Vogel 28.10.1977 Bundestagsrede Gesetzesentwürfe zur Bekämpfung von Terrorismus u. Gewaltkriminalität sowie Schutz der inneren Sicherheit - im Wortlaut Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle stehen unverändert unter dem Eindruck der Kölner Morde an Reinhold Brändle, Helmut Ulmer, Roland Pieler und Heinz Marcisz. Wir stehen unter dem Eindruck der jüngsten Entführungsfälle und unter dem Eindruck des Todes von Jürgen Schumann und von Hanns Martin Schleyer. Wir wissen, daß nicht nur die Entschlossenheit und Besonnenheit aller Beteiligten, sondern auch eine glückliche Fügung von uns nicht beeinflußbarer Umstände die wohlbehaltene Rückkehr der Geiseln der "Landshut" möglich gemacht hat. Wir wissen, daß weitere Anschläge drohen, gerade auch nach dem Selbstmord der Stammheimer Häftlinge. Denn dieser Selbstmord war kein Akt der Resignation; es war ein letzter und äußerster Einsatz im Kampf gegen unseren Staat. Es war der Einsatz des Mittels der Selbstzerstörung als Waffe zur Verschärfung eines fanatischen Kampfes. In dieser Situation wollen wir in erster Lesung eine Reihe von Gesetzentwürfen behandeln, die bessere Handhaben zur Bekämpfung des Terrors bieten sollen. Es ist eine neue Situation, eine Situation, von der der Herr Bundespräsident in seiner Stuttgarter Trauerrede am Dienstag mit Recht gesagt hat, sie erlaube es uns nicht, so fortzufahren, als wäre nichts geschehen. Schon deshalb dürfen wir die Entwürfe nicht isoliert betrachten. Vielmehr müssen wir uns vorweg über die Größe der Gefahr, d. h. über das Kräfte- und Wirkungspotential des Terrors und über die Felder klarwerden, auf denen die Auseinandersetzung mit dem Terror zu führen ist. Die Größe der Gefahr, das Potential des Terrors, die Einwirkungsmöglichkeiten der Terroristen - das alles muß ohne Übertreibung, ohne Verharmlosung nüchtern und realistisch betrachtet werden. Zunächst haben wir es hier mit einem erheblichen kriminellen Potential zu tun. Es handelt sich um mehrere gefährliche Banden, die teils selbständig, teils in Kooperation untereinander und mit ausländischen Terroristen zur Begehung einer Vielzahl schwerer und schwerster Verbrechen fähig waren, die eine immer breiter werdende Blutspur durch unser Land gezogen haben. Bisher sind ihren Anschlägen seit dem 1. Januar 1970 24 Menschen zum Opfer gefallen; 102 weitere Menschen sind Mordversuchen nur mehr oder weniger knapp entgangen. Der harte Kern dieser Banden besteht aus etwa 100 Personen. Davon sind 56 in Haft, die übrigen in Freiheit. Sie sind schwer bewaffnet und verfügen über eine beträchtliche und leistungsfähige Logistik. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist schon bedrohlich genug. Aber die Auswirkungen des Terrors beschränken sich nicht auf den unmittelbaren kriminellen Effekt. Insofern unterscheiden sich die terroristischen Vereinigungen von allen herkömmlichen Gangsterbanden, von denen es sicher in anderen Ländern, kriminalistisch betrachtet, noch weitaus gefährlichere gibt. Indes, die terroristischen Banden streben weiterreichende Wirkungen an und erzielen sie auch, zumindest zum Teil, zumindest für gewisse Zeit. Wo sonst haben bandenmäßig verübte Verbrechen beispielsweise bisher ethische, gesellschaftspolitische, ja sogar theologische Diskussionen in dieser Breite ausgelöst, Diskussionen etwa über legitime und illegitime Gewalt, über Bürgerkrieg und Staatsnotwehr, über die Realität des Bösen oder auch über eine Theologie der Gewalt? Haben wir es früher jemals erlebt, daß Verbrecher außerhalb der Unterwelt mit versteckter oder gar offener Zustimmung aufgenommen worden sind? Hier, meine