Erhard 02.03.1953 Rede 5 Jahre soziale Marktwirtschaft anläßlich eines Empfangs in Bad Godesberg - im Wortlaut Sie mögen vielleicht der Meinung sein, daß ein fünfjähriges Jubiläum nicht zu einer Feier Anlaß geben kann. Das stimmt. Ich habe noch keinen Industriebetrieb gesehen, der etwa ein fünfjähriges Jubiläum feiert, aber ich glaube, bei der Wirtschaftspolitik liegen die Dinge etwas anders, zumal, wenn diese Wirtschaftspolitik verbunden ist mit einem so entschiedenen Kurswechsel, wie wir ihn im Jahre 1948 eingeleitet haben. Es würde mir auch zu billig vorkommen, wenn ich diesen Anlaß etwa zu einem Triumph benützen wollte gegenüber meiner Kritikern. Es kommt mir sehr viel mehr darauf an, diesen Tag zu einem Tag der Besinnung und der Verpflichtung werden zu lassen, denn es kommt weniger darauf an, wer Recht behalten hat, sondern es kommt nur darauf an, daß der Weg, den wir eingeschlagen haben, doch der richtige zu sein scheint. Ich glaube, daß wir gerade mit dem beginnenden Jahre 1953 doch an einem wichtigen Abschnitt unserer Entwicklung angelangt sind, oder, besser gesagt, daß wir einen ganz speziellen Abschnitt der wirtschaftlichen Entfaltung seit 1948 hinter uns haben. Der wesentliche Erfolg liegt sicher in der geistigen Wandlung, die mit dem Jahre 1948 vollzogen wurde, denn eine allzu lange Zeit hatte sich das deutsche Volk an die Prinzipien einer geplanten und gelenkten Wirtschaft zu gewöhnen; und das hat auch eine gewisse geistige Haltung, eine gewisse Denkrichtung ausgeprägt und geformt. Es bedeutete schon einen entscheidenden Wechsel in der Geistesart, als wir im Jahre 1948 daran gingen, nun die ganze Verkrustung der Planwirtschaft aufzusprengen und eine völlig andere Art des Denkens, des Fühlens und des Handelns einzuleiten. Es ist müßig, sich heute darüber zu streiten, wie das manchmal in der Presse geschieht, ob etwa die Währungsreform oder die Wirtschaftspolitik die Wendung eingeleitet hat. Beides gehört untrennbar zusammen. Es kam darauf an, den Tag der Währungsreform zu nutzen, denn, wenn der vorübergegangen wäre ohne diesen wirtschaftspolitischen Kurswechsel, ohne die Aufhebung der Bewirtschaftung und die Einleitung der Wiederherstellung des freien Preises, dann wäre keine Wirtschaftspolitik erfolgreich gewesen und wahrscheinlich wäre auch die Währungsreform gescheitert oder jedenfalls unter unsäglichen Mühen und Störungen erst wieder auf den richtigen Weg zu bringen gewesen. Wir haben den Lebensstandard des deutschen Volkes wesentlich verbessert, wir haben die deutsche Volkswirtschaft wieder in die Weltwirtschaft eingegliedert. Es war uns möglich, die junge deutsche Währung wieder gesund zu machen, sie gilt heute als eine der stabilsten in der Welt. Wir haben im Jahre 1952 wieder eine ausgeglichene Handels- und Zahlungsbilanz erreicht; wir haben sogar einen Überschuß erzielt, der uns die Hoffnung gibt, daß wir in Konsequenz des am 27. Februar 1953 von Herrn Abs unterzeichneten Schuldenabkommens für die Zukunft in der Lage sein werden, dieser neuen Verpflichtung gerecht werden zu können. Es sieht also so aus, als ob wir in der inneren Konsolidierung unserer Wirtschaft so weit fortgeschritten wären, daß wir uns neue und weitere Ziele setzen können. Ich bin ehrlich genug, anzuerkennen, daß mit dem Erreichten nicht alles getan ist, daß noch sehr viel zu tun übrig bleibt und daß manche wunde und kranke