Adenauer 29.11.1961 Große Regierungserklärung (gehalten von Ludwig Erhard) - im Wortlaut Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers habe ich die Ehre, in seinem Namen dem Hohen Hause zu Beginn der Arbeit der 4. Legislaturperiode die Erklärung der Bundesregierung zur Kenntnis zu bringen. Die Wahlen zum 4. Deutschen Bundestag und die Bildung einer neuen Bundesregierung vollzogen sich in einer besonders spannungsreichen Zeit. Der Ost-West-Gegensatz, die Berlin-Krise, deren weltweite Bedeutung durch die Wiederaufnahme der sowjetischen Atomversuche und durch die Drohung mit der Superbombe sichtbar wurde, erfüllen uns alle mit Sorge. Um so höher ist die Besonnenheit unserer Bevölkerung zu werten. Die Bundestagswahlen haben eine weitere Konzentration des Wählerwillens ergeben. Während im ersten Deutschen Bundestag zwölf Parteien vertreten waren, gehören unserem Parlament jetzt nur noch Vertreter von drei Fraktionen an. Radikale Splittergruppen sind durch den Wähler zur völligen Bedeutungslosigkeit verurteilt worden, - ein ermutigendes Zeichen. Da es bei dieser Wahl keiner Partei gelungen ist, die absolute Mehrheit im Bundestag zu erreichen, stellte sich. die Aufgabe, eine Koalitionsregierung zu bilden. Es hat Befürworter einer All-Parteien-Regierung gegeben. Wir hielten eine solche Lösung nicht für angebracht. Ich selbst habe stets aus allgemein staatspolitischen Erwägungen die Auffassung vertreten, daß in diesem demokratischen System eine Opposition absolut notwendig ist. Das bedeutet nicht, daß wir nicht alle Bemühungen unternehmen sollten, um gerade in den wichtigsten Lebensfragen unseres Volkes zu übereinstimmenden Auffassungen und zu gemeinsamem Handeln aller im Bundestag vertretenem Parteien zu kommen. Eine Koalition zwischen CDU/CSU und FDP bot sich als die naheliegende Lösung an, zumal diese Parteien im Verlaufe der für den Aufbau unseres Staatswesens entscheidenden Jahre schon zusammengearbeitet hatten. Ein erneutes Zusammengehen entsprach nach unserer Auffassung am besten dem Willen der Wählerschaft. Die Verhandlungen zwischen CDU/CSU und FDP führten nach eingehender Überprüfung der wichtigen Fragen unserer Politik zu jener Übereinstimmung, die die Bildung der amtierenden Bundesregierung ermöglichte. Verschiedentlich wurde die Dauer dieser Verhandlungen gerügt. Dazu möchte ich feststellen, daß auch nach den Bundestagswahlen der Jahre 1949, 1953 und 1957 jeweils eine Frist von über einem Monat bis zur Ernennung und Vereidigung einer neuen Bundesregierung benötigt wurde. Wenn es diesmal um ein Geringes länger gedauert hat, so kann ich darin keinen Grund zur Beanstandung finden. Die Bundesregierung ist vielmehr der Auffassung, daß diese Verhandlungen der Koalitionspartner notwendig waren, weil dadurch eine zuverlässige, solide Basis für die gemeinsame Arbeit geschaffen wurde, deren eine handlungsfähige Regierung in einer so unruhigen Zeit wie der unsrigen bedarf. In der Koalitionsvereinbarung wurde im Geiste loyaler Partnerschaft eine gemeinsame Konzeption der Grundzüge der uns erwartenden Regierungsarbeit niedergelegt. Die in der letzten Zeit erhobenen Vorwürfe, eine solche Vereinbarung stehe nicht im Einklang mit unserer Verfassung, halte ich für unberechtigt. Diese Arbeitsrichtlinien, bei denen es sich praktisch um das Ergebnis sorgfältiger Prüfung handelt, inwieweit die einen gemeinsamen Weg suchenden Partner in ihren Auffassungen übereinstimmen, können so wenig verfassungswidrig sein wie etwa programmatische Festlegungen einer einzelnen Partei. Weder die Verfassung noch der von den Mitgliedern dieser Regierung geleistete Eid werden durch das Vorhandensein einer solchen Vereinbarung beeinträchtigt, sie bleiben vielmehr bei jeder einzelnen Entscheidung verbindlich. Es versteht sich von selbst, daß auch die in der Verfassung garantierte freie Gewissensentscheidung der zur Koalition gehörigen Abgeordneten dieses Hohen Hauses unangetastet bleibt. Unser Vorgehen ist auch nicht ohne Beispiel. Die Parteiengruppierung, welche die gegenwärtige niedersächsische Landesregierung bildet, hat ebenfalls einen Koalitionsvertrag abgeschlossen, ohne daß seit Jahr und Tag irgend jemand darin einen Verfassungsverstoß gefunden hätte. Der heutigen Bundesregierung gehören 20 Bundesminister an. Neugeschaffen wurden das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Bundesministerium für Gesundheitswesen. Außerdem ist ein Bundesminister für besondere Aufgaben berufen worden. Lassen Sie mich an dieser Stelle den ausscheidenden Mitgliedern der bisherigen Bundesregierung für ihre hingebungsvolle Arbeit, mit der sie dem Wohle unseres Volkes und Landes gedient haben, den herzlichsten Dank aussprechen. Die Kritik an der Vergrößerung der Zahl der Bundesminister erscheint nicht berechtigt. Die Kritiker verkennen, daß die Zahl der Ministerien nur Ausdruck dafür ist, daß zahlreiche Aufgaben für den Staat neu entstanden sind, sei es aus der besonderen politischen Situation unserer Zeit, aus der ständigen Komplizierung der modernen Gesellschaft oder auch aus der manchmal beklemmenden technischen Entwicklung. Schon in der Regierungserklärung vom 20. September 1949 hat der Herr Bundeskanzler auf diesen Sachverhalt hingewiesen, ohne daß damals schon das ganze Ausmaß der sich uns ständig neu stellenden Probleme erkennbar war. Ein Ministerium muß für seinen Chef überschaubar bleiben, wenn er nicht in der Routine der Verwaltungsaufgaben aufgehen soll, sondern wenn er - wie es notwendig ist - sich den Blick frei halten will für seine politischen Aufgaben, für seine Verantwortung Für das Ganze. Um diesem Erfordernis zu entsprechen, mußten wir - nicht erst bei dieser Regierungsbildung - für einige in ihrer Bedeutung enorm gewachsene Zweige bisheriger sogenannter klassischer Ministerien besondere Ressorts schaffen. Davon abgesehen aber bin ich der Meinung, daß wir im internationalen Vergleich durchaus bestehen können, selbst wenn man die nach dem föderativen Aufbau unseres Staatswesens gegebene Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern berücksichtigt. Großbritannien z.B. hat ein Kabinett von 30 Mitgliedern, von denen 21 stimmberechtigt sind. Die Regierung Italiens besteht aus 24 Mitgliedern, die alle stimmberechtigt sind, davon drei ohne Portefeuille. In Frankreich hat das unter dem Staatspräsidenten de Gaulle gebildete Kabinett 28 Mitglieder, alle stimmberechtigt, davon 18 Minister; zehn sind Staatsminister und Staatssekretäre. Schließlich möchte ich auch ein Wort dazu sagen, warum abweichend von der bisherigen Gepflogenheit diese Regierungserklärung nicht am Tage der Vorstellung und Vereidigung des Bundeskabinetts abgegeben wurde. Zwar sind, wie ich schon ausgeführt habe, in den Koalitionsverhandlungen klare Vorstellungen über die Grundsätze des Regierungsprogramms erarbeitet worden. Es ist aber selbstverständlich, daß dienen in die Regierung eingetretenen Mitglieder ein Recht darauf hatten, bei der Festlegung der Einzelheften dieser Regierungserklärung Ehren persönlichen Einfluß geltend zu machen. Das aber war in der bis zur Vereidigung der Bundesregierung zur Verfügung stehenden Zeit schon deshalb nicht möglich, weil unmittelbar nach, der Wahl und Ernennung des Bundeskanzlers eine aus der außenpolitischen Situation sich ergebende außergewöhnliche Beanspruchung des Regierungschefs einsetzte, die es ihm zur Pflicht machte, dieser Arbeit vorübergehend alle anderen Belange unterzuordnen. Er ist der Meinung, daß er sich nach der Aussprache, die er vor seiner Abreise nach Washington am 17. November 1961 mit den Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen hatte, auf diese Ausführungen beschränken kann. Lassen Sie mich nun einigen Schwerpunkten der künftigen Regierungsarbeit mich zuwenden. Mit einer gewissen Sorge hat die