten sind stolz auf die deutsche Demokratie - aber sie ist nicht unsere Schöpfung. Als Heinrich Heine von den Menschen sprach, die im Mittelalter die ehrfurchtheischenden Dome und Kathedralen gebaut haben, sagte er: "Die Menschen in jener Zeit hatten Überzeugungen. Wir Neueren haben nur Meinungen, und es gehört mehr als eine bloße Meinung dazu, um so einen gotischen Dom aufzurichten." Im Verlauf der letzten 30 Jahre haben die Überzeugungen des deutschen Volkes einen Dom der Demokratie aufgerichtet - ein großes und rühmliches Denkmal der Ideale Ihres Volkes. Wir Amerikaner betrachten die freie Gesellschaft, die Sie in so wenigen Jahrzehnten aufgebaut haben, mit echter Bewunderung. Unsere eigene Geschichte läßt uns um so besser verstehen, was Sie hier geleistet haben. Wir Amerikaner sprechen mit tiefster Ehrfurcht von unseren Gründervätern und ersten Bürgern, denen wir die Freiheiten verdanken, welche wir heute genießen. Und obwohl deren Schaffen mehr als 200 Jahre zurückliegt, tragen wir sie in unseren Herzen, nicht nur in unseren Geschichtsbüchern. Ich glaube, kommende deutsche Generationen werden einmal auf Sie, die Deutschen der Gegenwart, und auf Ihre Mitbürger mit derselben tiefen Ehrfurcht und Anerkennung zurückblicken. Sie haben eine freie Gesellschaft geschaffen, die auf das Herzstück der Ideale der westlichen Zivilisation gegründet ist: den unerschütterlichen Glauben an die Würde des Menschen. Das wird man Ihnen nie vergessen. Die Nachfolgegenerationen dieser Republik werden Ihnen noch in kommenden Jahrhunderten dafür Ehre und Bewunderung zollen. Gestern sprach ich vor dem britischen Parlament über die Grundwerte der westlichen Zivilisation und über die Notwendigkeit, allen Völkern zu helfen, in den Besitz der Institutionen der Freiheit zu kommen. Auf viele Weise und an vielen Orten werden unsere Ideale auf die Probe gestellt. Wir stehen heute nachmittag zwischen zwei wichtigen Gipfeltreffen - der Konferenz der führenden demokratischen Industrieländer in Versailles und der morgigen Zusammenkunft des Atlantischen Bündnisses hier in Bonn. Wir stehen vor kritischen und komplizierten Problemen. Wir werden uns aber mit jedem Dilemma leichter auseinandersetzen können, wenn wir uns daran erinnern, daß unsere Partnerschaft auf gemeinsamer westlicher Tradition und dem Glauben an Demokratie beruht. Als Triebfeder für die Gemeinsamkeit des Atlantischen Bündnisses sehe ich die Suche nach dem Frieden, innerem Frieden für unsere Bürger und Frieden zwischen den Nationen. Warum innerer Frieden? Weil die Demokratie die Selbstentfaltung erlaubt; weil sie die Würde und die Kreativität des Einzelmenschen respektiert; weil in der Demokratie nach dem Recht gehandelt wird, nicht auf Grund von Terror und Unterdrückung; weil sie Regierung mit Zustimmung der Regierten bedeutet. Dies alles ist der Grund, warum die Bürger des Atlantischen Bündnisses ein vormals unerreichtes Maß an materiellem und geistigem Wohlstand genießen. Und es steht ihnen frei, ihren eigenen persönlichen Frieden zu finden. Es ist aber auch der Friede zwischen den Nationen, den wir suchen. Es steht in den Psalmen: "Suche den Frieden, jage nach ihm." Auf dieses Prinzip und auf diese Zielsetzung ist unsere Außenpolitik gegründet. Das vornehmste Ziel unserer diplomatischen Arbeit ist die schwierige und Geduld erfordernde Aufgabe, unsere Gegner auf den Pfad des Friedens