Vogel 05.04.1973 Referat Notwendigkeit bodenpolitischer Aktivitäten Institut für sozial- und wirtschaftspolitische Bildung Berlin - im Wortlaut I. Sie haben mich eingeladen, im Rahmen Ihres Seminars über die Notwendigkeit bodenpolitischer Aktivitäten zu referieren. Trotz erheblicher zeitlicher Bedrängnis - der Bundestag behandelt in diesen Tagen den Haushalt 1973 in 1. Lesung - habe ich dieser Einladung gerne Folge geleistet, weil ich das Gespräch mit allen Kreisen suche, für die das Bodenrecht und seine Reform von Bedeutung ist und zu diesen Kreisen gehört ohne Zweifel auch die deutsche Wirtschaft, in deren Dienst Sie unmittelbar oder doch zumindest mittelbar stehen. Diese Sachbeziehung ergibt sich vor allem aus drei Gründen: - Einmal stellen Grundstücke und die auf ihnen errichteten Gebäude für die meisten Betriebe wichtige Produktionsfaktoren und dementsprechend wichtige Teile des Betriebsvermögens dar. Dies gilt beispielsweise für die chemische und die petrochemische Industrie, die Stahlverarbeitung und die Automobilindustrie mit ihren weit ausgedehnten Produktionsstätten. Es gilt aber auch für Wirtschaftszweige des tertiären Bereichs wie etwa die großen Einkaufszentren oder die Freizeitindustrie mit ihrem erheblichen Flächenbedarf. - Zum zweiten sind einige Wirtschaftszweige von ihrer Zielsetzung her in besonderem Maße grundstücksorientiert und damit grundstücksabhängig. Das trifft unter anderem für die Bauwirtschaft, aber auch für die ganze Wohnungswirtschaft zu. - Schließlich gehört die Bodenverfassung zu den wesentlichen Bestandteilen unserer Gesellschaftsordnung, und ist schon deshalb für die Rahmenbedingungen bedeutsam, innerhalb deren sich der wirtschaftliche Prozeß abspielt. Aus all diesen Gründen halte ich unser Gespräch für notwendig und sinnvoll. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß die Partei, der ich angehöre, und die Unternehmer trotz aller Auffassungsunterschiede nicht in einer permanenten Auseinandersetzung stehen sollten, sondern in einem Verhältnis des Gesprächs, des Meinungsaustausches und der sachlichen Kooperation. Ein Verhältnis, das ich übrigens in meinen zwölf Jahren als Münchner Oberbürgermeister sehr bewußt, konsequent und mit Nutzen für beide Seiten gepflegt habe. In diesem Sinne will ich nunmehr zunächst die Mängel des geltenden Bodenrechts behandeln (II), dann auf die Ursachen dieser Mängel eingehen (III) und im Anschluß daran mein Reformkonzept entwickeln (IV). Daran soll sich noch eine Schlußbemerkung knüpfen (V). II. Wo liegen die Mängel des geltenden Bodenrechts? Wer diese Frage beantworten will, sollte nicht bei der Theorie und erst recht nicht bei irgendwelchen absoluten Ideologien, sondern bei der Praxis beginnen. A. Diese Praxis zeigt uns in wachsender Zahl Beispiele für ungerechtfertigte Bodenpreissteigerungen, die zu mühelosen Gewinnen führen, für die Fehlnutzung von Grundstücken aber auch für die steuerliche Bevorzugung des Bodeneigentums. Lassen Sie mich einige dieser Beispiele nennen: - Ein Grundstück wird 1951 am Rande einer Großstadt als Schafweide genutzt und zu einem Quadratmeterpreis von 0,50 DM veräußert. Im Jahre 1962 erläßt die Stadt einen Bebauungsplan, der die Schafweide als Bauland ausweist. Der Preis beträgt jetzt 30 DM pro qm. In der Folgezeit erschließt die Stadt das Gelände weiter, das Grundstück wird bebaut. Der Quadratmeter wird heute zu einem Preis von 450 DM gehandelt. Der Wert des Grundstücks