Bundesregierung des vergangenen Legislaturperiode die Entwicklung des Bund-Länder-Verhältnisses beobachtet. Die Bewältigung der vor uns allen liegenden schweren Aufgaben macht es notwendig, daß alles getan wird, eine fruchtbare und reibungslose Zusammenarbeit zwischen Bund und Länderei zu sichern. Ohne eine solche sind diese Aufgaben nicht zu meistern; bei ihrer Durchführung wird die Bundesregierung vielmehr in verstärktem Maße auf die Mitwirkung der Länder angewiesen sein. Die Bundesregierung bekennt sich aus Überzeugung zu dem in der Verfassung niedergelegten Grundsatz eines föderativen Staatsaufbaus und zur gegenseitigen Treuepflicht zwischen Bund und Ländern. Ihr kommt es aber auch zu, das Wohl der Bundesrepublik als Ganzes nachdrücklich zu wahren und zu vertreten. In den vergangenen Legislaturperioden war es leider noch nicht möglich, ein Parteiengesetz zu verabschieden. Ich glaube aber, daß die Erörterung der damit zusammenhängenden schwierigem Probleme inzwischen so weit fortgeschritten ist, daß es im dieser Legislaturperiode gelingen wird, ein Gesetz zu schaffen, das den politischen Parteien die Erfüllung ihres verfassungsmäßigem Auftrags gewährleistet. Für die Bewältigung der uns gestellten Aufgaben ist ein zuverlässiges, unbestechliches und pflichtgetreues Berufsbeamtentum eine wesentliche Voraussetzung. Es zu erhalten und zu festigen sowie in seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung zu sichern, wird auch für die kommende Legislaturperiode eine wichtige Aufgabe sein. Die Bundesregierung sieht es nach wie vor als eines ihrer grundsätzlichen Anliegen an, die rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik zu sichern und auszugestalten. Rechtspolitisch ist in der letzten Legislaturperiode ein gewisser Abschnitt erreicht worden: Die Bereinigung des deutschen Rechts gegenüber der Zeit von 1933 bis 1945 und die Wiederherstellung der deutschen Rechtseinheit gegenüber den Jahren von 1945 bis 1949 konnten im wesentlichen ebenso vollendet werden wie die Ablösung des Besatzungsrechts. Die Sammlung des bereinigten Bundesrechts steht unmittelbar vor ihrem Abschluß; sie wird der Praxis eine große Hilfe bedeuten. Im Mittelpunkt der Aufgaben der neuen Wahlperiode werden drei große Reformwerke stehen: das neue Strafgesetzbuch, das neue Aktiengesetz und das neue Urheberrechtsgesetz. Als Ergebnis jahrelanger Vorarbeiten werden diese Entwürfe bereits in nächster Zeit dem Bundestag vorgelegt werden können. Als besonders dringlich ist die Verabschiedung der Strafprozeßnovelle anzusehen, die bereits dem letzten Bundestag zugegangen war. Die europäische Rechtsangleichung werden wir weiter nachdrücklich zu fördern haben. Wie in der Vergangenheit wird es auch in der Zukunft besonderer Anstrengungen zur Förderung von Wissenschaft und Forschung bedürfen. Dies ist von zentraler Bedeutung für die Entfaltung der geistigen Kräfte unseres Volkes und für seine Geltung in der Welt. Die eingeleiteten Maßnahmen werden unter Berücksichtigung der Vorschläge des Wissenschaftsrats in enger Zusammenarbeit mit den Ländern durchgeführt. Die Bundesregierung erklärt erneut ihre Bereitschaft, sich an der Errichtung neuer wissenschaftlicher Hochschulen zu beteiligen. Angesichts der wachsenden Zahl von Studierenden sollten die zuständigen Stellen unverzüglich alles tun, damit unsere wissenschaftlichen Hochschulen ihre Aufgäben sachgemäß erfüllen können. Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen zur Förderung der Kernforschung und zum Aufbau einer Atomwirtschaft fortsetzen. Sie wird sich dabei auch der Weltraumforschung und der Raumfahrttechnik annehmen. Angesichts der großen Bedeutung, die die Erhaltung der Gesundheit für den einzelnen und für unser Volk hat, hat sich die Bundesregierung entschlossen, ein Bundesministerium für Gesundheitswesen einzurichten. Zu dessen vordringlichen Aufgaben wird es gehören, sich der Fragen der Reinhaltung des Wassers und der Luft sowie der Bekämpfung des Lärms anzunehmen. Vor allem in den Ballungsgebieten haben die negativen Begleiterscheinungen unserer Zivilisation einen besorgniserregenden Umfang angenommen. Es wird alles getan werden müssen, um die auf diesem Gebiet notwendigen Maßnahmen mit Energie voranzutreiben. Ich rechne hierbei auf eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern, der Industrie und den Gemeinden. Das Bundesministerium für Gesundheitswesen wird sich ferner mit der Verbesserung der Verhältnisse unserer Krankenhäuser befassen müssen. Die in der dritten Legislaturperiode des Deutschen Bundestags verabschiedeten grundlegenden Gesundheitsgesetze sollten beschleunigt durchgeführt und die Vorarbeiten für die noch ausstehenden Regelungen auf den Gebieten der Heilmittelwerbung, der Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind und des gesundheitlichen Schutzes gegen Strahlengefahren sowie für die Gesamtreform des Lebensmittelrechts baldigst abgeschlossen werden. Der Sport wird unter Berücksichtigung des vom Deutschen Olympischen Komitee vorgelegten "Goldenen Plans" zur sportlichen Ertüchtigung unseres Volkes verstärkt gefördert werden. - Ich freue mich über Ihren Beifall. Angesichts der großen Aufgaben und Anforderungen, die von der Bundesrepublik in den nächsten Jahren bewältigt werden müssen, kommt es ganz entscheidend darauf an, die Leistungskraft unserer Volkswirtschaft zügig weiterzuentwickeln. Die Bundesregierung sieht daher in der konsequenten Fortführung der nunmehr seit zwölf Jahren bewährten Sozialen Marktwirtschaft das beste Mittel, um diesen Notwendigkeiten gerefft zu werden. Damit ist die Möglichkeit für weiteres wirtschaftliches Wachstum und die Gewißheit für wirtschaftliche Sicherheit im besten Wortsinn gegeben. Westdeutschland leistet damit an der Nahtstelle zwischen Ost und West einen entscheidenden Beitrag zum Schutz der westlichen Welt vor kommunistischer Zersetzung und Infiltration. Die Fortführung und Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft wird es gestatten, die immer neuen Probleme, vor die uns die moderne Industriegesellschaft stellt, befriedigend zu lösen. Nur so werden wir in der Lage sein, den in letzter Zeit verschärften internationalen Wettbewerb zu bestehen. Die enge internationale Verflechtung hat mit dazu beigetragen, in Deutschland die Vollbeschäftigung zu sichern und den Millionen von Heimatvertriebenen eine neue Existenz zu gewähren. Aus dieser führenden Position erwächst aber auch die Verpflichtung, um die Ordnung der internationalen Beziehungen, besonders auch des internationalen Zahlungsverkehrs, bemüht zu sein. Wichtigste Voraussetzung für diese gesunde wirtschaftliche Entwicklung bietet die Stabilität unserer Währung. Wirtschaftswachstum darf nicht mit Preissteigerungen erkauft werden. Es ist auch notwendig, für eine verstärkte Koordinierung der Konjunkturpolitik, nicht zuletzt im internationalen Rahmen, zu sorgen. Wir müssen dabei für eine Erweiterung des konjunkturpolitischen Instrumentariums sorgen. Von den Sozialpartnern erwartet die Bundesregierung Unterstützung durch eine maßvolle und besonnene Lohnpolitik. Diese muß den Produktivitätsfortschritt berücksichtigen. Von der Einhaltung der durch Preisstabilität und Sicherung eines gesunden wirtschaftlichen Wachstums gesetzten Grenzen wird es abhängen, ob gegebenenfalls neue Lösungen und Formen der Zusammenarbeit der Sozialpartner gefunden werden müssen. Die Bundesregierung wird den Leistungswettbewerb weiter fördern. Sie wird die Entstehung wirtschaftspolitisch schädlicher marktbeherrschender Unternehmen wie auch den Mißbrauch bereits vorhandener Macht verhindern. Das Kartellgesetz wird unter diesem Gesichtspunkt überprüft und verbessert werden, wobei die Sicherung der Preiselastizität in der Wirtschaft besondere Aufmerksamkeit verdient. Der Kartellpolitik