zu bringen. Und sicherlich würden alle von uns den Tag begrüßen, an dem als letzte Kriegsindustrie nur noch die Forschungsarbeit der Historiker zu verzeichnen ist. Aber nur einfach auf den Frieden hoffen, genügt nicht. Wir sollten uns an Friedrich Schillers Worte erinnern: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt." Unserer Friedenssuche muß ein Verfahren zugrundeliegen, ein Verfahren, das die Gefahren und Wirklichkeiten dieser Welt berücksichtigt. Als Bundeskanzler Schmidt letztes Jahr zu einem Staatsbesuch in Washington war, habe ich gesagt, Ihre Republik stehe auf einer Klippe der Freiheit. Damit habe ich dem deutschen Volke nichts Neues erzählt. Wer wie Sie im Herzen des geteilten Europa lebt, sieht deutlicher als andere, daß es Regierungen gibt, die sich weder mit dem eigenen Volk noch mit der übrigen Welt im Zustand des Friedens befinden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgendein rational denkender Beobachter bestreiten würde, daß sowohl der Frieden als auch die Freiheit heute bedroht sind. Dies ist so unmißverständlich sichtbar wie die Schnittwunde der Grenze, die das deutsche Volk teilt. Wir werden von einer Macht bedroht, die öffentlich unsere Wertvorstellungen verhöhnt und unsere Zurückhaltung damit beantwortet, daß sie ungezügelt ihre militärische Stärke immer weiter ausbaut. Wir dürfen nicht simplistisch annehmen, daß jede andere Nation den Frieden wünscht, den wir so dringlich ersehnen. Das polnische Volk kann uns ein Lied von jenen singen, die andere mit militärischer Gewalt unterdrücken, nur weil sie menschliche Grundrechte anstreben. Desgleichen können uns die afghanischen Freiheitskämpfer bestätigen, daß Bedrohung durch Aggression noch nicht aus dieser Welt geschafft wurde. Die Gefahr militärischer Erpressung wäre sehr groß, wenn die atlantische Sicherheit nicht verstärkt wird. Wir müssen weiterhin unsere Verteidigung verstärken, wenn wir den Frieden und die Freiheit erhalten wollen. Diese Erhaltung von Frieden und Freiheit ist keine unmögliche Aufgabe; fast 40 Jahre lang hat unsere Abschreckung den Krieg verhindert. Auf dem nuklearen wie auf dem konventionellen Sektor haben wir unser Verteidigungspotential auf solche Weise organisiert, daß für einen möglichen Aggressor keine Hoffnung auf einen militärischen Sieg bestand. Das Bündnis hat seine Stärke nicht als Kriegsflagge, sondern als Friedensbanner getragen. Die Abschreckung hat den Frieden erhalten. Deshalb müssen wir weiterhin diejenigen Schritte unternehmen, die getan werden müssen, um die Abschreckung glaubhaft zu machen. Dies hängt zum Teil von einem starken Amerika ab. Mein Land bemüht sich gegenwärtig, längst überfällige Verbesserungen unserer militärischen Fähigkeiten vorzunehmen, die unseren Bürgern Opfer abverlangen. Der amerikanische Bürger unterstützt diese Initiative, weil er weiß, wie fundamental wichtig sie ist, um den Frieden, den er aus allen Kräften will, zu erhalten. Wir sind auch entschlossen, die Präsenz gut ausgerüsteter und ausgebildeter Truppen zu erhalten, unsere strategischen Streitkräfte zu modernisieren und sie dem Bündnis zugeordnet zu lassen. Durch diese Handlungen sendet Ihnen das amerikanische Volk eine Botschaft: "Deutschland, wir stehen auf deiner Seite! Du stehst nicht allein!" Unsere Gegner würden einen schrecklichen Fehler machen, es je darauf ankommen zu lassen, daß wir Amerikaner