Stelle in unserer Wirtschaft zu heilen ist. Wir sind auch an diese Probleme herangegangen: Ich denke dabei in erster Linie an die Regeneration des Kapitalmarktes und der Wiederherstellung seiner Funktionsfähigkeit. Die Wirtschaftspolitik von heute steht konjunkturellen Erscheinungen nicht mehr so hilflos oder sagen wir höflicher, nicht mehr so tatenlos gegenüber, wie das in vergangenen Zeiten der Fall gewesen ist. Ich habe keine Angst vor einem Zusammenbruch der Konjunktur oder auch nur vor einem fühlbaren Einbruch in die Konjunktur. Wir sind mit unserer Politik auf dem rechten Felde: Wir treiben eine Politik, die nicht zugunsten oder zu Lasten irgendeines Zweiges, irgendeiner Schicht unseres Volkes geht, sondern die immer das Ganze, die Volkswirtschaft, das Volk, in letzter Konsequenz den Verbraucher und das Wohl des Verbrauchers im Auge hat. Wenn wir alle diese Schicksale und alle diese Wandlungen an uns vorüberziehen lassen und von dem heutigen Stand aus ein Urteil fällen wollen, so spricht es jedenfalls ganz objektiv für die von uns verfolgte Wirtschaftspolitik, denn in keinem anderen Lande Europas haben sich in diesen fünf Jahren die Verhältnisse unter sozialem Aspekt so zum Besseren gewandelt wie in Deutschland. Das Verhältnis von Löhnen und Preisen hat sich fortdauernd in Richtung einer Erhöhung der Realkaufkraft gewandelt. Wir haben nach der Korea-Krise gegenüber anderen marktwirtschaftlich orientierten Ländern die geringsten Preissteigerungen zu verzeichnen gehabt. Wir konnten alle im Zuge der Korea-Krise vollzogenen Bewirtschaftungsmaßnahmen, sei es auch nur auf dem Wege von Verwendungsverboten und Verwendungsbeschränkungen gewesen, in der Zwischenzeit wieder völlig abbauen. Wir sind also wieder auf einem Boden angelangt, von dem aus sich mit einer marktwirtschaftlichen Konzeption erfolgreich weiter operieren läßt. Ich gebe zu, diese von mir vertretene Wirtschaftspolitik der sozialen Marktwirtschaft gründet sich unabdingbar auf das Walten freier Unternehmer, und dafür stehe ich in jedem Augenblick gerade, nicht etwa deshalb, weil ich damit den freien und selbständigen Unternehmern irgendwelche Renten zuschanzen, dem Unternehmer ein Pfründendasein eröffnen möchte; ganz bestimmt nicht, sondern deshalb, weil ich glaube, daß die Freiheit in der Wirtschaft und d. h. nicht nur die Freiheit des Unternehmens, sondern auch die Freiheit des Verbrauchers in dem wichtigsten demokratischen Bereich der freien Konsumwahl nur dann und nur solange aufrechterhalten werden kann, als freie Unternehmer sich frei entfalten können. Wenn Sie das als eine Interessenpolitik kennzeichnen möchten, muß ich mir diesen Vorwurf gefallen lassen. Aber ich glaube, ich habe in der Zwischenzeit auch bewiesen, daß ich selbst bereit bin, mich in einen Gegensatz zum Lager der Unternehmer zu begeben, wenn ich glaube, die konsequente Fortführung der Wirtschaftspolitik würde das rechtfertigen. Aber ich bin heute besonders glücklich, schon in etwa voraussagen zu können, daß wir auch auf diesem so gefährlichen Gebiet, das seinen Ausdruck findet in dem einen Namen "Kartellgesetz", jetzt doch einen Weg finden werden, der auf der einen Seite den berechtigten Anforderungen der Unternehmerwirtschaft Rechnung trägt, auf der anderen Seite das Prinzip des freien Leistungswettbewerbs und die Funktion des freien Preises nicht schmälert. 