im Rahmen des Gemeinsamen Markts kommt wachsende Bedeutung zu. Die Ergebnisse der bereits eingeleiteten Enquete über Entstehen und Vorhandensein wirtschaftlicher Macht wird die Grundlage für Vorschläge und Maßnahmen der neuen Regierung bilden. In der Mittelstandspolitik werden wir fortfahren, gute Lebensbedingungen für die breite Mittelschicht mit den vielen gesunden selbständigen Existenzen im Handwerk, Handel und Gewerbe, in der Landwirtschaft und in den freien Berufen zu fördern. Neben dem Willen, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der vorhandenen Betriebe zu stärken, steht als wichtige Aufgabe, das Selbständigwerden bisher abhängiger Existenzen zu ermöglichen. Die Steuerung des wirtschaftlichen Prozesses durch Markt, Preise und Wettbewerb stellt die Wirtschaft vor die Aufgabe, sich den ständigen Änderungen der Marktverhältnisse anzupassen. Derartige Anpassungsvorgänge sind unvermeidlich, ja, sie bewirken den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt. Es wäre weder ökonomisch noch gesellschaftspolitisch zu rechtfertigen, sie verhindern zu wollen. Staatliche Hilfe erscheint aber dort vertretbar, wo aus der Eigenart der Produktionsbedingungen ungewöhnliche Anpassungsschwierigkeiten entstehen und die betreffenden Wirtschaftszweige aus eigenen Kräften alles tun, um die Schwierigkeiten zu bewältigen. So wird auch der Steinkohlenbergbau künftig bei seinen Anpassungsbemühungen unterstützt werden. Die räumliche Verteilung der Wirtschaft muß durch geeignete Maßnahmen der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik so beeinflußt werden, daß übermäßige Zusammenballungen vermieden und für die Bevölkerung in allen Teilen der Bundesrepublik befriedigende Lebens- und Erwerbsbedingungen gegeben sind. Daher wird die Hilfe für strukturell schwache Gebiete und Zonenrandgebiete fortgesetzt werden. Die wirtschaftliche Hilfe für Berlin stellt eine besondere Aufgabe und Verpflichtung dar. Ihr Vorrang bedarf keiner besonderen Erläuterung. Die Finanzpolitik der Bundesregierung steht in den kommenden Jahren vor vielfältigen und schwierigen Aufgaben. Auch sie wird einen wichtigen und unentbehrlichen Beitrag zur Sicherung von Konjunktur und Beschäftigung zu leisten haben. Sie muß zu ihrem Teile auch dazu beitragen, daß unsere gesamte Volkswirtschaft weiter wächst. Ihr oberstes Ziel ist die Sicherung der Kaufkraft unseres Geldes. Anden Bundeshaushalt werden in den kommenden Jahren erhebliche Mehranforderungen herantreten. Neben Mehrlasten für die militärische und zivile Verteidigung erfordern die Erhaltung der Lebensfähigkeit Berlins, die Anpassung unserer Landwirtschaft an eine veränderte Wirtschaftsstruktur und ihre allmähliche Einfügung in den gemeinsamen europäischen Markt, die Entwicklungshilfe an andere Völker sowie der kulturelle Fortschritt in Wissenschaft und Bildung wachsende finanzielle Anstrengungen. Der Ausgleich des Bundeshaushalts wird in den kommenden Jahren Deckungsprobleme aufwerfen, die wir in den vergangenen Jahren nicht gekannt haben. Zur Sicherung des Haushaltsausgleichs werden strenge Sparsamkeit bei allen Bundesausgaben und die Aufnahme von Kredit beitragen müssen. Alle Ausgleichsmöglichkeiten im Rahmen des Gesamthaushalts von Bund und Ländern müssen erschöpft werden, bevor etwa zur Deckung von wirklich unausweichlichen Mehrausgaben des Bundeshaushalts Steuererhöhungen erwogen werden können. Steuerausgleich und Steuerumbau gehen vor Steuererhöhung. Im Rahmen dieser grundsätzlichen Überlegungen wird eine Reihe von steuerlichen Maßnahmen verwirklicht werden müssen, für die gewisse Vorarbeiten schon in der abgelaufenen Legislaturperiode geleistet worden sind. Unter diesen Maßnahmen erwähne ich besonders die Reform der Umsatzsteuer, die wettbewerbsneutral gestaltet werden muß und keinen steuerlichen Anreiz zur Konzentration in der Wirtschaft bieten darf. Nach der Meinung der Bundesregierung bedarf unser gesamtes Steuersystem in Bund, Ländern und Gemeinden einer sehr sorgfältigen Überprüfung und Anpassung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse und politische Ziele. Das ist eine Aufgabe für viele Jahre, die nicht in einem einzigen großen Reform-Gesetzgebungswerk gelöst werden kann. Wir sollten uns aber bemühen, aus der allzu gelegentlichen Steuerflickarbeit herauszukommen, die Jahr um Jahr hier und dort Kleinigkeiten ändert und die unser Steuersystem als ganzes auf die Dauer eher verschlechtert als verbessert. Maßstab dieser Überprüfung und Anpassung der Steuergesetze müssen unter anderem sein die volkswirtschaftliche Zweckmäßigkeit, die Stärkung der wirtschaftlichen Eigenverantwortung in einer freiheitlichen Gesellschaft, die Förderung der Vermögensbildung in breiten Schichten und nicht zuletzt die Vereinfachung des Steuerrechts. Besondere Aufmerksamkeit wird die Bundesregierung den Finanzproblemen der Gemeinden zuwenden. Das innere Gleichgewicht der Gemeindehaushalte ist infolge der zurückgebliebenen Bewertung des Grundvermögens einerseits und des mächtigen Wachstums der Gewerbesteuer andererseits gestört. Bei der Neuordnung der Gemeindesteuern müssen der Bund und die Länder eng zusammenarbeiten. Im Rahmen eines ausgewogenen Systems gemeindeeigener Steuereinnahmen muß die Selbstverantwortung der Gemeinden für ihre Ausgabengebarung und für die Höhe der örtlichen Steuern im größtmöglichen Umfange gewahrt bleiben. Die Neuordnung der Gemeindesteuern ist Teil einer der wichtigsten finanzpolitischen Aufgaben, die jetzt vorbereitet werden müssen, nämlich der Neugestaltung der Finanzverfassung für Bund, Länder und Gemeinden auf längere Sicht. Die derzeitige Trennung von Steuerquellen und Steuererträgen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erweist sich zunehmend als überprüfungsbedürftig. Eine verbesserte Finanzverfassung wird davon ausgehen müssen, daß der gesamte öffentliche Finanzbedarf von der gesamten Volkswirtschaft aufgebracht werden muß. Der Einheit von Wirtschaft und Gesellschaft in einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet maß eine Einheit der öffentlichen Aufgaben und des Finanzbedarfs im öffentlichen Gesamthaushalt von Bund, Ländern und Gemeinden entsprechen. Die Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden, wie sie durch die Verfassung zugewiesen werden, sind grundsätzlich gleichwertig. Für diese legitimen Aufgaben sollten jedem Aufgabenträger ausreichende Deckungsmittel in einem ausgewogenen, unter sich verbundenen und beweglichen System eigener Steuerquellen und großer Überweisungssteuern zugewiesen werden. Diese Neuordnung der Finanzverfassung des Grundgesetzes, deren außergewöhnlichen politischen Rang ich nicht hervorzuheben brauche, erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Die Bundesregierung wird die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge durch eine Kommission erfahrener und unabhängiger Persönlichkeiten untersuchen lassen. Diese Kommission soll der Bundesregierung in angemessener Frist geeignete Vorschläge zur Verbesserung der Finanzverfassung unterbreiten. Wir kennen die Sorgen und Schwierigkeiten der Landwirtschaft. Wir kennen ihren Mangel an Arbeitskräften und die dadurch noch verstärkte Notwendigkeit einer kostspieligen Technisierung. Wir kennen auch ihre Sorgen, daß durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft die Lage der deutschen Landwirtschaft noch schwieriger werden könnte. Mit der fortschreitenden Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes und der Eingliederung der deutschen Landwirtschaft in diesen Integrationsprozeß werden die deutsche Agrarpolitik und damit auch die deutsche Landwirtschaft sehr bald vor ernste Entscheidungen gestellt werden. Von diesem Integrationsprozeß, der eine notwendige Folge der Römischen Verträge ist, kann die Landwirtschaft