unsere Bündnisverpflichtungen nicht einhalten würden, ganz gleich, wie schwer die Probe ist, auf die wir gestellt werden. Die Sicherheit der Allianz stützt sich auf eine völlig glaubhafte konventionelle Verteidigung, zu der alle Verbündeten beitragen. Es besteht bei jedem Konflikt die Gefahr, daß er sich zu einem Kernwaffenkrieg ausweiten könnte. Starke konventionelle Streitkräfte können die Gefahr einer Auseinandersetzung mit konventionellen oder nuklearen Waffen weniger wahrscheinlich machen. Stärke in vernünftigen Maßen ist nichts Böses an sich. Im Gegenteil, solche Stärke ist ehrenhaft, wenn sie der Erhaltung des Friedens oder der Verteidigung der tiefsten Überzeugungen dient. Daher liegt eine der ersten Aufgaben zur Erfüllung unserer gegenseitigen Verpflichtungen darin, mit der Stärkung unserer konventionellen Verteidigung fortzufahren. Dazu muß die Verbesserung der Bereitschaft unserer stehenden Kräfte sowie auch die Fähigkeit dieser Kräfte, als gemeinsames Ganzes eingesetzt zu werden, gehören. Auch das technische Genie des Westens muß zur Verbesserung unserer konventionellen Abschreckung eingesetzt werden. Es gibt keinen Zweifel daran, daß unser Bündnis über die Mittel verfügt, unsere konventionelle Verteidigung zu verbessern. Immer wieder haben unsere Völker bewiesen, daß sie willens sind, das ihnen eigene Gut der persönlichen Freiheit und der Menschenwürde zu verteidigen. Die Dynamik unserer Wirtschaft ist der unserer Gegner bei weitem überlegen. Unsere freie Wirtschaft hat technologische Vorteile erarbeitet, denen andere Systeme in ideologischen Zwangsjacken nie etwas Gleiches entgegensetzen können. Alle diese Ressourcen können für unsere Verteidigung eingesetzt werden. Es stimmt, daß viele unserer Nationen gegenwärtig in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. Trotzdem müssen wir sicherstellen, daß unsere Sicherheit nicht darunter leidet. Obwohl wir wirtschaftliche Probleme hatten, haben wir auf dem Gebiet der konventionellen Verteidigung in den letzten Jahren Fortschritte gemacht und die Pessimisten, die unsere Anstrengung für nutzlos halten, eines Besseren belehrt. Mit jedem Schritt zur Ausfüllung der konventionellen Lücke verringert sich das Risiko von Aggression oder Nuklearkonflikt. Der Boden Deutschlands, der Boden aller Verbündeten sind ein Hauptanliegen für alle Mitglieder der Allianz, und diese fundamentale Verpflichtung ist im Nordatlantikvertrag niedergelegt. Dieser Verpflichtung können wir aber nicht nachkommen, ohne sicherzustellen, daß amerikanische Streitkräfte zur Verstärkung Europas bereitstehen und daß Europa bereit ist, sie in Empfang zu nehmen. Deswegen begrüße ich das vor kurzem mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossene Abkommen über Unterstützung durch den Aufnahmestaat in Krise oder Krieg. Dieses Abkommen stärkt unsere Fähigkeit zur Aggressionsabschreckung in Europa und bezeugt, daß wir gemeinsam entschlossen sind, einem Angriff zu begegnen. Da jedem Bündnispartner der volle Schutz durch das Bündnis zusteht, ist auch jeder dafür verantwortlich, einen angemessenen Teil der Lasten zu tragen. Da gibt es nun natürlich des öfteren Meinungsverschiedenheiten, und Kritik am Bündnis ist so alt wie das Bündnis selbst. Auf beiden Seiten des Atlantik hören wir jetzt aber Stimmen, die den unvermeidbaren Prozeß der Anpassung innerhalb des Bündnisses mit einer dramatischen