120 Millionen Mark für Kreditförderungs- und Produktivitätsprogramm Sie wissen, daß wir uns seit geraumer Zeit über ein sogenanntes Produktivitätsprogramm unterhalten, zunächst einmal sehr vage, voll von Hoffnungen, aber noch wenig fundiert, noch nicht klar ausgerichtet, noch unbekannt in seinen Grundlagen, in seiner materiellen Ausgestaltung. Wir haben gerade daran in der Zwischenzeit sehr viel gearbeitet, und ich möchte meinen Dank auch unseren amerikanischen Freunden aussprechen, die es nicht an Geduld und nicht an Bemühungen fehlen ließen, um hier zu einer Einigung zu kommen. Wir sind jetzt soweit, daß ich immerhin verkünden kann: es stehen uns 120 Millionen DM zur Verfügung, teils für ein Kreditförderungsprogramm zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmungen, teils zu einem Produktivitätsprogramm besonderer Art. Den Bestrebungen nach Rationalisierung, nach Leistungssteigerung, nach Kostensenkung, nach Schaffung einer besseren inneren Organisation des Betriebes, der Produktivität, der wirtschaftlichen Verteilung, aber auch rein psychologisch atmosphärischer Art wollen wir Mittel bereitstellen. Wir wollen das besorgen mit einem Minimum an bürokratischem Aufwand, wir wollen keine neuen großen Organisationen dafür aufbauen. Wir denken daran, daß wir diese Mittel im wesentlichen über den normalen Bankenapparat zur Ausleihung bringen können. Ich hoffe, daß wir diesen 120 Mill. damit auf 200 oder noch besser auf 250 Mill. aufstocken können und damit immerhin einen Fonds zur Verfügung haben, der gerade den kleinen und mittleren Betrieben Ansatzpunkte zu einer Belebung, zu einer Heilung ihrer Nöte und zu einem besseren Anschluß an den allgemeinen Leistungsstandard geben kann. Wir sehen, daß der Wettbewerb in der Welt sich verhärtet und wir haben nur die eine Möglichkeit, obwohl wir allein nicht die Entscheidung haben: Entweder wir stellen uns im Wettbewerb oder aber wir gehen auf die Seite derjenigen über, die an die Stelle des Wettbewerbs irgendeine geplante Ordnung setzen wollen. Ich glaube, für unser eigenes Land selbst ist diese Frage entschieden, und wenn ich mir die internationale Diskussion um eine Neuformung Europas ins Gedächtnis zurückrufe, muß ich sagen, wie sehr glücklich ich bin, feststellen zu können, daß bei dieser Neugestaltung Europas eigentlich niemand mehr an irgendein zentralistisch organisiertes Europa denkt, sondern daß immer der Gedanke des freien Leistungswettbewerbs auf den gemeinsamen oder einheitlichen Märkten voranstehe als ein verpflichtendes Prinzip. Wenn das aber so ist, dann stehen wir vor der Aufgabe, die Produktivkräfte in unserem eigenen Lande immer besser, immer vollkommener zu entwickeln, alles zu tun, was die Rationalisierung, die Leistungssteigerung, die höhere Effizienz der menschlichen Arbeit zu fördern oder zu erhöhen geeignet ist. Wir müssen die Produktivität steigern, das Sozialprodukt ausweiten, das Volkseinkommen erhöhen, und jedes Mittel, das nach dieser Richtung zielt, ohne die gesunde Grundlage unserer Wirtschaft und ohne die Stabilität unserer Währung zu gefährden, ist gut und muß angewandt werden. Ich glaube einfach nicht an die These von einer Sättigung des Bedarfs. Ich glaube auch nicht an ein schicksalhaftes Absinken unserer Konjunktur, sondern ich bin überzeugt, wir haben unser wirtschaftliches Schicksal selbst in der Hand, in diesen von mir aufgezeigten Grenzen. Wir haben den