nicht ausgenommen werden. Die Bundesregierung vertritt jedoch die Auffassung, daß dieser Eingliederungsprozeß organisch und behutsam vor sich gehen muß. Sie ist weiter der Auffassung, daß die deutsche Agrarpolitik sich nach wie vor nach den Zielen des deutschen Landwirtschaftsgesetzes auszurichten hat. Die derzeitige Wirtschafts- und Einkommenslage der deutschen Landwirtschaft darf nicht verschlechtert, sie muß, wo sie unzureichend ist, verbessert werden. Bei ihren Entscheidungen zur Entwicklung einer gemeinsamen Agrar- und Ernährungspolitik unter den sechs EWG-Ländern, insbesondere in den Fragen des Agrarschutzes und der Preisbildung, wird die Bundesregierung diesem Grundgedanken Rechnung tragen. Landwirtschaft und Forstwirtschaft bleiben auch in unserem Industriestaat ein unentbehrlicher Teil der Volkswirtschaft. Die Förderung des Leistungsvermögens der Landwirtschaft und ihrer Kaufkraft ist ein wichtiger Bestandteil unserer eigenen volkswirtschaftlichen Interessen. Die Erhaltung einer breiten Schicht eigentumsbejahender und heimatverbundener Bauern und Landarbeiter sowie der mit ihnen verbundenen mittelständischen Existenzen auf dem Lande und in den kleinen Städten ist auch aus vielen anderen Gründen für uns von größter Bedeutung. Wir wollen daher die Landwirtschaft in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch die Landbevölkerung in ihrer Sozial- und Lebensordnung fördern. Damit soll den Gefahren weiterer Menschenzusammenballungen in Großstädten und Industriezentren begegnet werden. Diese Förderung wird die Kostmund Ertragslage auf Grund der gemeinsamen Agrarpolitik im Rahmen der EWG zu berücksichtigen haben, um ordnungsgemäß geführten Bauernbetrieben mit durchschnittlichen Produktionsbedingungen die wirtschaftliche Existenz einer bäuerlichen Familie zu gewährleisten; das Landwirtschaftsgesetz ist - soweit erforderlich - entsprechend zu ergänzen. Unverändertes Ziel der Agrarpolitik bleibt es, die Produktion von Bodenerzeugnissen in einer durch intensiven Landbau geprägten Kulturlandschaft gesund zu erhalten. Bei der steigenden Bedeutung der Veredelungswirtschaft wird aber neben der Bodenproduktion die Veredelungserzeugung besonders gefördert werden müssen. Die Verbesserung der Agrarstruktur soll fortgeführt, das ländliche Bildungswesen und die Wirtschaftsberatung weiter ausgebaut werden. Auch sollen die allgemeinen Lebensbedingungen für die auf dem Lande lebenden Menschen durch Schaffung der notwendigen Grundausrüstung in den Dörfern und durch Entwicklung sogenannter zentraler arte verbessert und die schwach strukturierten Gebiete gefördert werden. Die durch den Mangel an Arbeitskräften zunehmende Arbeitsbelastung der in der Landwirtschaft tätigen Menschen soll durch weitere Rationalisierung mit zinsgünstigen Krediten gemildert werden. Auch die bäuerliche Hauswirtschaft muß weiter gefördert werden, um die schwer arbeitende Hausfrau zu entlasten. In verstärktem Maße wird jedoch der Selbsthilfewille der Landbevölkerung unterstützt werden, insbesondere da, wo sich eine Anpassung der Erzeugung, des Angebots und des Absatzes an veränderte Umweltbedingungen oder Marktverhältnisse als notwendig erweist. Der Agrarkredit wird bei der Finanzierung solcher Maßnahmen sehr wichtig sein. Eine gute Unterbringung der Menschen ist eine Voraussetzung für ihr soziales Wohlbefinden, ihre innere Aufgeschlossenheit und ihre berufliche Leistungsfähigkeit. Die Förderung des Wohnungsbaus gehört deshalb zu unseren vordringlichen Aufgaben. Wir werden trotz aller früheren Erfolge nicht ruhen, bis auch die letzte Wohnungsnot beseitigt ist. Aber nicht die Wohnungsbeschaffung allein ist wichtig, es ist auch wichtig, möglichst vielen Menschen eine unmittelbare Beziehung zu Haus und Boden zu verschaffen. Der Bau von Familienheimen wird daher bei allen Förderungsmaßnahmen den Vorrang behalten, ebenso die Unterbringung kinderreicher und junger Familien. Für alle diese Maßnahmen bleiben die Baulandbeschaffung sowie vernünftige Baupreise ein dringendes Gebot. - Das verspricht ja eine gute Zusammenarbeit, meine Herren! In dem Maße, in dem die Wohnungsnot beseitigt wird, soll der ganze Wohnungsbestand in die Soziale Marktwirtschaft übergeführt werden. Die Eigentumspolitik im Wohnungsbau behält daneben ihren Vorrang. Die finanziellen und steuerlichen Hilfsmaßnahmen zur Instandsetzung und Modernisierung des Altwohnungsbestandes werden fortgesetzt. Das soziale Miet- und Wohnrecht wird weiter ausgebaut. Ein endgültiges Gesetz über Wohnbeihilfen soll jeder Familie das notwendige Mindestmaß an Wohnraum wirtschaftlich sichern. Der Mieter wird auch nach dem Auslaufen des Mieterschutzgesetzes den notwendigen rechtlichen Schutz genießen. Im Zuge der Umstellung auf die Soziale Marktwirtschaft wird die Wohnungswirtschaft neue Aufgaben erhalten. Dabei wird in besonderem Maße den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen die Aufgabe zukommen, zur Schaffung von Eigentum für breite Schichten der Bevölkerung beizutragen. Die Erfolge der bisherigen Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung haben die Voraussetzung dafür geschaffen, jetzt eine umfassende Städtebaupolitik in Angriff zu nehmen. Dabei müssen zunächst die überalterten und ungesunden Wohn- und Arbeitsgebiete erneuert, die Städte aufgelockert und durchgrünt, die Baudichte im Zusammenhang mit der Beseitigung der Verkehrsnotstände vermindert werden. Alle diese Maßnahmen sind ein wesentlicher Teil der nach Maßgabe der Verfassung dringlich in Angriff zu nehmenden großen Aufgabe der Raumordnung. Hierzu gehören nicht nur die Entlastung der Ballungsgebiete, die Ordnung des überörtlichen Verkehrs und die Erhaltung der Erholungsflächen, sondern ebenso die Förderung der Wirtschaftskraft der schwach strukturierten Gebiete der Bundesrepublik sowie die Verbesserung der Agrarstruktur. Eine wirksame Raumordnung ist die Voraussetzung für unsere gesellschaftspolitische Entwicklung. Sie erfordert gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden sowie innerhalb der Bundesregierung selbst die Mitwirkung mehrerer Ressorts. Für diese Arbeit sind die gesetzlichen und finanziellen Voraussetzungen schnellstens zu schaffen. Aber nicht nur das Eigentum an Haus und Boden, auch die sonstige Eigentumsbildung in allen sozialen Schichten und eine breite Streuung des sich neu bildenden Vermögens sind für uns in Zukunft ein vordringliches Anliegen. Privates Eigentum stärkt die wirtschaftliche Freiheit und Unabhängigkeit des einzelnen und der Familie. Die breite Streuung des privaten Eigentums ist eine Voraussetzung für die Stabilität unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die Entstehung neuen Vermögens der öffentlichen Hand soll daher, soweit irgend möglich, verhindert werden. Die so erfolgreichen Maßnahmen zur breiten Vermögensbildung werden durch weitere Privatisierung des Erwerbsvermögens des Bundes und Ausgabe weiterer Volksaktien fortgesetzt werden. Die Zahl der seit 1957 bereits um das Vierfache auf zwei Millionen gestiegenen Besitzer von Aktien wird sich weiter erhöhen. Vermehrte Eigentumsbildung erfordert vermehrtes Sparen. Die Sparfähigkeit, namentlich der unteren und mittleren Einkommensschichten, wird verstärkt werden. Den Vertriebenen und Flüchtlingen wird dabei unsere besondere Aufmerksamkeit gelten. Die Aufgaben des ERP-Sondervermögens werden fortgeführt und erweitert. Dieser Kapitalfonds für Struktur- und Entwicklungsaufgaben im In- und Ausland wird insbesondere künftig der Förderung der Berliner Wirtschaft, der Erleichterung von Startbedingungen des Mittelstandes, aber auch der Förderung von Investitionen in Entwicklungsländern und der Reinhaltung von Wasser und Luft dienen. Die wirtschaftliche und technische Entwicklung machen eine großzügige Förderung der Bildung und