Veränderung der Interessenlage verwechseln. Einige Amerikaner glauben, die Europäer kümmern sich nicht genug um ihre eigene Sicherheit; einige wollen die Anzahl der in Europa stehenden amerikanischen Truppen einseitig reduzieren. Und in Europa selber hören wir den Gedanken geäußert, die amerikanische Präsenz sei kein Beitrag zur Friedenssicherung; im Gegenteil, sie hätte keinen Abschreckungswert oder würde sogar das Risiko eines Angriffs auf unsere Bündnispartner verschärfen. Solche Argumente verkennen die geschichtliche Entwicklung wie die Realität der transatlantischen Koalition. Die amerikanische Verpflichtung gegenüber Europa - das versichere ich Ihnen - bleibt verläßlich und stark. Die Küsten Europas sind unsere Küsten. Die Grenzen Europas sind unsere Grenzen. Und wir werden Ihnen bei der Verteidigung der uns überlieferten Freiheit und der Menschenwürde zur Seite stehen. Das amerikanische Volk ist sich der erheblichen Beiträge Europas für unsere gemeinsame Sicherheit bewußt. Nirgends kann man diesen Beitrag klarer sehen als hier in der Bundesrepublik. Bei deutschen Bürgern sind die Streitkräfte von sechs Nationen zu Gast. Deutsche Soldaten und Reservisten bilden das Rückgrat der konventionellen Abschreckung der NATO im Herzen Europas. Die Bundeswehr ist ein Modell für die Verschmelzung von militärischen Notwendigkeiten mit einem demokratischen Lebensstil. Und Sie sind nicht der schweren Verantwortung ausgewichen, die für die Abschreckung notwendigen Kernwaffen bei sich aufzunehmen. Es gilt, eine andere Aufgabe zu bewältigen, bei der ich um Ihre Hilfe bitte. Viele amerikanische Bürger sind der Meinung, daß manche Europäer - insbesondere junge Europäer - nicht richtig verstehen, warum wir Amerikaner in Europa stehen. Wenn Sie mithelfen können, den Menschen auf dieser Seite des Atlantiks die amerikanische Rolle klarzumachen, werde ich für jene auf unserer Seite das gleiche tun. In Ihrem Lande wie auch in meinem haben wir in den letzten Monaten erneut öffentliche Bezeugungen der Besorgnis über die Gefahr eines Atomkrieges und über den Ausbau der Waffenarsenale gesehen. Ich weiß, daß für die deutschen Menschen das Leben nicht einfach ist, wenn vom Osten her ein Sturm der Einschüchterung bläst. Gestatten Sie mir, Heine noch einmal zu zitieren. Er hat fast die Angst vor dem Atomkrieg vorausgesehen, als er schrieb: "Wilde und düstere Zeiten dröhnen heran. Und der Prophet, der eine neue Apokalypse schreiben wollte, müßte ganz neue Bestien erfinden, und zwar so erschreckliche, daß die älteren Johanneischen Tiersymbole dagegen nur sanfte Täubchen und Amoretten wären." Die atomare Bedrohung ist eine schreckliche Bestie. Vielleicht hat es ein Banner bei einer Demonstration gegen Kernwaffen hier in Deutschland am besten ausgedrückt. Darauf stand: "Ich habe Angst!" Ich kenne niemanden in führender Rolle im Westen, der für diese ernste Mahnung kein Verständnis hat. Auch ich fühle mich jenen verbunden, die für den Frieden marschieren. Wäre ich überzeugt, daß Marschieren allein eine sicherere Welt herbeiführen könnte, würde ich den Marschzug sogar anführen. Und ich möchte auch den 2800 Frauen von Filderstadt, die einen Friedensappell an Präsident Breschnew und an mich gesandt haben, versichern, daß ich diesen Appell gern unterzeichnen würde, wenn ich glauben könnte, daß man damit Eintracht herbeiführen könnte. Ihr Anliegen