stieg damit innerhalb von 20 Jahren um das 900fache. Ohne Berücksichtigung der Erschließungsbeiträge bedeutet dies bei einer Fläche von etwa 20 Hektar eine Wertsteigerung der Flächen von 100000 DM auf 90000000 DM. - Oder: Eine Stadt nimmt eine Tangentialstraße am Rande der Altstadt in Angriff. Die Grundstücke werden zu Beginn der Baumaßnahme für 500 DM pro qm gehandelt, die letzten - etwa 10 Jahre später - für 3000 DM pro qm. Grund der Preissteigerung ist ausschließlich die kommunale Investition. - Oder: Der Preis der Geschäftsgrundstücke in bester Lage bewegt sich in einer Stadt um etwa 10000 DM pro qm. Die Stadt baut eine U-Bahn. Nach Inbetriebnahme werden die gleichen Grundstücke um 15000 DM pro qm und mehr gehandelt. - Oder: Ein Land beschließt in einer bestimmten Stadt eine Universität zu errichten. Beim Bekanntwerden des Beschlusses steigen die Bodenpreise in dem in Aussicht genommenen Bereich über Nacht um 45 Prozent, in einem anderen Fall sogar um 150 Prozent. - Oder: Eine Stadt verkauft im Jahre 1952 ein für sie damals uninteressantes Grundstück an der Peripherie für 8,80 DM pro qm an einen Privaten. Heute möchte eine städtische Wohnungsbaugesellschaft dieses Gelände erwerben, um eine Siedlung für den sozialen Wohnungsbau zu arrondieren und der Eigentümer verlangt dafür 1180 DM pro qm. - Oder: Eine Stadt verkauft ein Grundstück im Ausmaß von 18000 qm im Jahre 1962 an einen Privatmann um 200000 DM. Nachdem die Stadt für die Flächen in den folgenden Jahren den Entwurf eines Bebauungsplans vorlegt, verkauft der Privatmann das Grundstück für 5,8 Mill. DM weiter. Sein Gewinn beläuft sich also auf etwa 3000 Prozent. In den bisher geschilderten Fällen ist die Nutzung entweder gleich geblieben oder jedenfalls auch dort, wo sie sich geändert hat, vom Standpunkt des Gemeinschaftsinteresses aus nicht zu beanstanden. Es hat auch kein Konflikt der Nutzungen, d. h. Wettbewerb verschiedener Nutzungen stattgefunden. Anders die folgenden Beispiele: - Eine Stadt will ein Grundstück für ein Bürgerzentrum erwerben, weil es die optimalen Standortvoraussetzungen bietet. Sie offeriert 500 DM pro qm. Ein Warenhaus kauft das gleiche Grundstück um 1200 DM pro qm. Natürlich hätte sich die Stadt das Grundstück auf dem Wege der Enteignung verschaffen können. Aber dann hätte sie als Entschädigung den Kaufpreis des Warenhauses entrichten müssen. Das ökonomische Prinzip hat den Nutzungskonflikt entschieden. - Oder: Ein baufälliger Altbau steht am Rande der Innenstadt zum Verkauf. Im Interesse der Gemeinschaft läge, daß dort wieder ein Wohnhaus entsteht. Eine Wohnbaugesellschaft will im sozialen Wohnungsbau bauen und bietet 350 DM pro qm, also das äußerste dessen, was sie nach den Förderungsrichtlinien noch finanzieren kann. Eine Versicherung will auf dem gleichen Grundstück ein Verwaltungsgebäude errichten. Sie bietet 500 DM. Natürlich kommt die Versicherung zum Zuge. - Oder: In einer Stadt sind in innenstadtnahen Gebieten einige traditionelle Biergärten auf Flächen gelegen, die auf Grund des auf den Grundstücken ruhenden alten Baurechts einer intensiven Bebauung zugeführt werden könnten. Die Stadt könnte die Eigentümer daher nur gegen Zahlung von hohen Entschädigungssummen daran hindern, die Biergärten durch eine Bebauung zu ersetzen und zwar würde die Entschädigungssumme insgesamt etwa dem jährlichen Schulbauetat entsprechen. Da die Stadt solche Summen nicht aufbringen kann, muß sie dem