Ehrgeiz, ein Programm zu entwickeln, das der Mehrung der Wohlfahrt aller Menschen dient. Es ist in Deutschland z. B. so, daß gewisse Verbrauchs- oder Gebrauchsgegenstände scheinbar nur für ganz bestimmte Schichten unseres Volkes reserviert sind. Ich denke dabei an langlebige Verbrauchsgüter im Haushalt wie Kühlschränke, Staubsauger, Waschmaschinen usw. Ich habe interessante Umfragen angestellt und dabei erfahren, daß z. B. in Kreisen der Arbeiterschaft allgemein die Auffassung vorherrscht, der Kühlschrank sei nichts für sie. Motorräder zu kaufen sind sie geneigt, aber an derartige Dinge heranzugehen, fehlt noch die Lust und ich möchte fast sagen, fehlt der innere Schneid. Es ist noch nicht so weit. Aber ich glaube, wir sind in Deutschland allmählich so weit, daß wir an eine Ausweitung des Verbrauchs gerade in dieser Sparte durchaus denken können. Sicher können wir keine Hoffnungen erwecken, daß von heute auf morgen nun etwa jeder Arbeiter oder Angestellte sich schon einen solchen Konsum leisten könnte. Ganz bestimmt nicht! Aber immer mehr Schichten werden bereit sein und auch in der Lage sein, sich einem solchen Konsum zuzuwenden. Gerade in letzter Zeit ist manchmal die Frage aufgetaucht, ob nicht diese Konsumfinanzierung allzuweit fortgeschritten sei, ob hier nicht ein Mißbrauch getrieben worden ist. Ich möchte das in gewisser Hinsicht auch bejahen, aber nur deshalb, weil diese Konsumfinanzierung Verbrauchsbereiche einbezogen hat, die sich eigentlich nicht für eine Konsumfinanzierung eignen. Anders liegen die Dinge z. B., wenn man daran denkt, eben diese langlebigen und diese kostspieligen Gebrauchsgüter in eine Konsumfinanzierung einzubeziehen, d. h. die Konsumfinanzierung zu verlagern von dem Felde täglicher Verbrauchsgüter auf das Feld langlebiger Gebrauchsgüter mit der Absicht und der Erwartung, daß sich damit ein sehr viel breiterer Markt eröffnen wird, daß damit eine weitere Produktionssteigerung eintritt. Nehmen Sie z. B. den Markt der Gebrauchtwagen. Mancherlei Urteil ist an mich herangekommen, als ob unsere deutsche Kraftwagenindustrie allmählich in einen Bereich käme, der immerhin zu Sorgen Anlaß geben könnte hinsichtlich der weiteren Produktion und der weiteren Beschäftigung. Wir wollen nicht die Frage prüfen, inwieweit das berechtigt ist, inwieweit hier saisonale Einflüsse obwalten: Wir wollen annehmen, dem wäre so, und ich bin fast geneigt, mich auf diesen Boden zu begeben, dann sollten wir uns eigentlich überlegen: Gibt es nicht Mittel und Wege, um den Gebrauch von Kraftfahrzeugen in Deutschland weiter zu steigern? Ich glaube, daß immer mehr Schichten allmählich heranwachsen in Deutschland, die durchaus bereit, geneigt und in der Lage sein können, auch einen Gebrauchtwagen einmal zu kaufen. Es werden da gewisse steuerliche Maßnahmen notwendig sein, etwa hinsichtlich der Abschreibungspolitik, um den Gebrauch des ersten Wagens auf möglichst kurze Frist zu beschränken, ihn dann, daß es lohnend erscheint, abzugeben, daß damit der Preis der Zweitwagen entsprechend geringer wird, daß sich damit eine breitere Schicht von Verbrauchern für den Zweitwagen interessieren kann. Kurzum, ich möchte noch einmal sagen: Ich glaube nicht, daß das Glück der Menschen nur in der materiellen Bedarfsdeckung liegt, aber ich sage noch einmal, es ist noch so viel aufzuholen und so viel kann noch getan werden, daß wir ebenfalls nach