verstehe ich durchaus. Die Frauen von Filderstadt und ich streben das gleiche Ziel an. Die Frage ist nur, wie man es am besten erreicht. Wir müssen die Konsequenzen der Methoden überdenken, mit denen wir die Gefährdung des Friedens eindämmen wollen: Diejenigen, die vorschlagen, daß wir einseitig auf die Modernisierung unserer Streitkräfte verzichten sollen, werden beweisen müssen, daß dieser Schritt unsere Sicherheit erhöht und zur Mäßigung auf der anderen Seite führt, kurz gesagt: daß er die Friedenssicherung fördert, statt sie zu untergraben. Die Ereignisse der jüngsten Geschichte stellen diese Auffassung in Frage. Diejenigen, die verlangen, daß wir auf die Verwendung eines bedeutsamen Elements unserer Abschreckungsstrategie verzichten sollen, werden beweisen müssen, wie dies die Kriegsgefahr vermindern würde. Nur im Vergleich zu einem Nuklearkrieg sind die durch einen konventionellen Krieg hervorgerufenen Leiden das kleinere Übel. Unser Ziel muß es sein, von jeder Art von Krieg abzuschrecken. Diejenigen, die sich darüber beklagen, daß die Bemühungen zur Rüstungskontrolle bisher keine wesentlichen Ergebnisse gebracht haben, müssen in Erwägung ziehen, wo die Schuld dafür zu suchen ist. Ich möchte daran erinnern, daß es die Vereinigten Staaten waren, die ein Verbot der bodengestützten Mittelstreckenraketen vorgeschlagen haben, und es sind diese nuklearen Mittelstreckenraketen, die Europa am meisten bedrohen. Es war ein Vorschlag der Vereinigten Staaten, den wir weiterverfolgen werden, drastische Kürzungen in den strategischen Systemen vorzunehmen. Es war der Westen, der seit langem detaillierte Informationsaustausche über Streitkräfte und wirksame Nachprüfmethoden zu erreichen versucht hat. Und es sind die Diktaturen, nicht die demokratischen Staaten, die den Militarismus brauchen, um ihre eigenen Menschen im Griff zu halten und um anderen ihr System aufzuzwingen. Von jenen, die einen anderen Standpunkt haben und die diese Gefahr nicht sehen, nehme ich nicht an, daß sie unwissend sind; sie wissen einfach zu viele Dinge, die nicht stimmen. Wir im Westen - Deutsche, Amerikaner, unsere anderen Verbündeten - sind ernsthaft bestrebt, unsere Bemühungen um Beschränkung des Wettrüstens weiterzuverfolgen. Der gesunde Menschenverstand gebietet uns, nicht aufzugeben. Ich fordere diejenigen auf, die ernsthaft um wirksame und dauerhafte Rüstungskontrolle bemüht sind, sich hinter die weitreichenden Vorschläge zu stellen, welche wir vorgelegt haben. Meinerseits verspreche ich, daß wir mit unseren Verbündeten hierüber weiterhin die engsten Konsultationen unterhalten werden. Am 18. November habe ich ein umfassendes und ehrgeiziges Programm für Rüstungskontrolle dargelegt. Darin wird die beiderseitige Reduzierung der bodengestützten Nuklearraketen mittlerer Reichweite auf Null vorgeschlagen. Wird dies in die Tat umgesetzt, würde die wachsende Bedrohung Westeuropas durch die modernen sowjetischen SS-20-Raketen beseitigt werden und der NATO-Doppelbeschluß über Aufstellung amerikanischer Mittelstreckensysteme wäre nicht mehr notwendig. Mir ist es, nebenbei gesagt, unverständlich, warum einige Leute vor den Waffen, deren Austellung die NATO plant, größere Angst haben als vor den Waffen, die die Sowjetunion schon stehen hat. Unser Vorschlag ist fair, weil er beiden Seiten die gleichen Beschränkungen und Verpflichtungen auferlegt und weil er