Verdrängen der Biergärten durch Verwaltungs- oder Bürogebäude tatenlos zusehen. Und zur steuerlichen Seite: - A und B legen hier eine Million DM an. A kauft Aktien, B ein unbebautes Grundstück am Rande einer Großstadt. Dafür zahlt A 2500 DM Börsenumsatzsteuer, B 70000 DM Grunderwerbssteuer. In der Folgezeit zahlt A jährlich an Vermögenssteuer 9600 DM, B jährlich an Vermögens- und Grundsteuer 2350 DM. A und B sterben nach 5 Jahren und werden von ihren Witwen beerbt. Dann zahlt Witwe A an Erbschaftssteuer 92150 DM, Witwe B hingegen nur 3150 DM. Insgesamt sind in beiden Fällen an Steuern gezählt worden: Für die Aktien 142650 DM, für das Grundstück 84900 DM. B. Generalisiert man diese Beispiele, so ergeben sich zwei hauptsächliche Fehlwirkungen des geltenden Bodenrechts, nämlich die Fehlakkumulation von Vermögen und die Fehlnutzung von Grundstücken. 1. Die Fehlakkumulation besteht einmal darin, daß im Gegensatz zu allen marktwirtschaftlichen Prinzipien Wertsteigerungen ohne jede eigene Anstrengung und ohne jedes unternehmerische Risiko eintreten. Die Leistungen der Gemeinschaft schlagen sich in individuellen Gewinnen nieder, die oft genug Iotterieähnlichen Charakter annehmen. Das Memorandum der beiden Kirchen über die soziale Ordnung des Bodenrechts sagt dazu mit Recht, daß "kaum eine wertschaffende Geldanlage und kaum eine technische oder wirtschaftliche Leistung bei uns so hoch und sicher belohnt wird wie die Weigerung von Grundbesitzern, Bauland bei vorhandenem Bedarf rechtzeitig denen zu verkaufen, die es für öffentliche oder private Zwecke benötigen". Die Gesamthöhe dieser Wertsteigerungen läßt sich wieder nicht exakt angeben. Eine Gruppe von Wissenschaftlern unter Prof. Wolfram Engels hat jedoch vor kurzem erste vorläufige Ergebnisse einer Gesamtvermögensrechnung vorgelegt, nach der sich der Bodenwert in der Bundesrepublik seit 1950 um fast 650 Milliarden DM erhöhte. In der gleichen Untersuchung wird der Gesamtvermögensbestand unserer Volkswirtschaft mit 2,9 Billionen DM angegeben. Das macht deutlich, in welch hohem Maße allein die Bodenwertsteigerungen an diesem Vermögensbestand beteiligt sind. Selbst wenn man sehr große Fehlermöglichkeiten unterstellt und annimmt, daß von den Bodenwertsteigerungen nur die Hälfte bei Privatpersonen anfiel und die übrigen Wertsteigerungen den Bodenflächen von Verwaltungsgebäuden, Straßen, Bahnhöfen oder öffentlichen Parkplätzen zuzurechnen sind, deren Nutzung der Allgemeinheit zusteht, verbleibt ein Zuwachs von mehr als 300 Milliarden. Zum Vergleich: Der Bestand an Spareinlagen aller privaten Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland betrug 1971 232 Milliarden DM. Das heißt, der mühelose Wertzuwachs der Bodenbesitzer war höher als die Summe dessen, was das ganze Volk durch Konsumverzicht an Spareinlagen aus seinem Arbeitseinkommen bilden konnte. Die Fehlakkumulation zeigt sich aber auch darin, daß sie nur einer kleinen Minderheit unseres Volkes zugute kommt. Nach der Einkommen- und Verbrauchstichprobe 1969 gab es in der Bundesrepublik rd. 8 Millionen private Haushalte mit Haus- und Grundbesitz. Insgesamt dürfte die Zahl der Eigentümer gegenwärtig rd. 10 Millionen betragen. In diesen Zahlen sind jedoch die rund 61/2 Millionen Eigenheimer oder Inhaber von Eigentumswohnungen enthalten. Weitere 1,2 Millionen sind Landwirte, von denen nach Stichprobenerhebungen allenfalls 200000 Eigentümer von Bauland sind. Der Rest der Landwirte