Damen und Herren, ist es der Fall. Nicht nur, aber vor allem der Mord an Siegfried Buback hat ein solches Echo hervorgerufen. Ich denke dabei an den empörenden sogenannten Nachruf, der immer wieder teils mit eindeutiger, teils mit halbherziger, teils aber auch ohne jede Distanzierung oder sogar mit Bekundungen der Sympathien nachgedruckt worden ist. Ich denke dabei an die Tatsache, daß dieser Nachruf von 43 Professoren, also beamteten, auf die Verfassung unseres Staates vereidigten Hochschullehrern in einem geradezu erbärmlichen Kontext unter schändlicher Vergleichung mit dem Tod eines zaristischen Polizeigouverneurs herausgegeben worden ist. Ich denke dabei schließlich an einen Schriftsteller, der sich des Ermordeten eilends bemächtigte, um ihn in kümmerlichen Versen zu diffamieren. Diese Vorgänge, meine sehr geehrten Damen und Herren, erinnern an den Beifall, mit dem zu Beginn der Weimarer Republik Verblendete die Ermordung eines Matthias Erzberger und eines Walther Rathenau aufgenommen haben, oder an die Menschenverachtung, mit der Adolf Hitler 1932 die Mörder von Potempa seiner Solidarität versicherte. Keine andere Bande, meine Damen und Herren, hat es bislang fertiggebracht, daß Medien auch in uns verbündeten Ländern zumindest partielles Verständnis für die vorgeblichen Ziele ihres Terrors äußerten und die Ursachen der Gewalttaten eher im Zustand unserer Gesellschaft oder in der Art sehen wollten, in der wir auf diese Herausforderung antworten, als in dem verbrecherischen Fanatismus der Terroristen. Dabei ist mir durchaus bewußt, daß sich diese Stimmen auch auf einzelne Äußerungen aus der Bundesrepublik stützen, auf solche aus früheren Zeiten, die Fehleinschätzungen erkennen ließen, aber auch auf aktuelle Äußerungen, die die Relationen außer acht lassen, die mehr die Beschädigung des politischen Gegners, das Begleichen alter Rechnungen als die Abwehr gemeinsamer Gefahr zum Ziele haben. Wir spüren doch fast täglich, welchen Einfluß dies vielerorts auf das Bild nimmt, das in Europa und darüber hinaus von unserem Land entworfen wird, das sich in den Köpfen von Europäern niederschlägt und auf unser Land zurückwirkt. Aber nicht nur nach außen erzielen die Terrorbanden Wirkungen. Auch im Inland verändern ihre Gewalttaten unser Dasein. Gerade wegen der Brutalität ihrer Verbrechen nehmen sie die Aufmerksamkeit unseres Volkes über Tage und Wochen in Anspruch. Sie beschäftigen die Exekutive, aber auch die gesetzgebenden Körperschaften in einem Maße, das mitunter Besorgnis erregt. Sie treffen das Bewußtsein und die Gefühle der Menschen in einer Stärke, die ihresgleichen sucht. Sie zielen auch ganz bewußt auf Konfliktfelder, die zwischen den Parteien unseres Landes, zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Kräften bestehen, um Gegensätze zu vertiefen, um die Polarisierung bis zu irreparablen Brüchen eskalieren zu lassen. Einige, die glauben, den Terror besonders nachdrücklich zu bekämpfen, sind dabei ihre unfreiwilligen Helfer. Vielleicht meinen nun manche, es sei nicht zweckmäßig, dies von der Tribüne des Deutschen Bundestages auszusprechen, es sei doch nur eine Handvoll von Verbrechern. Man dürfe sie nicht dämonisieren. Man sollte ihr Tun eher herunterspielen, und - wo immer möglich - mit Schweigen übergehen. Ich glaube, das wäre ein Irrtum. Wer eine Gefahr bannen will, muß sie zunächst erkennen und sie wahrheitsgemäß beschreiben. Dies habe ich soeben versucht. Eben dies halte ich auch für die Pflicht gerade des Justizministers. Um es noch einmal mit anderen Worten zu sagen: Nicht daß Menschen getötet werden - so furchtbar