dieser Richtung nicht müde werden dürfen. Größte Sorge unser Kapitalmarkt Die größte Sorge in der ganzen wirtschaftspolitischen Überlegung bereitet mir aber gar nicht einmal so sehr die Produktion oder das Problem der Aufrechterhaltung und der Steigerung der Produktion, sondern unser Kapitalmarkt und die auf dem Gebiet vorherrschenden Verhältnisse. So froh wir auch waren, das Erste Kapitalmarktförderungsgesetz durchgebracht zu haben, weil es wenigstens eine Bresche darstellte, so wenig kann man damit von einer Ordnung des Kapitalmarkts sprechen. Denn dieses erste Kapitalmarktförderungsgesetz hat sich eigentlich als eine starke Hilfe für die öffentliche Hand in bezug auf ihre Kapitalbedürfnisse erwiesen, aber völlig unbefriedigt und völlig unberücksichtigt ist der sehr viel wichtigere Kapitalbedarf der deutschen Wirtschaft schlechthin geblieben. Ich möchte nicht bekannte Zahlen wiederholen, aber doch ein Beispiel anführen: Wenn z. B. ein Kapitalzeichner, um die gleichen Rendite zu erhalten, wie er sie bei der Bundesanleihe gewährt bekommt, eine Dividende zugestanden erhalten muß von 17,5 v. H. und wenn ein Unternehmen, um 17,5 v. H. Dividende auszahlen zu können, 60 v. H. des Kapitals verdienen muß, kann man schlechthin nicht mehr von einer fairen Konkurrenz zwischen der öffentlichen Hand und der privaten Wirtschaft sprechen. Ich glaube, das muß ehestens überwunden werden. Sicher: Ich bin mit dem Finanzminister der Meinung und sicher auch mit der Bank deutscher Länder, der ausgeglichene Haushalt ist die Grundlage jeder geordneten Wirtschaft und jeder stabilen Währung. Aber allein ist es damit auch nicht getan, wenn der Wirtschaft die Mittel fehlen, die unbedingt erforderlich sind, um jene expansive Wirtschaftspolitik auch durchführen zu können. Ich glaube, wir alle können sehr froh sein, daß uns jetzt eine steuerliche Erleichterung winkt. Die Müdigkeit und die Lethargie, die die übermäßige Steuerbelastung mit sich gebracht hat und zwar nicht nur im Lager der Unternehmer, sondern bis in den Bereich gehobener Arbeitskräfte hinein, ist allmählich so bedrohlich geworden, daß ein Absinken der Leistung m. E. unmittelbar bevorstand und wir ohne diese Maßnahme wahrscheinlich keine Handhabe gehabt hätten, um hier wieder neue Kräfte zu entfalten. Es ist leider dahin gekommen, daß sich der einzelne überlegte: Hat es überhaupt noch Sinn, sich besonders anzustrengen? Ist es vertretbar, den höchsten Einsatz des Vermögens, die Ausschöpfung aller Kreditmöglichkeiten zu wagen, wenn diesem Risiko kaum mehr eine Chance entgegensteht. Im wesentlichen aber wird die Steuerermäßigung doch dazu führen, daß erst einmal wieder ein gesunderes und rationelleres Verhalten im Betrieb Platz greift, denn mit jedem Prozent, in dem Steuern gesenkt werden, wird dieses krankhafte Betrachten in sich zusammenfallen. Wenn wir nun an ein zweites Kapitalmarktförderungsgesetz denken, bin ich der Meinung, wir sollten nach Möglichkeit die Doppelbesteuerung der Aktie überhaupt aufheben, denn sie ist unlogisch und solange wir damit operieren, solange werden wir den wesentlichsten Teil der Kapitalbildung in der deutschen Wirtschaft künstlich behindern, nicht zum Nachteil der Unternehmer, sondern zum Nachteil auch der Arbeitnehmer und des ganzen deutschen Volkes. Diese Scherze können wir uns überhaupt nicht leisten. Wir können unsere Wirtschaftspolitik nicht