steht auf der Schattenseite des Bodenmarktes. Wegen des Strukturwandels der Landwirtschaft treten hier sogar vielfach Bodenwertminderungen, also Verluste, keinesfalls Gewinne auf. Diese Aufgliederung zeigt, daß die Zahl der Bodeneigentümer mit wirklich gravierenden Wertsteigerungen relativ klein ist. Die Masse der Kleineigentümer erzielt nur mäßige Wertsteigerungen, die mit den Zielsetzungen einer breiten Vermögensstreuung durchaus vereinbar sind. Die Minderheit jedoch verbucht Gewinne, die weit über jedes erträgliche Maß hinausgehen und von der überwältigenden Mehrheit über die Bodenkaufpreise, die Mieten, die Steuern und auch über die Warenpreise finanziert werden. 2. Neben die Fehlakkumulation tritt die Fehlnutzung, die Fehlentwicklung vor allem unserer Städte. Dort nämlich, wo sich die Bodennutzung allein nach den Maßstäben und Kriterien des Marktes richtet, weicht das individuelle Wohnhaus der Gründerzeit dem sicher rationelleren und wirtschaftlicheren Betonklotz, verdrängt das Kaufhaus eingesessene Spezialgeschäfte, weicht der Handwerksbetrieb der Verwaltungszentrale, so daß ganze Zentrumsviertel abends nach Dienstschluß verödet und verlassen aussehen. Dort, wo der Gewinn allein den Ausschlag gibt über Abriß und Neubau, wird zwar die Grundrente und die Wertsteigerung maximiert und sicher auch leistungsfähiger produziert. Die Summe ertragsorientierter Einzelplanungen sorgt auch für prachtvolle Hochhausriesen, doch sie stehen schließlich immer häufiger in einem Meer sich kaum noch fortbewegender Autos, weil die viel beschworene unsichtbare Hand des freien Marktes hier jedermann sichtbar versagt. Private einzelwirtschaftliche Investitionsplanungen ergeben noch kein Verkehrskonzept, reagieren nicht oder nicht rechtzeitig, wenn schädliche Lärm- oder Abgasschwellen überschritten werden. Die Summe aller privaten Einzelplanungen gibt noch keine lebendige Mischung von Wohnen und Arbeiten. In der Gewinn- und Verlustrechnung eines Gebäudeinvestors erscheinen auch nicht die Sorgen und die Angst vor der Isolierung, die alte Mieter bedrängen, die hinausziehen in die fremden und kühlen Vorstädte, weil in ihren alten Wohnvierteln kein Platz mehr bleibt neben dem expandierenden Flächenbedarf gewinnträchtiger Unternehmen. Die profitorientierte Stadt ist eine unwirtliche Stadt. Sie kommt dem Wunsch nach Geborgenheit, der Forderung soziale Bindungen zu erhalten, nicht entgegen; sie ist "ökonopolis" - nicht "humanopolis". III. Das sind die Fehlwirkungen, die immer deutlicher ins Bewußtsein treten. Und die Ursachen? A. Die gravierendste Ursache sehe ich darin, daß wir den Grund und Boden wie jede beliebige andere Ware behandeln. Das ist er aber nicht. Er hat einen besonderen Charakter, den das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 12. Januar 1967 (BVerfG E 21,73) so beschreibt: "Die Tatsache, daß der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit am Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen, als bei anderen Vermögensgütern." Mit Recht wird der Boden dabei auch als unverzichtbar bezeichnet. Das ist er nämlich für den einzelnen in der Tat. Nur die Gemeinschaft kann durch kostspielige Investitionen Ackerland in Bauland verwandeln. Die hierdurch entstehenden Wertsteigerungen sind beträchtlich. Lassen Sie mich einige Zahlen nennen: 1971 betrug der Preis für 1 qm veräußertes Rohbauland im Durchschnitt 19,73 DM, der für baureifes Land 33,94 DM. Die Differenz beträgt