Ausbildung der Jugend, insbesondere auch der Arbeiterjugend notwendig. Die Bundesregierung wird daher ihre Bemühungen zur Leistungsförderung und Ausbildung verstärken. Sie erwägt, Einnahmen aus dem Privatisierungserlös des Volkswagenwerks in Höhe von 500 Millionen DM fair einen solchen großzügigen Bundesplan einzusetzen. Auf dem Gebiet des Verkehrs muß dafür gesorgt werden, daß die Verkehrsträger Kraftverkehr und Binnenschiffahrt und das sie tragende mittelständische Gewerbe gesund und leistungsfähig bleiben. Wir werden auch die weitere Gesundung der Bundesbahn anstreben und sie bei der Rationalisierung und Modernisierung ihres Betriebs unterstützen. Wir werden auch künftig auf die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen der binnenländischen Verkehrsträger hinwirken, um sie auf der Grundlage der Verkehrsgesetzgebung der 3. Legislaturperiode an die Soziale Marktwirtschaft heranzuführen. Wir werden damit einen verstärkten Preiswettbewerb und gleichzeitig eine volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung unter den Verkehrsträgern fördern. An den gemeinwirtschaftlichen Aufgaben der Deutschen Bundesbahn wird auch in Zukunft grundsätzlich festgehalten werden. Das dringlichste Anliegen unserer Verkehrspolitik ist die Sorge für die Sicherheit des Menschen im Straßenverkehr. Wir werden deshalb vor allem den steigenden Anforderungen an den Straßenbau Rechnung zu tragen haben. Die Mittel für den Ausbau der Bundesfernstraßen müssen weiter erhöht werden. Um zu einem leistungsfähigen Gesamtstraßennetz zu kommen, werden wir auch die Interessen der kommunalen Baulastträger berücksichtigen. Den Verkehrsnotständen in den Gemeinden und großen Städten werden wir näherträten, sobald die von uns berufene Sachverständigenkommission ihre Untersuchungen abgeschlossen hat. Der Ausbau der Wasserstraßen wird, soweit zweckmäßig und notwendig, fortgesetzt werden. Das Bestreben der Seehäfen, der Seeschiffahrt und der zivilen Luftfahrt, mit der Entwicklung des modernen Weltverkehrs trotz des verstärkten internationalen Wettbewerbs Schritt zu halten, erkennen wir ausdrücklich als förderungswürdig an. An der Entwicklung und Verwirklichung einer gemeinsamen europäischen Verkehrsordnung werden wir weiterhin nach Kräften mitarbeiten. Dabei werden auch die Voraussetzungen des Wettbewerbe der deutschen Verkehrsträger gegenüber ausländischen Verkehrsträgern überprüft werden müssen. Auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens wird die Bundesregierung durch weitere Maßnahmen zur Technisierung, Automatisierung und Rationalisierung des Betriebs den Leistungsstand der Deutschen Bundespost aufrechterhalten, um den Anforderungen der deutschen Volkswirtschaft auch in Zukunft voll gerecht werden zu können. Sie wird ihr Augenmerk besonders auch darauf richten, daß das Verhältnis der Deutschen Bundespost zu den Benutzern ihrer Einrichtungen durch ein neues Postgesetz und eine neue Postordnung sowie durch eine Reform des Gebührenwesens auf eine zeitgemäße Grundlage gestellt wird. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß ein den Anforderungen des Verkehrs gerecht werdendes Nachrichtennetz nicht nur von nationaler, sondern bei der Lage der Bundesrepublik im Herzen Europas auch von internationaler Bedeutung ist. Es wird daher das Bestreben der Bundesregierung sein, zur Verbesserung des internationalen Post- und Fernmeldeverkehrs beizutragen. Die Bundesrepublik steht seit langem im Zeichen der Vollbeschäftigung. Die Bundesregierung wird alles daransetzen, diesen hohen Beschäftigungsstand zu halten. Sie rechnet auch in der neuen Legislaturperiode mit der verantwortungsvollen Unterstützung und Mithilfe der Sozialpartner. Aufgetretene Spannungen auf dem Arbeitsmarkt wird sie durch geeignete Maßnahmen zu mildern versuchen. Ihre besondere Aufmerksamkeit wird die Bundesregierung auch weiterhin den Fragen der beruflichen Aus- und Fortbildung widmen. Sie ist der Überzeugung, daß dem Investitionen und Förderungsmaßnahmen auf diesem Gebiete kein gerungener Wert als anderen Investitionen zukommt. Eine stetig wachsende Zahl von Menschen mit sehr hohem Bildungsstand ist in der Welt der industriellen und gewerblichen Arbeit für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eine unabdingbare Voraussetzung. Die Bundesrepublik ist ein sozialer Rechtsstaat. - Sie ist es! Die in den vergangenen Legislaturperioden erzielten Fortschritte auf sozialpolitischem Gebiet können uns alle mit Genugtuung erfüllen. Sie zu erhalten, zu festigen und auszugestalten erachtet die Bundesregierung für ihre verfassungsmäßige Pflicht. Sie wird weiterhin den sozialpolitischen Belangen größte Aufmerksamkeit widmen und bestrebt sein, den sozialen Fortschritt zu fördern. Soziale Sicherung ist notwendig. Ihre Grenze liegt aber dort, wo die persönliche Freiheit des einzelnen gefährdet und durch ein Übermaß von Forderungen die Grundlage aller sozialen Sicherheit, die Währungsstabilität, bedroht wird. Die Sozialpolitik darf nicht Selbstzweck sein, sie ist aber überall dort berechtigt, wo die Verhältnisse sie erfordern. Sie hat dem Menschen bei der Entfaltung seiner Persönlichkeit zu dienen und soll ihm helfen, die Lebensrisiken zu bewältigen. Was der Mensch für sich und die Seinen aus eigener Kraft leisten kann, bedarf nicht der gesetzlichen Regelung. Die Bundesregierung wird daher bei allen sozialpolitischen Maßnahmen auch Bedacht darauf nehmen, daß die Eigenverantwortung des Menschen gestärkt und seine persönliche Freiheit nicht geschmälert wird. Die Sozialreform wird fortgeführt, das ist selbstverständlich. Die Bundesregierung wird Entwürfe für die Reform der Krankenversicherung und der Unfallversicherung, die diesen Grundsätzen entsprechen, vorlegen. Neben den Fragen der Arbeit und des Arbeitsplatzes steht die Sorge für die Familie, die der Mittelpunkt der Menschen ist und deren wirtschaftliche und soziale Stellung von höchster, auch politischer Bedeutung ist. Wir wollen unsere Arbeit für die Familie konsequent fortsetzen. Beispielsweise werden wir dem Schutz der Mutter mit pflege- und erziehungsbedürftigen Kindern unsere besondere Aufmerksamkeit widmen. Ein Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Kindergeldrechts soll, sobald es möglich ist, die Aufbringung der für die Zahlung von Kindergeld insgesamt erforderlichen Mittel regeln. Die Sorge für die Kriegsopfer wird uns auch weiterhin ein wichtiges Anliegen sein. Wir werden uns insbesondere bemühen, den Kriegsopfern eine Heilbehandlung zu ermöglichen, die dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Die Sorge für die Vertriebenen und Flüchtlinge bleibt uns eine soziale Verpflichtung und ein nationales Anliegen. Wir werden bestrebt sein, die notwendigen Wohnungen zu erstellen, eine Verbesserung des Lastenausgleichs zu erreichen und eine beschleunigte Auszahlung der Hauptentschädigungen zu sichern. Wir werden ihnen helfen, neues Vermögen zu bilden, und uns bemühen, die durch Vertreibung und Flucht auseinandergerissenen Familien wieder zusammenzuführen. Die Ansiedlung der vertriebenen und geflüchteten Bauern wird entsprechend der bisherigen Planung fortgesetzt. In einem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge mit den Heimatvertriebenen auf allen sozialen Gebieten erreicht werden. Ein weiterer Gesetzentwurf wird zur Beweissicherung oder zur Feststellung der in der sowjetischen Besatzungszone und dem Sowjetsektor von Berlin erlittenen Schäden vorgelegt werden. Die Pflege des mittel- und ostdeutschen Kulturguts wird fortgesetzt. In der 4. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags wird auch versucht werden, auf allen Gebieten der Kriegsfolgengesetzgebung zu einer Schlußgesetzgebung zu kommen. Hierzu würde auch vordringlich das Schlußgesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes gehören. Die uns allen am Herzen liegende Wiedergutmachung wird aller Voraussicht nach in dieser Legislaturperiode im wesentlichen zu Ende geführt werden können. Gewisse, vor allem technische Ergänzungen und Änderungen der bisherigen Bestimmungen werden in einem Wiedergutmachungsschlußgesetz zusammenzufassen sein. Lassen Sie mich nun zur Außenpolitik kommen. Seit ihrem Bestehen bemüht sich die Bundesrepublik um gute Beziehungen zu allen Staaten. Es ist ihr gelungen, mit den meisten Ländern freundschaftliche Verbindungen aufzunehmen und säe von Jahr zu Jahr enger und fester zu gestalten. Das gilt für viele Staaten Asiens. Auch die Beziehungen zu den latein-amerikanischen Ländern haben sich sehr erfreulich entwickelt. Die Regierungen dieses Kontinents haben sich in den letzten Monaten fast einmütig, zuletzt noch auf der 16. Vollversammlung den Vereinten Nationen, für die Forderungen des deutschen Volkes auf Wiedervereinigung und Selbstbestimmung eingesetzt, wofür ich ihnen auch vom dieser Stelle aus danken möchte. Den politischen Umwandlungsprozeß auf dem afrikanischen Kontinent verfolgt die Bundesregierung mit Sympathie und lebhaftem Interesse. Sie ist an einer ungestörten und gesunden politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der afrikanischen Staaten interessiert, und sie ist bereit, ihnen bei ihrem wirtschaftlichen Aufbau im Rahmen ihrer Kräfte zu helfen. Mit Genugtuung hat sie die Entschließung der zwölf afrikanischen Staaten, die kürzlich in Tananarive zusammentrafen, zur Kenntnis genommen, die sich gegen die gewaltsame Abtrennung des östlichen Teils von Berlins wendet und eine baldige Lösung der Deutschland-Frage auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts fordert. Auch hierfür möchte ich im Namen der Bundesregierung danken. In den Rahmen unserer Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben mit allen Völkern fällt auch unser Bestreben, den Entwicklungsländern zu helfen. Wir haben schon Erhebliches geleistet. Allein für die Jahre 1961 und 1962 sind Kapitalhilfen in Höhe von insgesamt 5 Mrd. DM vorgesehen. Zur Ergänzung dieser öffentlichen Leistungen bemühen wir uns, die Initiative der Wirtschaft zu fördern. Von privatwirtschaftlichen Investitionen erwarten wir auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe eine besonders große Wirkung. Wir werden die Entwicklungshilfe wie bisher ohne politische Bindungen leisten. Wir werden dabei aber nicht außer acht lassen dürfen, daß das deutsche Volk es nicht verstehen würde, wenn wir in eine Entwicklungspartnerschaft mit Staaten träten, die unser Selbstbestimmungsrecht nicht anerkennen. Mehr noch als bisher wird die Bundesregierung in der Zukunft darauf achten, daß sich unsere Förderungsmaßnahmen in eine sinnvolle Gesamtplanung für den Wirtschaftsaufbau der Entwicklungsländer eingliedern. Gerade bei der Finanzhilfe sollte es zu eines dauerhaften Zusammenarbeit zwischen Geberländern und Entwicklungsländern kommen. Hier eine geeignete Form - auch auf multilateraler Basis - zu finden ist eine wichtige Aufgable. Wir werden uns aber auch nicht dem Appell entziehen, soweit wie möglich durch den Abbau der noch bestehenden Handelsschranken und der für seinige Erzeugnisse hohen Fiskalabgaben die Absatzmöglichkeiten für Produkte der Entwicklungsländer zu vergrößern. Bei der Bedeutung der Entwicklungshilfe schien es uns daher gerechtfertigt, Aufgaben auf diesem Gebiet einem besonderen Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu übertragen. Auch die kulturpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik mit dem Ausland werden in der vor uns liegenden Legislaturperiode verstärkt werden müssen, wobei wir besondere Anstrengungen auf dem Gebiet der Bildungshilfe machen werden, die zugleich auch eine wirksame Entwicklungshilfe ist. Die Kulturarbeit im Ausland darf nicht mit der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit verwechselt werden. Aber auch sie, die seit dem Beginn der Berlin-Krise in größerem Umfange aufgenommen wurde, und die - besonders durch das Berlin-Besucher-Programm - nachhaltige Erfolge gebracht hat, bedarf der Verstärkung und Verbesserung. Die Zusammenarbeit mit den drei Westmächten hat sich erfreulich entwickelt. Wir müssen aber noch mehr tun, der Weltöffentlichkeit die Berlin- und Deutschland-Frage nahezubringen, damit sie erkennt, daß es dabei auch um ehre eigenen vitalen Interessen geht. In ihrem Bemühen um freundschaftliche Beziehungen sieht es die Bundesregierung nach wie vor als eine ihrer vornehmsten Aufgaben an, nationalsozialistisches Unrecht wiedergutzumachen. Neben den gesetzlichen Regelungen, die ich schon erwähnt habe, sind in den letzten Jahren Verträge auf dem Gebiet der Wiedergutmachung abgeschlossen und Verpflichtungen von rund einer Milliarde D-Mark zugunsten der geschädigten Angehörigen einer Reihe von Ländern übernommen worden. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, wenn wir auch der UNO nicht angehören. Wir sind aber Mitglied in allen Sonderorganisationen und arbeiten auch in vielen Gremien der Vereinten Nationen aktiv mit, besonders in solchen humanitären Charakters. Wir haben von Jahr zu Jahr größere finanzielle Beiträge geleistet, auch für die Entwicklungsprojekte der Vereinten Nationen. Die Bundesregierung erhofft ihrerseits, daß diese Mitarbeit eines Nicht-Mitgliedstaates dadurch anerkannt wird, daß die Vereinten Nationen unseren deutschen Problemen Verständnis entgegenbringen. Wir haben daher mit großer Genugtuung festgestellt, daß eine eindrucksvolle Mehrheit der Delegierten für das Selbstbestimmungsrecht des ganzen deutschen Volkes während der jüngsten Generaldebatte eingetreten ist. Eine besonders erfreuliche Entwicklung - trotz aller Krisen in der Welt - ist auf dem Gebiete des europäischen Zusammenschlusses zu verzeichnen. Unsere vor elf Jahren begonnene Arbeit für die Integration Europas hat bereits zur Bildung eines Kraftzentrums in Europa geführt, dem wirtschaftlich und politisch große Bedeutung zukommt und das auch zur inneren Stabilität der Mitgliedstaaten beiträgt. Die Bundesregierung hofft, daß in den kommenden Jahren ein weiterer bedeutender Schritt in Richtung auf einen politischen Zusammenschluß der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft getan werden kann. Grundlage dieser europäischen Einigungspolitik war die deutsch-französische Aussöhnung. Die inzwischen entstandene enge deutsch-französische Freundschaft betrachtet die Bundesregierung als eines der großen Ereignisse der jüngsten Geschichte und als eine Garantie für Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa. Die Bundesrepublik, die mit den fünf anderen europäischen Staaten zu einer immer engeren Gemeinschaft zusammenwächst, wünscht und hofft, daß Großbritannien und andere europäische Staaten baldmöglichst den Europäischen Gemeinschaften beitreten. Ein gesundes, starkes und freies Europa wird nur unter gewissen Opfern und in unablässiger Arbeit geschaffen werden können. Europa ist aber unsere Hoffnung. Gelingt es uns, es zu schaffen, so wird das entscheidend dazu beitragen, daß uns und unseren Kindern Frieden und Freiheit erhalten bleiben. So positiv die eben erwähnten Punkte zu bewerten sind, so ernst ist die Lage im Hinblick auf den Sowjetblock. Ende 1958 begann die Berlin-Krise, die seit dem Sommer dieses Jahres erneut in ein akutes Stadium getreten ist. Die Sowjetunion hat angekündigt, daß sie mit der sowjetischen Besatzungszone einen Separatfriedensvertrag abschließen will. Dieser Vertrag würde den Namen Friedensvertrag nicht verdienen. Die Sowjetunion möchte einen Separationsvertrag herbeiführen, einen Vertrag, der die Teilung Deutschlands zementieren soll. Die Sowjetunion behauptet, mit diesem Vertrag nur ihren Machtbereich konsolidieren zu wollen. Aber dazu braucht sie keine Abmachung mit einem von ihr besetzten Gebiet! Die Erklärung Chruschtschows, daß er die Folgen dieses Separatvertrages auch mit Gewalt durchsetzen, d.h. den Krieg mit Atomwaffen riskieren will, zeigt klar, daß er viel mehr davon erwartet, als er sagt. Ihm geht es in Wirklichkeit nicht um die Konsolidierung seines Machtbereichs, sondern um die Isolierung der Bundesrepublik und die Zerstörung der NATO. Chruschtschow hofft, daß eine irgendwie geartete Anerkennung der Sowjetzone das Bündnis zwischen der Bundesrepublik und ihren Partnern zersetzen wird. Gleichzeitig versucht er, der Bundesrepublik innerhalb des atlantischen Bündnisses einen minderen Status aufzwingen und auch auf diese Weise die von ihm gewünschte Isolierung einzuleiten. Es kommt ihm nicht auf juristische Konstruktionen an, sondern auf die langsame Aushöhlung der Freiheit Berlins, die Stabilisierung der sowjetischen Besatzungszone, um von dort aus seine Expansionspolitik gegen den Westen fortsetzen zu können, die Herauslösung der Bundesrepublik aus der NATO und damit die tödliche Schwächung beider. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat mit aller Deutlichkeit erklärt, daß es in Berlin drei vitale Interessen gibt, die die Vereinigten Staaten verteidigen werden und für die sie auch die größten Risiken zu übernehmen bereit sind. Es sind diese: die Anwesenheit der Truppen der drei Mächte in Berlin, der freie Zugang nach Berlin und die Freiheit und Lebensfähigkeit Berlins. Dieser Erklärung stimmen wir voll und ganz zu. Auch die Bundesrepublik ist bereit, die zur Verteidigung dieser Interessen notwendigen Opfer und Risiken auf sich zu nehmen. Wir stimmen auch darin mit unseren Verbündeten überein, daß jeder vertretbare Versuch gemacht werden sollte, um diese Gefahren abzuwenden, die Lage zu entschärfen und insbesondere auch zu Verhandlungen zwischen den beteiligten Mächten zu kommen. Auf Grund schmerzlicher Erfahrungen hält es die Bundesregierung jedoch für ihre Pflicht, darauf hinzuweisen, daß Verhandlungen nur dann Aussicht auf Erfolg bieten, wenn sie von beiden Seiten in dem Willen geführt werden, zu einem vernünftigen Ausgleich zu kommen. Verhandlungen, die nicht in diesem Geiste aufgenommen werden, sind zum Scheitern verurteilt und tragen nicht zur Verbesserung der Lage bei, sondern eher zu einer Erhöhung der Spannung. Bei den bevorstehenden Verhandlungen sind drei Grundsätze zu beachten, die nicht preisgegeben werden dürfen: die Sicherheit der Bundesrepublik, die Erhaltung der bestehenden politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik, freier Zugang der Zivilbevölkerung und die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Deutschland-Politik, d.h. die Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und Freiheit, die Nichtanerkennung des sowjetisch besetzten Teils Deutschlands und des dort herrschenden Regimes, die Regelung der Grenzfragen in einem wirklichen Friedensvertrag, der mit einer gesamtdeutschen Regierung abzuschließen ist und für dessen Zustandekommen wir uns werter mit aller Kraft einsetzen wollen. Die Bundesregierung weiß, daß diese Ziele nicht mit Gewalt erreicht werden können. Jeder dahingehende Versuch würde zur Zerstörung unseres Landes und großer Teile der übrigen Welt führen. Es wäre das Ende jeder Deutschland-Politik. Die Bundesregierung hat daher mehrfach feierlich erklärt, daß sie auf die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit Gewalt zur Erreichung ihrer politischen Ziele ein für allemal verzichtet. Sie erneuert diese Versicherung in diesem Augenblick, und sie ist bereit, in jeder geeigneten Weise diesen Gewaltverzicht auch zum Gegenstand internationaler Verhandlungen zu machen. Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Frieden und Freiheit bleibt das unverrückbare Ziel der deutschen Politik, auch wenn wir heute noch keinen Zeitpunkt für seine Verwirklichung angeben können. Keinem Volk kann das Selbstbestimmungsrecht auf die Dauer vorenthalten werden. Die derzeitige unnatürliche Spaltung unseres Volkes hat immer wieder zu schweren Spannungen und Krisen geführt. Die Bundesregierung fordert daher die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts, eine Rechts, das zu einem verbindlichen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts geworden und in der Satzung der UNO verankert ist. Die Bundesregierung wird sich daher auch dafür einsetzen, daß nichts geschieht, was die Wiedervereinigung erschweren oder verhindern könnte. Eine Anerkennung des kommunistischen Regimes in Mitteldeutschland lehnt sie entschieden ab. Die Machthaber Mitteldeutschlands sind keine Regierung, die auf Grund des nationalen Selbstbestimmungsrechts zustandegekommen ist. Sie sind lediglich Vollzugsorgane der sowjetischen Besatzungsmacht. Selbst zu Regimen, die mit totalitären Mitteln arbeiten, besteht ein fundamentaler Unterschied: In der sowjetisch besetzten Zone lehnt das Volk mit überwältigender Mehrheit nicht nur das Regime, sondern auch die Existenz eines separaten deutschen Teilstaates ab. Dies vor allem ist es, was die sowjetisch besetzte Zone von allen Staaten in der Welt unterscheidet. Dies ist der Grund, warum die Bundesregierung die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Regime der sowjetisch besetzten Zone oder die Unterzeichnung eine separaten sogenannten Friedensvertrages mit dem Regime der Zone als einen unfreundlichen Akt gegen das deutsche Volk und als Stellungnahme gegen die Wiedervereinigung und für die fortdauernde Spaltung Deutschlands ansehen muß. Mit den Gewaltmaßnahmen des 13. August 1961 in Berlin, mit den Evakuierungen an der Demarkationslinie und mit der Steigerung des Terrors in ganz Mitteldeutschland hat das dortige Regime von neuem seine brutale Unmenschlichkeit offenbart. Unablässig werden menschliche Grundrechte verletzt. Unbeschreiblich ist die seelische Not der durch Stacheldraht und Betonmauern von uns getrennten Menschen. Die Bundesregierung fordert mit Nachdruck die Wiederherstellung des Rechts in ganz Deutschland. Vor allem müssen die Sperrmaßnahmen in Berlin wieder aufgehoben werden. Die Schandmauer muß verschwinden! Freie Verbindungswege zwischen Berlin und Westdeutschland müssen gewährleistet sein. Ich komme nun zu einer Frage, die für das Schicksal des deutschen Volkes und auch aller europäischen Völker von entscheidender Bedeutung ist: zur Frage der europäischen Sicherheit. Für die Bundesregierung gibt es in dieser Frage einige Grundsätze, die sie nicht preisgeben kann. Nach Auffassung der Bundesregierung gehört die Frage der europäischen Sicherheit nicht in den Zusammenhang der Berlin-Krise. Die Probleme der europäischen Sicherheit können nur in Verbindung mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit erörtert werden. Wir lehnen auch regionale Sicherheitsmaßnahmen in Europa ab, wenn sie als Vorstufe eines Abkommens über eine allgemeine Abrüstung deklariert werden, da die Hauptforderung des Westens - Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Kräfteverhältnisses Ost-West - nur in weltweitem Rahmen erfüllt werden kann. Die Bundesregierung ist dagegen bereit, sich an Überlegungen zu beteiligen, die dem Ziel dienen, die Gefahr von Überraschungsangriffen zu vermindern oder zu beseitigen, soweit es sich dabei um weltweite Maßnahmen handelt. Ich wiederhole also: die Bundesregierung ist nicht bereit, Maßnahmen zuzustimmen, die unter der Bezeichnung "Europäische Sicherheit" in Wirklichkeit die Unsicherheit vergrößern würden. Sie ist indessen bereit, nicht nur solchen Maßnahmen zuzustimmen, die geeignet sind, die Lösung der politischen Probleme Europas zu ermöglichen, sondern darüber hinaus auch solchen, die der Wahrung eines gerechten Friedens dienen. Eines der obersten Ziele der deutschen