das auch ist -, ist das Spezifikum des Terrors. Sein Spezifikum ist der frontale Angriff gegen unseren Staat, gegen das Vertrauen der Bürger in den Staat, gegen die Wertordnung unserer Gesellschaft und gegen den Grundkonsens der geistigen und politischen Kräfte, auf dem unsere staatliche und gesellschaftliche Ordnung ruht. Dabei nehmen die Terroristen und ihre Hintermänner bewußt in Kauf, daß dem Zerbrechen des Grundkonsenses nicht sogleich der von ihnen angestrebte Zustand eines Zwangsparadieses folgt, sondern daß zunächst eine Metamorphose des Staates in Richtung auf die Praktizierung von Gegenterror einsetzt, eine Metamorphose, von der sich die Terroristen Zulauf an aktiver Unterstützung und an Sympathisanten versprechen. Ich sagte, die Terroristen zielen gegen unsere Wertordnung. Den höchsten Rang in dieser Ordnung nimmt die Menschenwürde ein, d. h. der sittliche Eigenwert jedes einzelnen Individuums als Person. Gerade diesen Wert wollen die Terroristen zerstören, indem sie Menschen zu Objekten, zu Sachen, zu Instrumenten herabwürdigen, indem sie die Vernichtung menschlichen Lebens als Kampfmittel einsetzen wie andere eine Waffe oder ein Argument. Hanns Martin Schleyer, die Passagiere der "Landshut": sie waren für die Terroristen nicht Individuen, die einen letzten Wert darstellen, sondern beliebig austauschbare Gegenstände, mit denen sie allein unter dem Gesichtspunkt ihrer Zwecke ohne jede Bindung an Recht und Regeln verfuhren. Darin, meine Damen und Herren, liegt die eigentliche Herausforderung, darin liegt der zentrale Angriff auf die Menschenwürde und die humane Ordnung, auf die wir als Volk uns nach den bitteren Erfahrungen unserer jüngeren Geschichte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geeinigt haben. Für die Abwehr und Überwindung einer solchen Herausforderung kann es kein einfaches Rezept geben. Jeder, der glaubt, ein Mittel reiche aus, wenn es nur entschieden genug ergriffen werde, irrt. Nur eine Vielzahl von Anstrengungen auf den verschiedensten Gebieten kann weiterhelfen. Ich sehe vor allem drei Felder, auf denen die Auseinandersetzung geführt werden muß, nämlich das Feld der moralisch-politischen Auseinandersetzung mit dem Terror, seinen Ursachen und seinem Umfeld, das Feld des Gesetzesvollzuges und schließlich das Feld der Gesetzgebung. Die moralisch-politische Auseinandersetzung steht für mich im Vordergrund. Hier vor allem müssen wir die Überlegenheit unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung bewahren und voll zum Tragen bringen. Das heißt nicht, daß ich eine Diskussion mit den Terroristen für sinnvoll hielte. Sicher, auch als Justizminister schließe ich nicht aus, daß den einen oder den anderen der Terroristen vielleicht Zweifel an seinem Tun beschleichen, daß er zumindest einen Augenblick über die Folgen seines Tuns erschrickt. Vielleicht denkt der eine oder der andere auch an Umkehr. Dem dürfen wir uns nicht verschließen, und kein Mensch - auch kein Terrorist -, der noch für die Menschlichkeit zu retten ist, darf aufgegeben werden. Aber insgesamt versteht der harte Kern der Terroristen nur die Sprache rechtmäßig geübter staatlicher Gewalt, die Sprache, die in Mogadischu gesprochen wurde und die besagt, daß das Risiko der Gewalt nicht einseitig verteilt ist, daß das Unheil auch auf die verbrecherischen Urheber zurückfallen und zurückschlagen kann. Ich denke vielmehr an die Suche nach und die Auseinandersetzung mit den Ursachen des Terrors, an eine unbefangene, nicht von Vorurteilen und taktischen Überlegungen beherrschte Suche und Auseinandersetzung. Hier ist viel versäumt