damit 14,21 DM, bezogen auf einen einzigen ha somit rund 142000 DM. B. Weitere Ursachen liegen darin, daß die Gemeinschaft nur gänzlich ungenügend an den Bodenwertsteigerungen beteiligt ist und Nutzungskonflikte gerade in wichtigen Fällen nicht effektiv entscheiden kann. Ein besonders krasser Fehler ist dabei, daß die Gemeinschaft zwar den Planungsschaden vergüten muß, die Planungsgewinne aber vollständig dem einzelnen Eigentümer verbleiben. Auf der gleichen Linie bewegt sich die Zweigleisigkeit der Bewertung. Für Leistungen der Grundeigentümer an die Gemeinschaft ist der bewußt weit über dem wahren Wert gehaltene Einheitswert, für Leistungen der Gemeinschaft an die Grundeigentümer hingegen der in aller Regel vielfach höhere Verkehrswert maßgebend. IV. Die Vorschläge zur Behebung dieser Mißstände sind mannigfaltig, die Literatur zur Bodenreform fast unübersehbar. A. So wird von verschiedenen Seiten der Überführung des Bodens, der Gebäude und der an beiden bestehenden Nutzungsrechte auf die nationale oder die örtliche Gemeinschaft das Wort geredet. Eine solche Lösung kann jedoch mit Einschränkung auch als langfristige Zielsetzung nicht in Betracht gezogen werden. Gegen sie sprechen folgende Erwägungen: 1. Zur freien Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit gehört auch eine nach den persönlichen Absichten und Wertungen gestaltbare Eigentumssphäre. Diese Gestaltungsfreiheit darf jedoch nicht zum Schaden der Gemeinschaft mißbraucht werden. Heute ist die Balance zwischen den Interessen des einzelnen und den berechtigten Ansprüchen der Gemeinschaft empfindlich gestört. Doch wäre es unangemessen, wenn der einzelne etwa an der von ihm genutzten Wohnung oder der von ihm selbst genutzten landwirtschaftlichen Fläche nur ein ohne weiteres aufhebbares obligatorisches oder gar öffentliches, nicht aber ein mit Eigentumsgarantien geschütztes dingliches Recht besitzen könnte. Jedermann, der im Rahmen der jeweiligen öffentlichen Planungen im Wohnungsbau oder im industriellen und kommerziellen Bereich bodengebundene Investitionen vornimmt, kann beanspruchen, zumindest für die voraussichtliche Nutzungsdauer dieser Investitionen ein garantiertes, vor den Eingriffen Dritter geschütztes Recht an diesen Flächen zu erhalten. 2. Die praktischen Erfahrungen mit Systemen, in denen die Verwaltung, Zuteilung und Erhaltung des gesamten Boden- und Gebäudebestandes der öffentlichen Hand übertragen wurde, sind wenig ermutigend. Die völlige Ausschaltung des ökonomischen Prinzips hat hier offenbar zur Verschwendung von Grundstücken, zu unwirtschaftlichen Aufwand, zu Vernachlässigungen und zu Fehldispositionen geführt, die sich weder durch behördliche Kontrollen noch durch die Mitwirkung von Bewohnerräten ausschließen lassen. Es kann nicht Sinn der geplanten Reformen sein, das ökonomische Prinzip völlig auszuschalten. Es muß jedoch als begrenztes und begrenzbares Instrument im Rahmen der von der Planung gesetzten Daten wirken. Gerade die Entscheidung über die Bodennutzung in unseren Städten kann nicht einem vorpolitischen oder außerpolitisch gedachten Marktautomatismus überlassen werden. Nirgends gilt der Primat der Politik stärker als hier. 3. Die völlige Kommunalisierung würde ferner dem Privatkapital jeden Anreiz und voraussichtlich sogar die Möglichkeit nehmen, in Neubauten zu investieren. Die Gemeinschaft würde gezwungen, innerhalb kurzer Zeit den Ausfall des in andere Bereiche abwandernden