orientieren an denen, die bewußt bösen Willens sind, und nicht an denen, die nicht klug genug sind, die Zusammenhänge zu sehen. Wir müssen unter Umständen gegen eine Opposition den Mut haben, das Rechte und das Vernünftige zu tun. Wenn wir von hier aus weiterdenken, dann lenken sich die Blicke gleich auf den Außenhandel. Wenn ich überhaupt an deutsche Wirtschaftspolitik denke, bewegen mich eigentlich weniger die Probleme, die die reine Binnenwirtschaft an sich betreffen, sondern sehr viel mehr die Probleme der Verzahnung der deutschen Volkswirtschaft mit der übrigen Welt. Ich brauche nicht darauf zu verweisen, daß kaum ein Industriezweig denkbar ist, der nicht in seinen Rohstoffen oder wichtigsten Hilfsstoffen auf den Bezug vom Auslande angewiesen wäre, daß wir zum großen Teil zu 40 bis 50 Prozent der Zufuhren aus dem Auslande bedürfen, um unsere Ernährung sicherzustellen. Wenn wir Europa ernsthaft wollen, dann genügt es nicht, die bisherigen Methoden des Außenhandels und der sich anschließenden Verrechnung aufrecht zu erhalten, sondern dann ist es unbedingt notwendig, weiter zu treiben. Wir können uns wohl kaum vorstellen, zu welchem Grad an Mehrung der Wohlfahrt, an steigender Leistung der europäischen Volkswirtschaften wir kommen können, wenn wir das Gestrüpp niederreißen könnten, das heute noch die einzelnen Länder feindlich trennt. Der Leistungswettbewerb der privaten Wirtschaftstreibenden wird dauernd verfälscht durch die Konkurrenz der Staaten, sich in ihrer Exportförderung zu überbieten. Es ist fast dahin gekommen, daß auf dem Weltmarkt nicht mehr der Wettbewerb der Volkswirtschaften, der Wettbewerb der einzelnen Erzeuger und einzelnen Händler nebeneinander steht und sich mißt, sondern daß der Außenhandel mehr und mehr zu einer Funktion des Staates und seiner Einrichtungen geworden ist. Und es ist selbstverständlich, daß damit Mißtrauen, Mißgunst, Neid, Verdächtigungen gar nicht ausbleiben können. Aus diesem Grunde habe ich ja gefordert, daß alle europäischen Staaten zunächst einmal das Prinzip anerkennen möchten: Jede Exportförderung muß auf gesetzlicher Grundlage beruhen, so daß sie der Inländer und der Ausländer eindeutig erkennt und errechnen kann, wieweit die staatliche Unterstützung reicht. Die zweite Forderung ging dahin, daß alle europäischen Länder ihre so gearteten Exportförderungsmaßnahmen irgendeiner europäischer Institution, etwa der OEEC, bekanntgeben und sich ferner bereit erklären sollen, sofort an gemeinsame Beratungen heranzugehen, um dieses Unheil verschwinden zu lassen. Freie Konvertierbarkeit der Währungen notwendig Wenn man heute hört, die freie Konvertierbarkeit der Währungen wäre einer Volkswirtschaft, einem Staat und einer Regierung nicht zumutbar, weil damit ein Verlust an Souveränität verbunden wäre, weil damit die sogenannte wirtschaftspolitische Autonomie preisgegeben werden müßte, so muß ich vom deutschen Standpunkt aus sagen: diese sogenannte wirtschaftspolitische Autonomie würde ich mit Freuden preisgeben, denn diese Wirtschaftspolitik, die bei einer freien Konvertierbarkeit der Währungen dann notwendig wäre, ist gerade die Wirtschaftspolitik, die ich in letzter Konsequenz in Deutschland zu treiben bereit bin. Kein Mensch denkt daran, der einzelnen Nation etwa ins Handwerk zu pfuschen und vorzuschreiben, sie müßte so oder so ihre Wirtschaft aufbauen, nach dieser oder jener Struktur