worden. Die oberflächlichen Zuweisungen der Terroristen in die geistige oder doch semantische Nähe des jeweiligen politischen Gegners ist unangemessen und irreführend; sie klärt nichts und erschwert die gemeinsame Abwehr. Was hilft uns denn, meine Damen und Herren, die Charakterisierung der Terroristen als "Kinder Hitlers" oder als "Kinder Karl Marxens" in Wirklichkeit? Das ist nur der Versuch einer verdeckten Selbstrechtfertigung, die übertönen will, daß die Terroristen unsere Kinder waren, daß sie in unserer Mitte in diesem Lande herangewachsen sind. Rechthaberei? Nein, mehr verantwortungsbewußte Selbstbesinnung, das ist es, was uns wirklich nottut, und das ist auch die angemessene Antwort auf das Gefühl, mitverantwortlich zu sein, ein Gefühl, das sich oft genug auch und gerade hinter lautstarker Rechthaberei und lautstarker Beschuldigung des jeweils anderen verbirgt. Das werden wir zu fragen haben: Welchen Zusammenhang gibt es mit psychischen Anomalien und Krankheitserscheinungen? Ist es nur ein Zufall, daß eine nicht unbeträchtliche Anzahl Terroristen gerade der jetzt aktiven Generation aus dem Umkreis des sogenannten sozialistischen Patientenkollektivs in Heidelberg stammt? Ist der Realitätsverlust der Terroristen nicht auch durch eine maßlos übersteigerte und bis zum Exzeß getriebene Gesellschaftskritik verursacht worden, durch eine Kritik, die Haß gegen unseren Staat erkennen ließ und sich nicht mehr mit den wirklichen Mängeln unserer Ordnung, sondern mit einem Zerrbild beschäftigte, mit einem Zerrbild, das, wäre es Wirklichkeit, die Frage nach der Gewalt als dem letzten Mittel nicht völlig erscheinen ließe? Welchen Einfluß - so wird weiter zu fragen sein - hatten darüber hinaus die verschiedenen Gewalttheorien, die subtil zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen unterschieden und die Anwendung des Rechts durch den Staat durch das Begriffspaar Gewalt und Gegengewalt auf die Ebene terroristischer Aktivitäten herabzudrücken suchten? Aber haben wir nicht auch selber, und zwar wir alle, Umstände gesetzt und Entwicklungen zugelassen, die partiell Überdruß, Ekel und Morbidität verursachten und die Fragen nach dem wirklichen Sinn des Lebens verschütteten? Haben wir nicht alle zu lange das rein Materielle mehr in den Mittelpunkt unseres Tuns und Lassens gestellt? Schließlich müssen wir der Frage nachgehen, welche konkrete Hilfe, aber auch welche Motivation, welche Impulse zum Weitermachen den Terroristen aus der internationalen Szene zuwachsen. Hier ist ebenfalls vor vereinfachten und vorschnellen Antworten zu warnen. Aber der Sklavenhandel oder die Piraterie, andersgeartete Geißeln früherer Jahrhunderte, kamen auch erst zu einem Ende, als sie international geächtet wurden und ihre letzten Schlupfwinkel verloren hatten. Zu der Aufhellung der Ursachen müssen die Aufklärung der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit und die Auseinandersetzung mit jenen hinzutreten, die Sympathie für den Terror oder doch für einzelne Elemente des Terrors, etwa für seine Ziele, äußern. Aber diese Auseinandersetzung - dies möchte ich fast beschwörend sagen - muß differenzieren und muß mit Überlegung geführt werden, wenn sie ihr Ziel erreichen soll. Es geht doch darum, die Zahl der Sympathisanten - und natürlich gibt es die - zu reduzieren. Es geht doch darum, Menschen zurückzugewinnen, die geirrt haben. Manches von dem, was heute unter dem Stichwort "Auseinandersetzung mit den Sympathisanten" geschieht, bewirkt eher das Gegenteil. Pauschale Schuldvorwürfe gegen ganze Gruppen erschweren die Einsicht, ja treiben den Terroristen eher