wesentliche Reduzierungen vorschreibt und nicht nur für ein schon bestehendes hohes Maß an Vernichtungspotential Obergrenzen setzt. Wie Sie wissen, haben wir diesen Vorschlag in Genf gemacht, wo wir seit dem November vorigen Jahres verhandeln. Wir beabsichtigen, diese Verhandlungen intensiv weiterzuverfolgen. Ich betrachte sie als einen wichtigen Prüfstein für die Bereitschaft der Sowjets zum Abschluß von wesentlichen Rüstungskontrollabkommen. Wir haben der Sowjetunion am 9. Mai vorgeschlagen, in Genf in diesem Monat mit den START-Gesprächen über die Reduzierung von strategischen Waffen zu beginnen. Die UdSSR hat zugestimmt, und die Gespräche werden am 29. Juni eröffnet. Die Vereinigten Staaten beabsichtigen, sich besonders auf diejenigen Systeme zu konzentrieren, die am meisten destabilisierend wirken, um dadurch das Kriegsrisiko zu mindern. Aus diesem Grund schlagen wir für die erste Phase vor, die Anzahl der Gefechtsköpfe für ballistische Flugkörper sowie die Raketen selber um ein Wesentliches zu verringern. In der zweiten Phase suchen wir eine beiderseitig gleiche Begrenzung bei anderen Elementen unserer strategischen Kräfte, einschließlich des Wurfgewichts ballistischer Raketen, auf ein unter dem gegenwärtigen amerikanischen Bestand liegendes Niveau. Marschflugkörper und Bombenflugzeuge werden von uns auf ausgewogene Weise behandelt werden. Wir werden mit gutem Willen verhandeln und an diese Gespräche mit demselben Ernst und derselben Zielstrebigkeit herangehen, wie wir sie schon bei der mehrere Monate andauernden Vorbereitungsphase gezeigt haben. Ein weiteres Element in dem von mir dargelegten Programm ist die Aufforderung, die konventionellen Streitkräfte in Europa zu reduzieren. Schon seit den frühesten Nachkriegsjahren haben sich die westlichen Demokratien mit der nichts Gutes verheißenden Realität auseinandersetzen müssen, daß massive sowjetische konventionelle Truppenkontingente immer noch dort stationiert bleiben, wo sie nicht hingehören. Die Stärke der sowjetischen Truppen in Mitteleuropa geht weit über legitime Verteidigungsinteressen hinaus. Ihre Anwesenheit ist um so bedrohlicher, weil sich die sowjetische Militärdoktrin stark auf Mobilität und Überraschungsangriffe stützt. Diese Truppen haben sich, wie man an der Geschichte ablesen kann, als Werkzeug für Einschüchterung und Unterdrückung einen Namen gemacht. Um dem zu entgehen, müssen die NATO-Verbündeten zeigen, daß sie den Willen und die Fähigkeit besitzen, einen konventionellen Angriff oder Einschüchterungsversuch abzuschrecken. Wir werden aber auch weiterhin nach vertretbaren Wegen suchen, die Zahl des Militärpersonals bei der NATO und beim Warschauer Pakt auf gleiche Stärken zu reduzieren. In den letzten Wochen wurden in unserem Bündnis Beratungen geführt, wie die Wiener Verhandlungen über gegenseitige und ausgewogene Truppenreduzierungen wieder am besten stimuliert werden können. Als Ergebnis dieser Beratungen werden die westlichen Vertreter bei den Wiener Gesprächen demnächst einen Vorschlag einbringen, wonach die beiden Bündnisse ihre jeweiligen Landstreitkräfte in nachprüfbaren Phasen auf eine Gesamtstärke von 700000 und die Kombination von Landtruppen und Luftwaffenpersonal auf 900000 Mann senken würden. Wenn ein solches Abkommen die Bedrohung auch nicht aus der Welt schaffen und unseren Bürgern nicht die Last abnehmen würde, eine umfangreiche