Außenpolitik bleibt daher die allgemeine und kontrollierte Abrüstung. Die Bundesregierung begrüßt das von der amerikanischen Regierung im September dieses Jahres den Vereinten Nationen vorgelegte Programm für eine allgemeine und vollständige Abrüstung in einer friedlichen Welt. Sie betrachtet dieses Programm als eine realistische Grundlage weiterer Abrüstungsverhandlungen. Die Bundesregierung bedauert, daß die Abrüstungsverhandlungen seit Juni 1960 unterbrochen sind; sie hofft, daß eine Wiederaufnahme dieser Verhandlungen alsbald ermöglicht wird. Die Bundesregierung bedauert besonders, daß durch das Verhalten der sowjetischen Regierung die Verhandlungen für eine kontrollierte Einstellung der Kernwaffenversuche, die zeitweise vor einem positiven Abschluß zu stehen schienen, erneut verzögert worden sind. Die Bundesregierung wünscht dringend einen baldigen Vertrag der Atom-Mächte über die kontrollierte Einstellung dieser Versuche. Sie hofft, daß die Wiederaufnahme der Verhandlungen am 28. November in Genf zu einem Ergebnis führen wird. Die Aussichten, der Welt durch Abrüstung den Frieden zu erhalten und zu sichern, sind leider nicht ermutigend. Im Gegenteil, die von der Sowjetunion hervorgerufene Krise uni Berlin zeigt mit aller Deutlichkeit, daß die freien Völker sich gegen einen mit militärischen Mitteln ausgeübten Druck gemeinsam sichern müssen. Daher betrachtet die Bundesregierung die Stärkung der NATO als das Gebot der Stunde, und zwar durch verbesserte politische Konsultationen und durch militärische Verstärkung. Nach Auffassung der Bundesregierung sollte der Plan einer NATO-Atom-Streitmacht baldmöglichst verwirklicht werden. Die Aufstellung einer solchen Streitmacht ist erforderlich, um die Streitkräfte der NATO in ihrer Abwehrkraft auf die gleiche waffentechnische Stufe zu heben, auf der sich der Gegner befindet. Mit dieser Forderung entkräftet die Bundesregierung zugleich den Vorwurf, atomare Waffen für sich selbst erwerben zu wollen. Die Bundesregierung hat diese Forderung niemals erhoben. Die Organisation des Nordatlantik-Pakts ist ein auf Verteidigung der gemeinsamen Interessen gerichtetes Bündnis der freien Völker. Die Bundesrepublik ist ein loyaler Partner dieses Bündnisses. Der Verteidigungscharakter der deutschen Streitkräfte kann nicht besser demonstriert werden als durch die Tatsache, daß die deutschen Verbände dem alliierten Oberbefehlshaber unterstellt sind. Wenn wir die Stärkung der NATO als die dringendste Aufgabe ansehen, die es zu bewältigen gilt, so kommt es darauf an, unsere Mitarbeit durch praktische Maßnahmen zu beweisen, d. h. wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um unsere Verpflichtungen in der NATO zu erfüllen. Wir werden zu diesem Zweck die Wehrdienstpflicht auf 18 Monate verlängern müssen, und wir werden die für die Erhaltung unserer inneren und äußeren Sicherheit erforderliche Gesetzgebung umgehend zu verabschieden haben. Das Grundgesetz bedarf der Ergänzung, um für den Fall Vorsorge zu treffen, daß der Bestand oder die freiheitlich demokratische Grundordnung unseres Staates bedroht werden. Auch andere Gesetzentwürfe, die der Vorsorge für den Krisenfall dienen sollen, wird die Bundesregierung dem Bundestag bald vorlegen. Ich erwähne nur den Schutz der Bevölkerung in den Wohnungen und Betrieben, die Regelung einer Umstellung von Wirtschaft, Ernährung und Verkehr auf die besonderen Erfordernisse eines Krisenfalles und die Einführung einer zivilen Dienstpflicht, um im Ernstfall die Versorgung und den Schutz der zivilen Bevölkerung sowie die Aufrechterhaltung öffentlicher Dienste sicherzustellen. Die zur Verbesserung der Kampfkraft unserer Streitkräfte erforderlichen Maßnahmen führen zwangsläufig zu einer wesentlichen Erhöhung der Verteidigungslasten. An Länder und Gemeinden, aber auch an Wirtschaft und Bevölkerung richten wir den dringenden Appell, unsere zur Verstärkung der gemeinsamen Verteidigung notwendigen Maßnahmen, vor allem auf dem Gebiet der Landbeschaffung, der Produktion und der Bauten, zu unterstützen. Viele der Maßnahmen, die die Bundesregierung treffen muß, werden tief in das Leben jedes einzelnen Deutschen eingreifen. Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt. Sie muß diese Opfer, die dem Ernst der Lage entsprechen, vom deutschen Volk verlangen. Wir sind davon überzeugt, daß nur eine ganz klare, entschlossene Haltung uns helfen kann, Sicherheit und Frieden zu erhalten. Je stärker wir Deutschen innerhalb der NATO diese entschlossene Haltung durch Taten beweisen, um so mehr dürfen wir darauf vertrauen, daß unsere Verbündeten in künftigen Verhandlungen mit der gleichen Entschlossenheit und Festigkeit den sowjetischen Forderungen begegnen werden. Das Bündnis der freien Völker ist ein unteilbares Ganzes. Die Bundesregierung ist sich in besonderem Maße der Verpflichtungen bewußt, die ihr aus der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO erwachsen. Sie ist zutiefst davon überzeugt, daß Sicherheit und Freiheit des deutschen Volkes nur in dieser engen Gemeinschaft mit Ehren Verbündeten gewährleistet werden können. Die Begegnung, die vor wenigen Tagen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten stattfand, ist sinnfälliger Ausdruck für die engen und fruchtbaren Bindungen, die sich zwischen den Mitgliedern des Nordatlantik-Bündnisses entwickelt haben. Es ist selbstverständlich, daß in dieser Allianz den Vereinigten Staaten von Amerika eine besondere Führungsrolle zufällt. Daher ist es besonders dankenswert, daß gleich zu Beginn der Amtszeit der Bundesregierung Gelegenheit zu einem offenen und herzlichen Gedankenaustausch mit Präsident Kennedy gegeben worden ist. Diese Gespräche haben, wie Sie wissen, zu einer Übereinstimmung der Auffassungen in den wesentlichen Fragen geführt. Sie haben erneut bestätigt, daß, wie seit vielen Jahren, das Verhältnis nicht nur der Regierungen, sondern auch des amerikanischen und des deutschen Volkes zueinander durch gegenseitiges Vertrauen und Freundschaft bestimmt wird. Die Gespräche in Washington haben erneut den Beweis dafür erbracht, daß wir - Amerikaner und Deutsche - uns aufeinander verlassen können. In Kürze werden Gespräche mit General de Gaulle und Premierminister Macmillan stattfinden. Für Dezember ist die alljährliche Konferenz der NATO-Mitglieder in Paris anberaumt. Auch diese Begegnungen dienen dem Ziel, den Zusammenhalt und die Festigkeit unseres Bündnisses zu stärken. Unsere Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft freier Völker gibt uns die Zuversicht, daß wir die vor uns liegenden Schwierigkeiten meistern werden. Je fester wir alle in diese Gemeinschaft hineinwachsen, je mehr wir das Gemeinsame in Rechen und Pflichten begreifen und verwirklichen, um so stärker werden wir sein. Wir müssen den Rahmen, der in der Organisation des Nordatlantik-Paktes gegeben ist, ausfüllen. Wir müssen die gemeinsame Verteidigungskraft stärken, unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit ausbauen und unsere Politik noch enger aufeinander abstimmen. Dann werden wir nicht nur den Anforderungen der Gegenwart entsprechen können, sondern auch den Grundstein für eine Zukunft legen, in der Frieden und Freiheit Wirklichkeit sind. Vor uns stehen große und schwierige Aufgaben. Diese können nur gelöst werden, wenn wir alle Kräfte zusammenfassen. Die Gemeinschaft der deutschen Anstrengungen sollte sichtbaren Ausdruck finden. - Sofort! Die Bundesregierung ist zuversichtlich, daß alle Mitglieder dieses Hohen Hauses den Grundprinzipien ihrer Außenpolitik und ihrer Verteidigungspolitik als dem zentralen Anliegen des deutschen Volkes zustimmen. Nur wenn wir diese Grundprinzipien befolgen, kann - das ist die Auffassung der Bundesregierung - das Leben des deutschen Volkes auch in Zukunft gesichert bleiben.