noch Schwankende zu. Auflistungen, die einen Patrioten wie Willy Brandt als einen schlechten Deutschen und die Bundesminister des Innern und der Justiz als Verharmloser des Terrors zu brandmarken versuchen, sind nicht nur peinlich, sondern bewirken das Gegenteil von dem, was zu bezwecken sie vorgeben. Ich freue mich, daß Herr Kollege Biedenkopf diese Geschmacklosigkeiten offen kritisiert und gesagt hat, dies sei das Gegenteil einer geistigen Auseinandersetzung. Natürlich hat es in der Bundesrepublik Fehleinschätzungen des Terrors gegeben, grobe, heute schwer verständliche Irrtümer auch und gerade in den Bereichen der Intelligenz, der Literatur und der Publizistik. Aber sind die, die heute Irrtümer von gestern anprangern, selbst unfehlbar? Ist es nicht in unserem gemeinsamen Interesse, diejenigen, die früher geirrt haben, jetzt in das große Bündnis gegen den Terrorismus miteinzubeziehen? Welchen Sinn soll es denn haben, die, die geirrt haben und den Irrtum erkennen, zurückzustoßen und auf ihre Irrtümer festzubinden. Anderes muß allerdings bei denen gelten, die jetzt noch dem Terror mit Rechtfertigungsversuchen begegnen. Hier haben, um ein konkretes Beispiel zu erwähnen, die von mir schon genannten 43 Hochschullehrer schwere Schuld auf sich geladen. Wer durch Auswahl entsprechender Textstellen zwischen dem Tod Siegfried Bubacks und seiner Begleiter, deren Witwen und Kinder heute im Laufe des Vormittags an unseren Beratungen auf der Tribüne teilnehmen werden, wer zwischen dem Tod dieser Menschen auf der Linkenheimer Straße in Karlsruhe und der Äußerung, daß der zaristische Gouverneur Romanoff auf dem Moskauer Straßenpflaster wie ein toller Hund verendet sei, einen Bezug herstellt, disqualifiziert sich in jeder Hinsicht. Die für die deutsche Bundeswehr Verantwortlichen haben mit Recht und unter allgemeiner Zustimmung nicht einen Augenblick gezögert, sich von elf Offiziersstudenten zu trennen, die in betrunkenem Zustand Ungeheuerliches geäußert haben. Ich hätte einigen Universitäten und den für sie Zuständigen die gleiche Kraft gewünscht. Bei der Anwendung des geltenden Rechts sind die Voraussetzungen in den letzten Jahren ständig verbessert worden. Bund und Länder haben die Sicherheitsorgane personell und materiell verstärkt. Auch für die Justiz ist Notwendiges geschehen. Zum wirksamen Vollzug gehören jedoch auch die unablässige Aufmerksamkeit der Verantwortlichen und die wirksame Motivation derer, die unter Einsatz ihres Lebens ihre Pflicht tun sollen und von denen man auch das Opfer des Lebens im konkreten Falle verlangt. Ich habe hier nicht die Absicht, im Detail auf die Vorgänge in Stammheim oder auch in anderen Anstalten einzugehen. Der Bund kann den dort Zuständigen die Verantwortung ebensowenig abnehmen wie denen, die anderswo für Strafanstalten zuständig sind. Aber daß es in Stammheim - und sicher nicht nur dort, aber gerade dort - trotz Warnungen an Aufmerksamkeit gefehlt hat, das läßt sich mit aller Objektivität feststellen. Noch etwas darf ich mit aller Ruhe sagen: Wer sich aus dem Fenster beugt und andere beständig mit Ermahnungen und Vorwürfen über den Zustand ihrer Wohnungen und Häuser belehrt, der muß zunächst einmal dafür sorgen, daß seine eigene Wohnung in Ordnung ist und jeder kritischen Prüfung standhält. Damit kein Mißverständnis entsteht: Ich meine nicht meinen bisherigen Kollegen Bender, der in respektabler Weise zu seiner politischen Verantwortung gestanden ist. Die Fairneß gebietet es, noch eine Bemerkung hinzuzufügen. Von manchen, die sich jetzt ereifern, war nichts zu vernehmen, als sich die Justiz überall, auch in