Verteidigungsstreitmacht aufrechtzuerhalten, würde es doch ein größerer Schritt hin auf ein sicheres Europa - im Osten wie im Westen - sein. Es könnte zu militärischer Stabilität auf niedrigeren Ebenen führen und die Gefahren von Fehleinschätzungen und Überraschungsangriffen mindern. Auch wäre es ein Zeichen für den politischen Willen beider Bündnisse, durch die Beschränkung ihrer Streitkräfte im Zentralgebiet ihrer militärischen Konkurrenz die Stabilität zu fördern. Der Westen hat eine Reihe von klaren Zielen gesetzt. Wir im Bündnis werden unsere Pläne vorantreiben, unsere konventionellen Streitkräfte in Europa zu verbessern. Gleichzeitung schlagen wir ein Rüstungskontrollabkommen vor, das die konventionellen Kräfte auf einer wesentlich niedrigeren Ebene gleichstellen würde. Wir werden mit unseren Vorbereitungen fortfahren, die nuklearen Streitkräfte in Europa zu modernisieren. Aber auch hier werden wir nicht aufhören, daran weiterzuarbeiten, die andere Seite in Genf zur Annahme unseres Vorschlags über das Verbot bodengestützter Nuklearraketen mittlerer Reichweite zu bewegen. In den Vereinigten Staaten gehen wir mit den von mir im letzten Jahr angekündigten Plänen voran, unsere strategischen Nuklearstreitkräfte zu modernisieren, die bei der Friedenssicherung durch Kriegsabschreckung eine so wichtige Rolle spielen. Auch auf diesem Gebiet haben wir die Aufnahme der START-Gespräche angeregt, und wir werden diese Gespräche mit Entschlossenheit führen und verfolgen. Auf jedem dieser Gebiete basiert unsere Politik auf der Überzeugung, daß ein stabiles militärisches Gleichgewicht auf der niedrigstmöglichen Ebene der Sache des Friedens dienlich ist. Die andere Seite wird auf diese Initativen nur dann ernsthaft eingehen, wenn sie glaubt, daß wir entschlossen sind, für unsere eigene Verteidigung zu sorgen. Wenn unsere Gegner nicht davon überzeugt sind, daß wir uns zusammenschließen werden und daß wir weiterhin hinter diesen Initiativen geschlossen stehen können, werden sie versuchen, uns voneinander und unsere Völker von ihren Regierungen zu trennen. Ich bleibe optimistisch über unsere Beziehungen zur Sowjetunion, solange die westlichen Nationen ihren Werten treu bleiben und die Treue zueinander nicht verlieren. Ich glaube an die westliche Zivilisation und an ihre moralische Kraft. Ich glaube zutiefst an die Ideale, denen sich der Westen verschrieben hat. Und wenn wir uns von diesen Idealen leiten lassen, glaube ich, daß wir eine geradlinige, durchführbare und dauerhafte Politik finden können, welche uns den Frieden erhält. Ich habe gesagt, das deutsche Volk habe einen bewundernswerten Dom der Demokratie aufgerichtet. Aber ein weiteres Bauwerk steht uns noch bevor. Wir müssen einen Dom des Friedens bauen, wo Nationen den Krieg und Menschen den Verlust ihrer Rechte nicht zu fürchten brauchen. Ich habe von der Geschichte des berühmten Kölner Doms gehört, wie seine herrlichen, aufstrebenden Türme wie durch ein Wunder die Zerstörung ringsumher und die Beschädigung der Kirche selber überdauert haben. Laßt uns wie die Kölner einen solchen Dom bauen - aus tiefster Überzeugung und mit Entschlossenheit. Laßt ihn uns bauen wie sie es taten - nicht nur für uns, sondern für die kommenden Generationen. Denn wenn wir beim Bau des Friedens richtig vorangehen, wird er genauso dauerhaft sein wie die Türme von Köln. - Ich danke Ihnen vielmals.