Privatkapitals aus öffentlichen Mitteln zu decken, ganz abgesehen von den kaum aufbringbaren Entschädigungssummen. B. Da die Sozialisierung oder Kommunalisierung also offensichtlich aus politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen nicht in Frage kommt, kann es nur darum gehen, das geltende Recht durch ein Bündel abgestufter, ineinander greifender Maßnahmen weiterzuentwickeln. Kurzfristig sehen diese Maßnahmen vor, daß dem grundsätzlich unbeschränkt und umfassend gedachten Eigentum zusätzliche Bindungen und Verpflichtungen auferlegt werden, um die in Artikel 14, Abs. 2 GG verankerte Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu konkretisieren und praktikabel zu machen. Das Bodeneigentum muß auch der Privilegien entkleidet werden, die es heute als Vermögensanlagegut so attraktiv machen, die zu den permanenten mühelosen Vermögensumschichtungen führen und eine dauernde Behinderung und Störung der städtebaulichen Entwicklung hervorrufen. Die Ziele, die dabei verfolgt werden, sind: 1. Unmittelbare und umfassende Beteiligung der Gemeinschaft an Bodenwertzuwachs und Bodenrente durch Abschöpfung der leistungslosen, von der Gemeinschaft bewirkten Wertzuwächse; 2. Verstärkung der Entscheidungsbefugnis der Gemeinschaft über die Nutzung der konkreten Grundstücke, damit Nutzungskonflikte in Zukunft nicht mehr ausschließlich zugunsten des höchsten wirtschaftlichen Ertrags, sondern zugunsten des Gemeinwohls entschieden werden können, und 3. Schutz des eigengenutzten Eigentums, etwa durch Einräumung von Freigrenzen und Freibeträgen. Das betrifft vor allem Eigenheime, Eigentumswohnungen, aber auch sonstiges Kleineigentum, so z. B. den Handwerker, der im Erdgeschoß seines Hauses seine Werkstätte betreibt und darüber wohnt. Um diese Ziele zu erreichen, sind folgende Maßnahmen notwendig: 1. Eine Novellierung des Bundesbaurechts in folgenden wesentlichen Punkten: Generelle Befugnis für die Gemeinden zum Erlaß von Bau-, Modernisierungs- und Abbruchgeboten; Einführung eines preislimitierten Vorkaufsrechts; Reform des Enteignungs- und Entschädigungsrechtes und Einführung eines Planungswertausgleichs. Der Referentenentwurf einer solchen Novelle ist in meinem Hause fertiggestellt und befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung. Er soll noch im 1. Halbjahr 1973 in das Gesetzgebungsverfahren gelangen. 2. Weiter bedarf es der Vorbereitung einer Bodenwertzuwachssteuer auf außergewöhnliche Wertsteigerungen, die nicht auf Umwidmungen oder eigene Leistungen, z. B. für die Erschließung, zurückzuführen sind und die eine angemessene Verzinsung des im Boden investierten Kapitals übersteigen. Das ist ein wichtiges Element des Gesamtkonzepts, auch wenn sich gerade an diesem Punkt die Meinungsverschiedenheiten entzünden. Eine Beschränkung auf realisierte Gewinne wäre mit Einschränkung nicht sinnvoll; sie käme der Einführung einer Verkaufssteuer gleich, würde wie eine vervielfachte Grunderwerbssteuer wirken, die Verkaufsneigung mindern und damit zu einer zusätzlichen Marktsperre werden. Selbstverständlich müssen die gewichtigen Einwände, die gegen eine Besteuerung der nichtrealisierten Gewinne immer wieder vorgebracht werden, ernsthaft geprüft und, soweit sie berechtigt sind, ausgeräumt werden. Ebenso müssen, etwa durch Einführung von Freibeträgen und Freigrenzen, sozial nicht tragbare Lasten für Kleineigentümer vermieden werden. Regelungen, die unsoziale Nebeneffekte von