Baden-Württemberg, gegen den Vorwurf der "Isolationsfolter" und der "planmäßigen Hinrichtung" der Gefangenen zu wehren hatte und sich um eine gesetzestreue, weitere Eskalationen vermeidende Behandlung der Gefangenen bemühte. Ich habe schon dargetan, daß wir es mit fanatischen, zu allem entschlossenen, menschenverachtenden Gegnern zu tun haben, mit Menschen, die - wie früher die Hungerstreiks zeigten und jetzt die Vorgänge in Stammheim zeigen - auch nicht vor dem Mittel der Selbstzerstörung zurückschrecken, wenn sie glauben, ihre Anhänger auf diese Weise zu neuen Gewalttaten mobilisieren und so den Kampf noch weiter verschärfen zu können. Alle, die solchen Fanatikern - in welcher Funktion auch immer - entgegentreten, wissen, daß sie ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen: Deshalb müssen wir ihnen, müssen wir der Polizei, dem Verfassungsschutz, den Vollzugsbeamten in den Anstalten, die ich übrigens an dieser Stelle um Entschuldigung dafür bitte, daß ich sie vor kurzem in einem öffentlichen Interview als Wärter bezeichnet habe, ohne mir diesen Ausdruck weiter zu überlegen, und auch der Justiz das Gefühl der Solidarität vermitteln. Das bedeutet nicht, daß die Arbeit der Sicherheitsorgane nicht auch künftig kontrolliert und gegebenenfalls kritisiert werden muß. Die von den Fraktionen gemeinsam erarbeitete Vorlage zur Wahrnehmung der parlamentarischen Verantwortung im Bereich der Sicherheitsdienste ist ein Schritt in dieser Richtung. Das bedeutet aber, daß alle Demokraten kampagneartiger Hetze gegen diese Männer und Frauen und Verzerrungen wie der, die eigentliche Gefahr für die Demokratie gehe von den Sicherheitsorganen aus, ebenso entschieden entgegentreten müssen wie der Verwendung des widerwärtigen, menschenverachtenden Begriffes "Bullen" für unsere Polizeibeamten. Es bleibt das Gebiet der Rechtsänderung. Hier muß ich als Justizminister vor zwei Ansichten gleichermaßen warnen. Zum einem muß ich vor der Ansicht warnen, der Terror werde rasch ein Ende finden, wenn man nur schärfere Gesetze erlasse, wobei nicht immer klar wird, worin die Schärfe eigentlich bestehen soll. Ich muß aber genauso vor der Ansicht warnen, zur Abwehr des Terrors dürfe überhaupt kein Gesetz geändert werden. Die erste Auffassung verkennt, daß die Terroristen selber ihre Entschlüsse nicht von der Höhe jeweiliger Strafdrohungen, sondern von der Einschätzung ihrer Erfolgsaussichten abhängig machen. Mörder sind, wenn überhaupt, nur durch ihre Ergreifung und die lebenslange Einsperrung, also durch die Gewißheit zu beeindrucken, daß sie ihre Freiheit auf Lebenszeit nicht wiedererlangen. Auch sonst besteht die Gefahr, daß unbedachte sogenannte Gesetzesverschärfungen in unserem Volk im Augenblick zwar ein Gefühl der Erleichterung hervorrufen, aber dann, wenn sie, wie vorauszusehen, ihr Ziel verfehlen, alsbald nur noch tiefere Enttäuschung und tiefere Verdrossenheit gegenüber unserem Staat auslösen. In diesem Zusammenhang ein Wort zur Todesstrafe. Ich war und bin ein Gegner der Todesstrafe. Ich habe aber Verständnis für die Gefühlslage der Bürger, aus der die Forderung entspringt, und ich bin nicht bereit, die Bürger, die so etwas erörtern, in Bausch und Bogen als Barbaren oder als verkappte Faschisten zu betrachten: Aber, meine Damen und Herren, ich bin jederzeit bereit, diesen Bürgern mit Geduld die ethischen und rechtsphilosophischen Gründe gegen die Todesstrafe vorzutragen, die Argumente, die die Väter unseres Grundgesetzes zu einer fast einmütigen Entscheidung gegen die Todesstrafe bewogen haben. Ich bin bereit, den Bürgern darzulegen, daß die Todesstrafe