hin abwandeln. Das sei jeder Volkswirtschaft unbenommen, aber etwas, was ihr nicht unbenommen bleiben und nicht erlaubt sein darf, wenn Ordnung in der Welt herrschen und wenn Europa eine Realität werden soll, das ist: eine illusionistische Politik zu betreiben, die eben nicht mehr auf dem Grundsatz des inneren Gleichgewichts einer Volkswirtschaft beruht. Das allerdings muß in Europa verboten werden, wenn wir eine glückliche Entwicklung haben wollen. Ich kann bestimmt nicht in den Geruch kommen, ein Anhänger hoher Zölle zu sein, aber ich würde doch glauben, man würde das Pferd am Schwanz aufzäumen, wenn man eine europäische Integration und eine europäische zwischenstaatliche währungspolitische Ordnung, handelspolitische Ordnung einleiten wollte mit der Niederlegung der Zölle. Solange der nationale Egoismus noch so lebendig ist und immer noch in den Köpfen vorherrscht, solange können Sie nicht die Zölle beseitigen, ohne befürchten zu müssen, daß dann das verwaltungsmäßige Gestrüpp und die währungspolitischen Manipulationen und die handelspolitischen Praktiken um so üppiger zur Anwendung kommen, mit dem Erfolg, daß wir dadurch einem gemeinsamen europäischen Markt nicht näherkommen, sondern uns womöglich noch weiter entfernen. Es wäre die größte Tragik - was ich immer sage -, wenn es dahin käme, daß alle Völker von freiheitlichem Geist ein freies Europa und freie Menschen in Europa sich ersehnen, und daß aus der Unzulänglichkeit der wirtschaftlichen Verhältnisse, aus dem Noch-nicht-überwunden-sein des alten Geistes und der bisher vorherrschenden Methoden wir praktisch und zwangsläufig dahin kommen müßten, daß dieses Europa stehen würde im Zeichen eines öden Zentralismus mit einer stur dirigistischen Gewalt über die einzelnen Volkswirtschaften. Ich möchte das politische Problem nicht vertiefen. Ich glaube, Europa ist nicht nur denkbar als ein Zentralstaat, ist vielleicht nicht nur denkbar als ein Bundesstaat. Wir kommen auf diese Lösungen nur deshalb - und nur deshalb spuken solche Vorstellungen. in den Geistern, weil wir uns eben nicht vorstellen können, welch segensreicher Vorteil, welcher Reichtum daraus erwachsen würde, wenn wir in einer freien ökonomischen Ordnung, binnenwirtschaftlich und außenwirtschaftlich gesehen, unsere Kräfte zusammentun würden, und wenn diese Kräfte wirklich zu freier Entfaltung kommen könnten. Das ist es ja, warum ich immer mit solchem Nachdruck, mit solcher Sturheit - wenn Sie wollen - auf die Verbesserung, auf die freie Konvertierbarkeit der Währungen hinstrebe. Wirtschaftliche Expansion bedeutet Wohlstand für alle Ich fasse noch einmal zusammen: Von der Binnenwirtschaft aus gesehen werden wir alles tun, um die Expansion weiter zu treiben. Mit der Expansion sind ja dann auch Wirkungen verbunden, die mit in das Programm dieser Wirtschaftspolitik gehören, denn jede Expansion bedeutet eine Mehrung der Wohlfahrt für alle. Mit der Mehrung der Wohlfahrt für alle sollen möglichst viele in unserem Volke wieder privates Eigentum erwerben können und damit ein höheres Maß an Sicherheit gewinnen. Eine glückliche innerwirtschaftliche Entwicklung ist bei der engen Verflechtung der deutschen Volkswirtschaft mit der Welt nur denkbar, wenn wir selbst unser Teil dazu beitragen, und mehr können wir jetzt nicht tun, darüber hinaus Rufer und Mahner zu sein, um die Welt friedlich und fruchtbar zusammenzuführen.