vornherein unterbinden, sind möglich und notwendig. Die Bodenwertzuwachssteuer soll die wirklich großen leistungslosen Wertsteigerungen treffen, um damit einer Vermögenskonzentration entgegen zu wirken und die schädlichen Bremseffekte in den Brennpunkten städtebaulicher Entwicklung zu bekämpfen. Die Einführung einer Bodenwertzuwachssteuer setzt allerdings eine Reform der Bodenbewertung voraus. Ohne zeitnahe, nach einheitlichen Grundsätzen ermittelte Werte muß die Erhebung einer Zuwachssteuer scheitern. Bei der Dynamik unserer Entwicklung ist es doch schon fast anachronistisch, wenn die für 1964 ermittelten Einheitswerte erstmals 1974, also zehn Jahre später, zur Anwendung kommen. Der so reformierten Bodenbewertung kommt darüber hinaus neben dieser mehr technischen Funktion in einem künftigen Bodenrechtssystem auch eine eigenständige Steuerungsfunktion zu. Gelegentlich fragen besorgte Stimmen, ob die Einführung einer Bodenwertzuwachssteuer die Mobilität des Bodenmarktes innerhalb der bebauten Zonen, vor allem in stadtkernnahen Wohngebieten, nicht zu sehr erhöhen würde. Schädliche Strukturwandlungsprozesse könnten beschleunigt werden, wenn die zusätzlichen Steuerbelastungen zum Verkauf und damit letzten Endes zu einem Nutzungswandel zwingen würden. Dieser Befürchtung wäre aber nur zuzustimmen, wenn im künftigen System jeder sich bildende Verkehrswert unkritisch zur Basis der steuerlichen Belastung gemacht würde. Dann würde die Bodenwertzuwachssteuer tatsächlich zu einem Hebel für ungewollte Umstrukturierungen. Deshalb dürfen nur jeweils diejenigen Verkehrswerte einer Besteuerung unterliegen, die bei der Realisierung der zulässigen Nutzung im Rahmen der geltenden Bebauungspläne auftreten. Zugleich müßten spekulative Käufe und Verkäufe, durch die Planfestsetzungen unterlaufen werden sollen, mit Hilfe des preislimitierten Vorkaufsrechts eingedämmt werden. Ein Verfahren der kontrollierten Selbsteinschätzung würde der einheitlichen Wertermittlung für den Planungswertausgleich, die Bodenwertzuwachssteuer und die Festsetzung der Entschädigung im Fall der Enteignung am besten gerecht werden. Bodenbewertungsstellen müßten jährlich detaillierte Bodenrichtwertkarten veröffentlichen und darüber hinaus periodisch amtliche Veranlagungen vornehmen. Die amtlichen Wertermittlungen sollten in den Brennpunkten städtebaulicher Entwicklung sehr viel häufiger sein als in Zonen mit geringer Veränderung. Sicher werden die technischen Details eines so anspruchsvollen Bewertungssystems noch einige Mühe machen, und in der Praxis werden sich vor allem am Anfang Schwierigkeiten nicht vermeiden lassen. Doch das ist das Schicksal aller Reformen, die größere Fortschritte erzielen wollen. Die soeben dargestellten Maßnahmen werden die Mißstände der geltenden Bodenordnung sicherlich mildern: Die Bodenpreisentwicklung wird verstetigt, der Umfang der leistungslosen Gewinne geht zurück, die den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und Gleichbehandlung widersprechende Fehlakkumulation des Volksvermögens wird gedämpft, die Gemeinden erhalten einen verstärkten Einfluß auf die Stadtentwicklung sowie einen Anteil an den durch ihre Leistungen hervorgerufenen Wertsteigerungen und die Verwaltung gewinnt zusätzliche Erfahrung bei der Steuerung der Bodennutzung. 