auch den Effekt nicht hätte, den sie erwarten, daß sie nur Emotionen befriedigen, die Gefahr aber nicht mindern würde, es sei denn, man träte für die Abschaffung rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien ein. Derartiges aber würde die Auseinandersetzung nur zusätzlich brutalisieren und unsere Rechtskultur um Jahrhunderte zurückwerfen. Ich sehe nicht, wer diesen Preis wirklich zahlen will. Der zweiten Auffassung ist entgegenzuhalten, daß wir ja auch auf anderen Gebieten neuen Formen sozialschädlichen Verhaltens mit Gesetzesänderungen begegnen, so etwa im Wirtschaftsstrafrecht, bei der Umweltkriminalität, bei den Vorschriften gegen Luftpiraterie und gegen Geiselnahme. Es ist nicht einzusehen, warum hier etwas anderes gelten sollte. An zwei Kriterien allerdings müssen solche Änderungen gemessen werden: an dem Kriterium der strengen Rechtsstaatlichkeit und an dem Kriterium der Effektivität. Nach diesen Kriterien ist schon bisher Wesentliches geschehen. Ich nenne die Normierung des Verteidigerausschlusses, das Verbot der Mehrfachverteidigung, die Beschränkung der Zahl der Wahlverteidiger, die Schaffung der Möglichkeit, gegen Angeklagte, die sich bewußt und gewollt verhandlungsunfähig machen - etwa durch Hungerstreiks -, in Abwesenheit zu verhandeln. Ich nenne die gemeinsame Einführung eines neuen Tatbestands gegen terroristische Vereinigungen mit erhöhter Strafdrohung, die die Erstzuständigkeit des Generalbundesanwalts begründet. Ich glaube, die Zweckmäßigkeit gerade dieser Zuständigkeitsregelung ist in den letzten Wochen und Monaten auch den Zweiflern überzeugend dargetan worden. Ich nenne weiterhin die Erweiterung der Anzeigepflicht bei schweren Delikten, die Verschärfung des Haftrechts bei terroristischen Straftaten und die Möglichkeiten in solchen Verfahren den schriftlichen Verkehr zu überwachen. Ich nenne auch das 14. Strafrechtsänderungsgesetz mit seinen Bestimmungen gegen die Befürwortung von Gewalt. Weitere Entwürfe, meine Damen und Herren, sollen heute an die Ausschüsse überwiesen werden. Die beiden Regierungsentwürfe haben die Beschleunigung und Straffung der Großverfahren, eine effektivere Unterbindung der Kollusion zwischen inhaftierten Beschuldigten und einzelnen Verteidigern im Falle von Strafverfahren wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zu terroristischen Organisationen und eine Verschärfung der Mindeststrafen für unerlaubten Waffenbesitz zum Gegenstand. Die neuen und die schon vorliegenden Gesetzentwürfe der Opposition behandeln weitere Themen, so z.B. aus meinem Ressortbereich die Einführung einer Kronzeugenregelung, über die wir hier ja schon einmal diskutiert haben, die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs in den Fällen des 129 a StGB und die Neuregelung der Vorschriften über die Zwangsernährung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kann nicht einsehen, warum über all diese Themen nicht in den Ausschüssen eine vernünftige Diskussion möglich sein soll, eine Diskussion, die gestern im interfraktionellen Gespräch bereits begonnen hat. Ich halte es für durchaus denkbar, daß wir das schwierige Verteidigerproblem im Sinne einer wirksamen Fernhaltung derer lösen, die des Mißbrauchs ihrer Funktion verdächtig sind. Die mit großer Mehrheit gefaßten Empfehlungen des Deutschen Richterbundes, die Erfahrungen der letzten sechs Wochen, die nüchterne Betrachtung von Vorgängen in unseren Anstalten, der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zu den Kontaktsperrmaßnahmen vom 4. Oktober 1977 weisen ebenso in diese Richtung wie die Ausführungen des Herrn Kollegen