3. Als weiterer Reformschritt soll das Rechtsinstitut des Nutzungseigentums entwickelt und alternativ neben dem Volleigentum und dem Erbbaurecht zur Verfügung gestellt werden. (Kurzfassung. Unterschiede zu Volleigentum für Gemeinden bei Veräußerung von Grund und Boden an Private.) V. Lassen Sie mich abschließend noch folgendes sagen: Die öffentliche Diskussion um die Reform des Bodenrechts wird von Monat zu Monat lebhafter und vertieft sich; zugleich greift sie weit über die politischen Parteien hinaus und erfaßt immer mehr gesellschaftlich relevante Kreise und Gruppierungen. Die Vorschläge des Deutschen Städtetages und des Deutschen Mieterbundes sind ebenso Beispiele dafür wie das Memorandum der beiden Kirchen, die Äußerungen des Deutschen Juristentages 1972, der Gewerkschaften oder auch des Zentralverbandes der Deutschen Haus- und Grundeigentümer. Auch dieses Seminar ist Teil dieses Prozesses. Ein Grundzug der Diskussion, der immer deutlicher hervortritt, ist die zunehmende Übereinstimmung, daß bodenreformerische Maßnahmen notwendig sind. Selbst der Deutsche Bauernverband, der früher bei einem schroffen Nein verharrte, äußert sich nunmehr schon weit differenzierter. Allerdings gehen die Meinungen über das Ausmaß der notwendigen Reformen roch weit auseinander. Es wird noch vieler Anstrengungen und erheblicher Oberzeugungskraft durch Sachargumente bedürfen, um diese Kluft zunächst zu verringern und dann zu schließen. Das Konzept der Bodenreform ist nicht Ausfluß irgendeiner abstrakten Ideologie; sie ist das Beispiel einer realen Reform, die das ökonomische Prinzip nicht beseitigt, aber in seine Schranken verweist, in denen es nicht schadet, sondern nutzt, in denen es unentbehrlich erscheint. Es ist die Antwort auf konkrete Herausforderungen, und es ist die Antwort der politischen Vernunft, des Strebens nach mehr sozialer Gerechtigkeit, nach einer humaneren Ordnung vor allem in den großen Verdichtungsräumen. Wir können uns gerade auf diesem Gebiet nicht mit kleinen Schritten und mit Halbherzigkeiten begnügen. Die Mängel des geltenden Bodenrechts und ihre Folgen sind so schwerwiegend, daß sie mit einem Skelettschaden des Volkskörpers verglichen werden können. Und den können wir nicht mit gesellschaftspolitischer Kosmetik, mit Schaummasken oder Schönheitsbädern kurieren. Wir müssen ganze Arbeit leisten, so schwierig und langwierig sie auch sein mag. Ich lade auch die Wirtschaft ein, an diesen Reformen mitzuwirken. Eine Absage wäre letzten Endes ein Votum gegen die eigenen Interessen. Gerade die Wirtschaft weiß aus eigener Erfahrung, daß Änderungen und Erneuerungen, die nicht rechtzeitig und gründlich genug vorgenommen werden, später mit verdoppelter, ja potenzierter Wucht hereinbrechen. Ich lade Sie deshalb noch einmal zu konstruktiver Mitarbeit ein und schließe mit zwei Zitaten gänzlich unverfänglicher Zeugen. Sie lauten "Wir leiden nach meiner tiefsten Überzeugung in der Hauptsache in unserem Volk an der falschen Bodenpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Ich betrachte diese falsche Bodenpolitik als die Hauptquelle aller physischen und psychischen Entartungserscheinungen, unter denen wir leiden. Die bodenreformerischen Fragen sind nach meiner Überzeugung Fragen der höchsten Sittlichkeit." und "Ein weiteres Treibenlassen muß zu Verhältnissen führen, die radikalere Maßnahmen rechtfertigen würden." Der zweite Satz stammt aus dem Memorandum der Kirchen. Der erste von Konrad Adenauer, als er noch Oberbürgermeister von Köln war. Lassen Sie sich von Adenauer überzeugen, wenn es mir nicht gelungen sein sollte.