Eyrich in der Debatte zum Kontaktsperregesetz oder die Tatsache, daß der Bundesrat im ersten Durchgang darauf verzichtet hat, die Überwachung kumulativ oder gar alternativ zu fordern. Ich habe die Gefahren, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bedrohung geschildert, denen wir uns gegenübersehen. Ich verhehle nicht, daß uns weitere Anschläge bevorstehen. Indes, in der Größe der Gefahr, in der Erfahrung gemeinsam erlebter Bedrohung liegt auch eine Chance. Wir spüren es doch, daß die Menschen beginnen, sich unter dem Eindruck der furchtbaren Ereignisse wieder Wesentlichem zuzuwenden, daß es vielen wie Schuppen von den Augen gefallen ist, daß scheinbare und wirkliche Sorgen und Nöte wieder deutlicher voneinander geschieden werden und an ihren richtigen Platz in der Rangordnung der Probleme rücken. Wir spüren ein Zusammenrücken in unserem Volke, ein Schrumpfen von Gegensätzen, die zwar fortbestehen und auch fortbestehen müssen, aber in ihrer Bedeutung realistischer gesehen werden. Die Zusammenarbeit aller politisch verantwortlichen Kräfte in der großen Runde hat insoweit nur nachvollzogen, was draußen in unserem Volke schon geschehen ist und was die Menschen unseres Volkes von uns erwarten, übrigens auch in Zukunft erwarten, ja geradezu verlangen. Natürlich erwartet niemand, daß es keine Kontroversen mehr gibt; auch in Fragen der inneren Sicherheit muß es weiterhin Meinungsverschiedenheiten und ein Ringen um die beste Lösung geben. Hier aber würde die Hoffnung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Sicherheit zutiefst enttäuscht, wenn wir bei der Behandlung dieser Fragen so miteinander umgingen, als ob der eigentliche Gegner, den es um jeden Preis zu treffen gelte, die jeweils andere Fraktion, der jeweils anders Denkende, nicht aber unser gemeinsamer Gegner, der Terrorismus, sei. Meine Damen und Herren, es ist noch etwas in Gang gekommen: ein neues Verständnis unseres Staates. Die Menschen haben in diesen Tagen und Wochen gespürt, daß der Staat mehr sein muß als eine Schönwettervereinigung zur Wohlstandsmehrung, mehr als ein Gebilde, dem man nur als Fordernder, möglichst als lautstark und rücksichtslos Fordernder entgegentritt. Sie haben begriffen, daß dieser Staat, diese Bundesrepublik Deutschland Opfer verlangen und von der ihr anvertrauten Gewalt auch Gebrauch machen muß, wenn sie fähig bleiben will, den inneren Frieden zu bewahren und Leib und Leben der Bürger zu schützen. Die Menschen haben erfahren, daß es der Staat war, der die Geiseln rettete und die Väter, Mütter und Kinder - mit zwei schmerzlichen Ausnahmen und um den Preis der Toten von Köln - zu ihren Familien zurückbrachte. Meine Damen und Herren, der Staat, jener so oft geschmähte, verächtlich als "System" abgetane, als Repressionsagentur verlästerte, aber auch wegen seiner angeblichen Schwäche und Orientierungslosigkeit belächelte und verhöhnte Staat. Diesem unserem Staat, für den wir in diesem Hause als Verfassungsorgan ein besonderes Maß an Verantwortung tragen, dieser freiheitlich-demokratische Rechtsstaat unseres Grundgesetzes, ist in den letzten Wochen ein Mehr an Autorität und an Sympathie seiner Bürger zugewachsen, auch deshalb, weil alle Verantwortlichen in der Not gemeinsam handelten. Was dem Staat so durch gemeinsame Anstrengungen und glückliche Umstände zugewachsen ist, das sollten wir nicht aufs Spiel setzen, weder bei der heutigen Debatte noch bei den weiteren Beratungen der vorliegenden Entwürfe; denn wir werden dieses Mehr an Autorität und Zuneigung für unseren Staat in den Prüfungen, die uns mit Sicherheit noch bevorstehen, brauchen.